Annäherung zwischen Peking und Kyjiw?
In einem rund einstündigen Telefonat haben sich am Mittwoch die Präsidenten Chinas und der Ukraine, Xi Jinping und Wolodymyr Selenskyj, ausgetauscht. Es war der erste direkte Kontakt seit dem russischen Großangriff auf die Ukraine. Peking warnte erneut vor einer nuklearen Eskalation und will einen Sondergesandten für eurasische Angelegenheiten nach Kyjiw schicken. Europas Presse sieht unterschiedliche Anzeichen.
Xi gefällt sich in der Rolle des Vermittlers
Es ist nicht überraschend, dass Selenskyj und Xi miteinander telefoniert haben, meint BBC:
„Xi Jinping konnte kürzlich einen diplomatischen Erfolg erzielen, als er Iran und Saudi-Arabien überzeugte, wieder Beziehungen zueinander aufzunehmen. Schon möglich, dass er Geschmack an der Rolle als wichtiger internationaler Vermittler gefunden hat, aber auch die Wirtschaft mag eine Rolle spielen. Nach Jahren strenger Covid-Beschränkungen schwächelt Chinas Wirtschaft noch. Sie ist abhängig vom Exporthandel und kann sich, so lange sich der Krieg in der Ukraine noch hinzieht, nicht vollständig erholen.“
Als Friedensstifter das geringere Übel
Kyjiw setzt keine besonders großen Hoffnungen in China, stellt Politologe Wolodymyr Fesenko auf seiner Facebook-Seite klar:
„Ich glaube nicht, dass die Ukraine von China erwartet, dass es zu einem gerechten Frieden beiträgt. ... Peking betrachtet die Ukraine als Verbündeten der USA und wird daher nicht zu unseren Gunsten spielen. Für die Ukraine wiederum ist es besser, wenn China als Friedensstifter auftritt und nicht als militärischer Verbündeter Russlands. Dies ist das Hauptargument für Kyjiws Verhandlungsspiel mit Peking.“
China als neue Ordnungsmacht
Der Anruf Xis zeigt für die Frankfurter Allgemeine Zeitung zweierlei:
„Offenbar will der chinesische Staats- und Parteichef tatsächlich eine aktivere Rolle in dem Konflikt übernehmen. Vielleicht haben ihn dazu seine jüngsten Erfolge im Nahen Osten ermutigt, wo er Amerikas Stellung als externe Ordnungsmacht erschüttern konnte. Zum anderen setzt Xi nicht nur auf das russische Pferd. Das kann er sich gut leisten, weil Putin schon so abhängig von ihm ist.“
Angst vor Nuklearwaffeneinsatz
Das Telefonat könnte ein Anzeichen dafür sein, wie ernst die Lage gerade von China eingeschätzt wird, analysiert Corriere della Sera:
„Warum jetzt? Warum hat Xi Jinping erst jetzt endlich mit dem Präsidenten der von Russland angegriffenen Ukraine gesprochen? Der chinesische Präsident ist berechnend, und eine Möglichkeit ist, dass er den Zeitpunkt seiner Initiative gewählt hat mit Blick auf die Karten der ukrainischen Generäle, über die alle westlichen Militärexperten diskutieren. In weniger als einem Monat ist Kyjiw zu einer Gegenoffensive bereit, die eine harte Reaktion Russlands auslösen könnte. Eine Reaktion, bei der der Einsatz der Atombombe nicht auszuschließen sein könnte.“
Putin ist politisch ausgebootet
Das Gespräch zeigt vor allem die Schwäche Putins, analysiert der Journalist Alexander Pljuschtschew in einem von Echo übernommenen Telegram-Post:
„Das Gespräch Selenskyjs mit Xi ist ein großer außenpolitischer Erfolg für den ukrainischen Präsidenten. ... Die Ukraine zieht Putin buchstäblich die Nase lang: Denn dieser hält Selenskyj ja für eine Marionette und gibt zu verstehen, wenn es jemanden gäbe, mit dem er reden könnte, dann wären es die USA. Selenskyj hält Putin den Spiegel vor und erklärt diesen zur Marionette von Xi. Aber im Gegensatz zu Putin erreicht er Verhandlungen mit dem 'Boss', während Putin immer noch auf den Anruf aus Amerika wartet, obwohl man ihn schon aus dem geduldigen Europa nicht mehr anruft.“