Brasilien: Was ist von Lula da Silva zu erwarten?
Mehr als ein Dutzend ausländischer Staats- und Regierungschefs sind am Sonntag zur Amtseinführung von Lula da Silva nach Brasilia gereist. Die Erwartungen an den neuen brasilianischen Präsidenten sind hoch, der sich den Schutz des riesigen Amazonas-Gebiets auf die Fahnen geschrieben hat. Kommentatoren warnen aus verschiedenen Gründen vor zu viel Optimismus.
Eine Herkulesaufgabe
Wirtschaftswachstum und Klimaschutz unter einen Hut zu bringen wird enorm schwierig, schreibt der Publizist Jonuel Gonçalves in Diário de Notícias:
„Es handelt sich um eine gigantische Wirtschaft, die einen riesigen und konstanten Wachstumsrhythmus braucht. ... Klima und Umwelt stehen im Mittelpunkt der brasilianischen Konfiguration. Der Amazonas und das Pantanal verfügen über Wasser- und Waldressourcen, ohne die es einfach keine globale Politik in diesem Bereich geben kann. Dies sind nur einige Beispiele für den bevorstehenden politischen Kampf. Es wird sehr schwer sein. Die parlamentarische Basis der neuen Regierung ist brüchig - sie besteht aus Vereinbarungen, bei denen ein Teil der Unterzeichner ihre Stimmen Stück für Stück eintauscht, und die Erwartungen der Wähler sind sehr hoch.“
Bitte realistisch bleiben
Für Euphorie sieht Südamerika-Korrespondent Tobias Käufer von der Tageszeitung Die Welt keinen Anlass:
„Lula ist ... wie Bolsonaro ein Populist. Nur eben im linken Spektrum. Lula hat - wie Bolsonaro - im Wahlkampf zu viel beleidigt und diskriminiert, um glauben zu können, dass aus ihm plötzlich ein Versöhner wird. Lula war immer ein Mann des fossilen Klimakillers Erdöl und hat in seiner ersten Amtszeit Abholzungszahlen hingelegt, die aus heutiger Sicht apokalyptisch sind. ... Die aktuelle Realität: Die Erdölindustrie hofft auf hunderttausende neue Arbeitsplätze. Nach praktisch gelebtem Klimaschutz klingt das alles nicht. Aber er hat eine faire Chance verdient zu beweisen, dass er zu einem Versöhner und Klimaschützer werden kann.“
Die Wunden müssen heilen
Der Bolsonarismus kann noch immer Schaden anrichten, warnt El País:
„Dieser ist in Brasilien quicklebendig, und Lula da Silva wird mit ihm umgehen müssen, ohne dabei aus den Augen zu verlieren, dass er selbst im Moment die Hoffnung auf ein besseres Brasilien verkörpert. Seine Hauptaufgabe nach seiner aufregenden Rückkehr besteht darin, die schweren Wunden der Ungleichheit im Land zu heilen, und [Brasilien] zurück auf den rechtsstaatlichen Weg zu führen.“
Mehr Handel mit Südamerika in Sicht
Mit Lulas Amtsantritt wachsen die Chancen für ein Freihandelsabkommen mit Mercosur, freut sich Rzeczpospolita:
„Der neue Präsident hat einen Stopp der Abholzung des Amazonas angekündigt. Dies eröffnet die Möglichkeit, dass schon bald ein Freihandelsabkommen zwischen Mercosur (Brasilien, Argentinien, Paraguay, Uruguay) und der EU in Kraft treten kann. In einer Zeit, in der Geschäfte mit Russland und China zunehmend schwieriger werden, gewinnt die wirtschaftliche Expansion in Lateinamerika für Europa neue Bedeutung.“