Droht der Einsatz "schmutziger Bomben"?
Russlands wiederholte Anschuldigungen, die Ukraine plane den Einsatz biologischer Waffen oder atomar verseuchter sogenannter "schmutziger Bomben", verlieren weiter an Glaubwürdigkeit. Plastiktüten mit radioaktiven Materialien auf angeblichen Beweisfotos wurden vom slowenischen Außenministerium als aus Slowenien stammend entlarvt. Dennoch bleibt die Lage laut Kommentatoren brenzlig.
Einsätze im Atompoker werden immer höher
Radio Kommersant FM sieht eine Eskalationsspirale - selbst ohne realen Atombombeneinsatz:
„Die ehemaligen westlichen Partner weigern sich bislang, die russische Version des Geschehens zu akzeptieren. ... Vorerst ist bei keinem der Adressaten die Bereitschaft zu einer angemessenen Reaktion erkennbar. Der zweite wichtige Aspekt dabei ist: Die Atomfrage hat sich auf der Tagesordnung fest etabliert. Die Nato führt einschlägige Übungen durch - und die russische Antwort folgte nun. Die Parteien beschuldigen sich gegenseitig der nuklearen Eskalation. Die Erhöhung des Einsatzes geht weiter und wird leider schon zur Alltäglichkeit. Der Mensch gewöhnt sich ja bekanntlich an alles - selbst an so etwas.“
Nur das Kalkül ist schmutzig
Der Westen hat die Strategie des Kremls durchschaut, schreibt der Publizist Luís Delgado in Visão:
„Eine 'schmutzige Bombe' hat keinen militärischen Wert, und es wäre absurd, wenn die Ukraine sie gegen sich selbst einsetzen würde... Diese russische Erfindung, die durch die Medien verbreitet und in Telefongesprächen beschworen wird, passt genau in das Drehbuch der schmutzigen Tricks des Kremls. Putin kann den Einsatz einer 'schmutzigen Bombe' anordnen, die von amerikanischen Satelliten nicht aufgespürt werden kann, und dann auf sein Atomwaffenarsenal zurückgreifen.“
Vielseitiges Ablenkungsmanöver
Der ehemalige ukrainische Außenminister Pawlo Klimkin meint auf Gordonua.com:
„Erstens will Moskau die Aufmerksamkeit von den Angriffen auf unsere kritische Infrastruktur ablenken und alle dazu zwingen, über seine Lügen zu sprechen. Zweitens schaffen die Anrufe einen Raum für eine Wiederaufnahme der Kommunikation mit dem Westen. ... Drittens hat man da auch das heimische Publikum im Blick - die Propaganda in Russland funktioniert zwar immer noch, aber die Menschen werden zunehmend skeptischer gegenüber den Handlungen des Regimes. Letztendlich kann es aber auch sein, dass Russland schon an 'Gründen' für einen Angriff auf andere ukrainische AKW arbeitet. ... Die Logik ist einfach und genozidal: Man will uns die Energieerzeugung wegnehmen und das Stromsystem im Winter zum Zusammenbruch bringen.“
Der Erpresser ist nackt
Putins Angstmache verpufft laut Aargauer Zeitung zusehends:
„[N]icht nur erweist sich bei näherem Hinschauen die Atom-Drohung als leer. Putin ist auch drauf und dran, den Energiekrieg zu verlieren. Ja, die Preise sind immer noch hoch und kosten Europa viel Geld. Aber das ist der Markt und der spielt gegen Russland. Vor Spanien und Portugal stauen sich Tankschiffe mit Flüssiggas aus Amerika und aller Welt. Die Füllstände in den Gasspeichern nähern sich der 100-Prozentmarke, während Bevölkerung und Wirtschaft mit Sparanstrengungen den Verbrauch im Rahmen halten. Und sogar der Herbst mit seinen milden Temperaturen scheint seinen Teil beitragen zu wollen, um den Erpresser im Kreml in die Schranken zu weisen.“
Das Ziel ist mentale Zersetzung
Was Moskau mit seiner Anschuldigung im Schilde führt, fragt sich The Spectator:
„Die unvermeidliche Angst ist, dass der Boden geebnet wird für den eigenen Einsatz solcher Bomben, für die man dann Kyjiw die Schuld gibt. ... Aber Putin scheint einfach erkannt zu haben, dass seine einzig realistische Hoffnung eines Sieges darin besteht, so lange die Stellung zu halten, bis der Westen seinen Zusammenhalt und das Engagement in diesem Krieg aufgibt. Um das zu erreichen, hilft Putin absurderweise alles, was die Botschaft verstärkt, dass er unberechenbar genug ist, um diesen Krieg eskalieren zu lassen. Wir können einen anhaltenden Strom reißerischer Aussagen erwarten, die sich auffallend wenig auf Beweise stützen.“
Ein Test für die internationale Gemeinschaft
Rzeczpospolita fordert Standhaftigkeit vom Westen:
„Schoigu sendet ein Signal an den Westen: Wenn ihr die ukrainische Offensive nicht stoppt und die Waffenlieferungen nicht einstellt, werden wir alle möglichen Mittel einsetzen, auch die schmutzigsten. Moskau bereitet seine eigenen Bürger auf den schlimmsten Fall vor und testet die Reaktion der internationalen Gemeinschaft. Und wenn sich der Kreml in seiner Überzeugung bestätigt sieht, dass die Weltmächte nicht symmetrisch reagieren werden, wird Putin die schlimmsten Waffen am Dnjepr einsetzen. Es ist nur eine Frage der Zeit.“
Alles wird zur Waffe
Dass die Menschheit ihre Kreativität dazu missbraucht, immer neue Waffen zu erfinden, bedauert Le Quotidien:
„Der menschliche Geist kennt keine Grenzen, wenn es darum geht, sich so schnell wie möglich selbst zu zerstören - und zwar, ohne dass es zu teuer wird. … Soziale Netzwerke sind nicht mehr Orte zum Entspannen, sondern Propagandawerkzeuge, und harmlose Freizeitgegenstände [wie umgerüstete frei verkäufliche Drohnen] können einen Gegner aus 25 km Entfernung überraschen und töten. Alles wird zur Waffe. Wie weit wird das noch gehen? Mit diesen neuen Geräten, diesen neuen Werkzeugen hat sich der Krieg bereits verändert. Die Zukunft hält nichts Gutes für uns bereit.“