Frankreichs Rentenreform: Warum der Widerstand?
Trotz massenhafter Proteste bleibt Frankreichs Regierung bei ihrem Ziel, die Rente grundlegend zu reformieren. Die Änderungen seien für ein finanziell ausgeglichenes System notwendig, erklärte Arbeitsminister Olivier Dussopt am Montag. Kernpunkt der Reform ist die Anhebung des Rentenalters von 62 auf 64 Jahre und der Beitragszeit auf 43 Jahre. Skeptische Töne in Europas Kommentarspalten.
Zum Nachteil der Frauen
Die geplante Rentenreform wird die Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern vergrößern, kritisiert Alyssa Ahrabare, Sprecherin des feministischen Vereins Osez le féminisme !, in L’Humanité:
„Frauen beziehen bereits um 40 Prozent geringere Renten als Männer, und durch die Reform wird es noch ungerechter werden. Die Verlängerung der Beitragszeit auf 43 Jahre ab 2027 wird vor allem diejenigen Frauen bestrafen, die wegen der Kindererziehung pausieren mussten. Noch mehr von ihnen werden bis zu einem Alter von 67 Jahren warten müssen, um auf eine volle Rente hoffen zu können. Das ist inakzeptabel! In Frankreich beträgt die durchschnittliche Pension von Frauen 1.145 Euro brutto und die von Männern 1.924 Euro. Das ist das Ergebnis zweier Ungerechtigkeiten: bei den Löhnen und der Beitragsdauer.“
Macron wird Kompromisse eingehen müssen
Aufgrund der großen Proteste sollte sich die Regierung darauf einstellen, Zugeständnisse machen zu müssen, meint Hvg:
„Alle acht großen überregionalen Gewerkschaftsverbände haben sich an den mehr oder weniger friedlichen Demonstrationen beteiligt. Diese Einheit lässt sich wohl damit erklären, dass das Schlüsselelement der jetzigen Reform, die Altersgrenze, die meisten Arbeitnehmer betrifft. ... Sowohl [Premierministerin Elisabeth] Borne als auch Finanzminister Bruno Le Maire betonten, dass die Regierung offen für Verhandlungen und Änderungen ist. Die Kompromissbereitschaft ist angebracht aufgrund der Erfahrungen der vergangenen drei Jahrzehnte, denn Macron ist schließlich nicht der erste, der im Rentendschungel Ordnung machen möchte.“
Protest mit großem Potenzial
Le Courrier sieht Frankreichs Präsidenten zu Recht im Gegenwind:
„Seine Verachtung für das Volk, die auch eine Verachtung für die Demokratie ist, wird nun erkennbar. ... Emmanuel Macron wurde nur als geringeres Übel zur Eindämmung der extremen Rechten und als Nutznießer des französischen Mehrheitswahlsystems gewählt. Er steht ohne Parlamentsmehrheit da. Ein großer politischer Knall ist nicht auszuschließen. Wem käme dies zugute? … Das Ausmaß der sozialen Bewegung am Donnerstag zeigt jedenfalls, dass das Potenzial des Fortschrittslagers vorhanden ist, eine glaubwürdige Alternative zum Geisterschiff der 'Macronie' zu bieten, die nichts als substanzloses Storytelling zu bieten hat. Das ist sicherlich die beste Neuigkeit des Tages.“
Kein Grund einzuknicken
Im Grunde ist die Rentenreform trotz der Proteste in trockenen Tüchern, erläutert Le Figaro:
„Die Regierung, die in der Nationalversammlung nur über eine relative Mehrheit verfügt, sollte auf die Stimmen der meisten Abgeordneten der konservativen Les Républicains zählen können. Da die Mehrheit im Senat rechts ist, sollte der Entwurf ebenfalls ohne Schwierigkeiten durchkommen. … Zudem hat diese Reform nichts Revolutionäres… Aus diversen Gründen - Beschwerlichkeit der Arbeit, lange Laufbahnen et cetera - wird die Anhebung auf 64 Jahre 40 Prozent der Franzosen verschonen. Besser noch: Zum ersten Mal berücksichtigt sie kleine Renten, die aufgestockt werden. Die Regierung sollte also eigentlich keinen Grund haben, gegenüber der Einschüchterung von der Straße nachzugeben.“
Jemand muss ihnen die Realität erklären
El Español erkennt eine europäische Dimension der Frage:
„Das Problem ist nicht nur französisch. ... Ein Europa der Rentner mit 62 ist unrealistisch. Keine noch so leistungsfähige Volkswirtschaft kann eine riesige Masse von Rentnern versorgen, mit der Arbeit von knapp 33 Prozent der Bevölkerung. ... Macron täte gut daran, den Protesten die Stirn zu bieten, zum Wohle der französischen Wirtschaft [und] um ähnliche Forderungen in anderen europäischen Ländern zu stoppen: Es ist reines Wunschdenken, dass die Renten einer immer älter werdenden Bevölkerung ohne die Opfer der jüngeren Generation tragbar sind. Jemand muss anfangen, mit den Europäern wie mit Erwachsenen zu reden.“
Auftakt zu einem langwierigen Kräftemessen
Gazeta Wyborcza glaubt nicht an eine schnelle Lösung:
„Emmanuel Macron hat die Präsidentschaftswahlen gewonnen und seine Partei hat im Parlament zwar nicht die absolute Mehrheit, aber immerhin eine Mehrheit. ... Er ist der Meinung, dass die Franzosen damit die programmatischen Grundsätze des derzeitigen Regierungslagers weitgehend gebilligt haben, auch was die Änderungen im Rentensystem betrifft. ... Die Gewerkschaften erwidern, dass nicht alle Wähler mit ihrer Stimme für Macron für eine Änderung der Rentenbestimmungen votiert haben. ... Keine der beiden Seiten scheint zu Zugeständnissen bereit, so dass die Demonstrationen vom Donnerstag ein zähes und möglicherweise lang anhaltendes Kräftemessen einleiten dürften.“
Dafür haben die Leute ihn nicht gewählt
La Vanguardia sieht harte Zeiten für Macron:
„Die Proteste gestern waren der erste große Test für Macrons zweite, fünfjährige Amtszeit. Die Rentenreform ist eine seiner wichtigsten Maßnahmen, um den Generationenvertrag aufrechtzuerhalten und die niedrigsten Renten zu erhöhen. ... Obwohl der französische Präsident die Reform an seine Premierministerin Elisabeth Borne delegiert hat, wird er wohl kaum persönlichen, politischen Verschleiß vermeiden können. ... Macron vergisst, dass viele ihn gewählt haben, um die rechtsextreme Marine Le Pen zu stoppen, und nicht, weil sie für eine Rentenreform waren.“