Finanzkrise: Die Bank of England reagiert
Nachdem die angekündigten Steuersenkungspläne der Regierung eine Finanzmarktkrise mit drastischem Pfundabsturz ausgelöst haben, greift die britische Zentralbank ein: Mit dem Aufkauf von Staatsanleihen soll neues Vertrauen geschaffen werden. Finanzminister Kwasi Kwarteng kündigte unterdessen einen detaillierten mittelfristigen Finanzplan für November an. Kommentatoren debattieren Gründe und Ursachen der Krise.
Riesenpleite für Truss
Der Schaden, den die neue Regierung mit ihrem Wirtschaftspaket angerichtet hat, geht weit über den Sturzflug des Pfunds hinaus, empört sich The Guardian:
„Der Noteingriff der Bank of England am Mittwoch zur Beruhigung der Finanzmärkte, markiert die Krise. Es ist eine Krise für die Bank, die Regierung und die Öffentlichkeit. Und es ist eine Krise, die in Downing Street fabriziert wurde und noch nicht vorbei ist. . ... Für Kwarteng und Truss ist sie eine absolute Katastrophe. Ihre erste große politische Richtungsentscheidung wurde von den Finanzmärkten abgeschossen und ihre Kompetenz in Wirtschaftsangelegenheiten in Stücke gerissen.“
Blind, taub und stumm
Das Vertrauen der Finanzmärkte verschwindet, analysiert De Volkskrant:
„Zusammengefasst lautet die Kritik am 'Kamikwasi-Haushalt' von Finanzminister Kwasi Kwarteng, dass die Pläne unzureichend durchgerechnet wurden, dass sie ökonomisches Grundwissen ignorieren und eine bereits schlechte Lage noch verschlimmern. Die britische Regierung handelt so blind, taub und stumm. ... Nach viel Kritik sagte Kwarteng, dass man die Regierungspläne am 23. November konkretisieren wolle. ... Das heißt, dass die Finanzmärkte noch acht Wochen Geduld haben müssen, um dahinter zu kommen, was die Pläne bedeuten - eine Ewigkeit in einer Welt, der es vor Unsicherheit graut.“
Es gibt keinen schmerzfreien Weg
Die britische Krise sollte Europa eine Warnung sein, mahnt De Tijd:
„Wir leben heute in einer Welt, in der die Zentralbanken die Zinsen erhöhen. ... Das tut weh. Regierungen reagieren darauf mit dem Austeilen von Geld an Wähler, wodurch die Inflation wieder erhöht wird. ... Wir sind nicht immun gegen das, was nun in Großbritannien geschieht. Der einzige Vorteil der Tatsache, dass die britischen Tories nun total entgleisen, ist, dass es uns hier in der Europäischen Union vielleicht deutlicher macht, dass es keinen schmerzfreien Weg gibt, der uns aus der Welt der hohen Inflation führt.“
Geschenk für die Reichen auf Kosten der Jungen
Der massive Anstieg der Staatsschulden wird das Land belasten, kritisiert The Observer:
„Es ist nichts Konservatives daran, den Reichen unnötige Almosen zu geben und gleichzeitig jene in ihren 20er- und 30er-Jahren für den Rest ihres Arbeitslebens mit den Kosten für die Finanzierung des außerordentlichen Anstiegs der Staatsverschuldung zu belasten. Keinem Land ist es gelungen, auf diese Weise Wachstum zu erzielen. ... Die schreckliche Wahrheit ist, dass der Gewinner der nächsten Parlamentswahl eine der schlechtesten Wirtschaftsaussichten aller Zeiten erben wird - als Folge von Truss' dreistem, ideologischen Experiment. Das wird das Land teuer zu stehen kommen.“
Endlich zahlt sich Arbeiten wieder aus
Der Kurswechsel der britischen Regierung wird Früchte tragen, ist The Daily Telegraph überzeugt:
„Steuersenkungen werden immer als 'Kosten' betrachtet. Sie müssen stets begründet werden, so als stünden der Staatskasse 100 Prozent des BIP zu. Das ist Beweis für eine tiefe Voreingenommenheit. Warum sollten Staatsausgaben nicht auf die gleiche Weise gerechtfertigt werden müssen? Oder alle Steuern? ... Natürlich nimmt die Ungleichheit zu, aber wen kümmert das, wenn die Wirtschaft in ihrer Gesamtheit wächst? Genau das hofft Schatzkanzler Kwarteng und die zwei Milliarden Pfund [rd. 2,24 Milliarden Euro], auf die er mit seiner Steuersenkung verzichtet, könnten zu einem großen Teil wieder hereinkommen, wenn mehr Menschen mehr arbeiten oder zusätzliche Fachkräfte ins Land ziehen.“
Eine hochriskante Wette
Die Neue Zürcher Zeitung ist von der Steuersenkung nicht begeistert:
„Selten ist ein britischer Staatshaushalt so schnell, so stark und so einhellig sowohl von Analytikern, Ökonomen als auch von Investoren verdammt worden wie jener, den Kwarteng am vergangenen Freitag präsentierte. ... Mittelfristig muss die Regierung von Liz Truss deutlich mehr tun, um das versprochene Wachstum freizusetzen. Der Erfolgsdruck ist riesig. Das Wachstum wird gebraucht, um den Schuldenberg nicht vollends untragbar werden zu lassen. Es ist eine Wette, dass der neuen Tory-Regierung in einem garstigen Umfeld das gelingt, woran ihre konservativen Vorgänger in den vergangenen zwölf Jahren scheiterten. Schlägt sie fehl, ist Grossbritannien mit einer grossen Hypothek beladen.“
Vertrauensverlust droht
Vor den Folgen der Steuersenkungen warnt The Irish Times:
„Wegen des daraus resultierenden Anstiegs des Haushaltsdefizits werden mehr Schulden gemacht werden müssen. Das wiederum stellt die Nachhaltigkeit der öffentlichen Finanzen in Frage. Schatzkanzler Kwasi Kwarteng setzt darauf, dass die Steuersenkungen das Wirtschaftswachstum ankurbeln werden, aber die Investoren sind skeptisch. Ein längerfristiger Verlust des Vertrauens in den Markt würde die staatliche Flexibilität bei der Steuerung der Wirtschaft erheblich einschränken. Die Aussichten für die durch den Brexit bereits stark geschädigte britische Wirtschaft könnten sich verschlechtern.“
Comeback des Thatcherismus
Der frühere Chef von The Economist, Bill Emmot, macht in La Stampa Truss' Steuerpolitik für den Kurssturz des Pfund verantwortlich:
„Liz Truss ist erst seit drei Wochen Premierministerin und ein Großteil dieser Zeit wurde durch das Staatsbegräbnis der Königin in Anspruch genommen. Dennoch hat Truss in der kurzen Zeit, die ihr zur Verfügung stand, das Pfund auf ein Rekordtief gedrückt und steht kurz davor, eine Herabstufung der Kreditwürdigkeit des Vereinigten Königreichs durch die Ratingagenturen auszulösen. Ursache ist die unerwartete, aber sehr dramatische Haushaltsankündigung ihres neuen Schatzkanzlers Kwasi Kwarteng am vergangenen Freitag. Sowohl er als auch Truss erklärten, dass sie fest an einen schlanken Staat und niedrige Steuern glauben - im heiligen Gedenken an Margaret Thatcher.“