EU-Asylrecht: Minister einigen sich auf Kompromiss
Nach jahrelangem Streit haben sich die EU-Innenminister auf eine deutliche Verschärfung der Asylpolitik geeinigt. Eine ausreichende Mehrheit der Mitgliedsländer stimmte dafür, an den Außengrenzen Aufnahmezentren mit Schnellverfahren für Menschen einzurichten, die aus Ländern kommen, die als sicher gelten. Zudem sollen EU-Staaten, die nicht bereit sind, Flüchtlinge aufzunehmen, Ausgleichszahlungen leisten. Ein Fortschritt?
Hoffentlich funktioniert die Abschreckung
Das Asyl-Abkommen kommt spät, ist aber richtig, findet Expressen:
„Eine Sache ist sicher. Andere EU-Staaten müssen den Hauptankunftsländern dabei helfen, diese neuen, geschlossenen Asylunterkünfte funktionsfähig zu machen. So, dass die Bedingungen dort erträglich, aber nicht attraktiv sind und die Bearbeitung der Gesuche so schnell wie versprochen erfolgt. Und Abschiebungen ebenso. Ob die Vorschläge hart genug sind, um alle Wirtschaftsflüchtlinge abzuschrecken, die auf eine bessere Zukunft in Europa hoffen, werden wir erst sehen, wenn der Kompromiss Wirklichkeit geworden ist. Doch die Einigung ist, auch wenn sie mehrere Jahre zu spät kommt, ein Schritt in Richtung Ordnung in der Asylpolitik.“
Es gibt eine moralische Grenze
Die EU steht kurz vor Abschluss eines Abkommens mit Tunesien, mit dem sie die illegale Einwanderung zurückdrängen will. De Volkskrant weist auf die Gefahren solcher Deals hin:
„Der größte Einwand von Kritikern in und außerhalb Tunesiens ist, dass die europäischen Politiker damit einen autokratischen Führer legitimieren. Diese Sorge ist verständlich. ... Nehmen europäische Führer in ihrem Eifer, in der Migrationsfrage Tatkraft zu zeigen, in Kauf, dass [der tunesische Präsident] Saied der Demokratie den Hals umdreht? Diesen Eindruck muss die EU ausräumen, bevor die Pläne endgültig werden. Für mehr Kontrolle an den Außengrenzen muss man auch mit undemokratischen Führern Geschäfte machen. Aber europäische Politiker müssen ihre moralische Grenze im Auge behalten.“
Was einfach klingt, kann praktisch schwierig werden
Respekt ist nur vorsichtig optimistisch:
„Sichere Drittstaaten sollen bereits auf ihrem Gebiet die Asylsuchenden danach sortieren, ob sie Anspruch auf internationalen Schutz haben. Und EU-Staaten haben die Möglichkeit, abgelehnte Antragsteller in diese Transitländer zurückzuschicken, wenn deren eigentliches Heimatland nicht kooperiert. Das klingt ziemlich einfach. Doch viele Länder bemühen sich seit Jahren vergeblich genau darum. Warum soll das jetzt funktionieren? Und wenn es ums Brotbrechen geht und einige Quotengegner – zum Beispiel die Tschechen – den Griechen Hunderte Millionen für Ausländer in ihren Lagern schicken müssen, werden sie dann wirklich zahlen?“
Der Streit hört nicht auf
Die Umsetzung des Kompromisses wird Probleme bereiten, prophezeit auch La Libre Belgique:
„Einige Länder, vor allem Polen und Ungarn, werden nicht mitspielen und sich sogar darüber empören, dass sie für jeden abgelehnten Migranten 20.000 Euro zahlen müssen. Und was wird mit den anderen Staaten geschehen, wenn es zu nationalen politischen Erdbeben kommt? Die südlichen Länder sind von der 'flexiblen' Solidarität nicht sehr überzeugt. … Eine gemeinsame Migrationspolitik reicht nicht aus, sie muss auch im Sinne der europäischen Werte umgesetzt werden. Erst so misst sich der wirkliche Erfolg der EU angesichts der Migrationsbewegung.“
Falscher Fokus
Grenzbewachung allein ist für De Volkskrant nicht der Königsweg:
„Solange Arbeitsmigranten - von denen ein großer Teil der europäischen Landwirtschaft abhängig ist - nicht legal einreisen dürfen, werden sie es mit Schmugglern versuchen. Schließlich wissen sie, dass es viel (illegale) Arbeit gibt im überalternden Europa. Sichere Länder wie Marokko oder Tunesien sind erst dann bereit, abgewiesene Asylsuchende wieder aufzunehmen, wenn es ihrem eigenen wirtschaftlichen Interesse nützt. ... Die EU muss ihren einseitigen Fokus weg von der Verteidigung von 'Fortress Europe' verschieben und realistisch auf die Situation in den Herkunftsländern schauen. Und dann kann sie überlegen, wie sie mit ihrem Arbeitskräftemangel und Migration umgehen will.“
Ursulas doppeltes Spiel
In Folge der Reform der Asylregeln sind Sonntag EU-Kommissionspräsidentin von der Leyen und die Regierungschefs der Niederlande und Italiens zu Gesprächen mit Tunesiens Präsident Saied gereist. La Repubblica beobachtet dies:
„Es werde nur ein kurzes Treffen sein, sagte von der Leyen, um die Bedeutung herunterzuspielen. … So versucht sie, den Unmut vieler EU-Regierungen, vor allem aus Nordeuropa, zu besänftigen. Denn die Methoden des tunesischen Führers Saied finden wenig Gefallen auf dem alten Kontinent. Das ist auch bis zur Kommission vorgedrungen, begleitet von der Formel von 'Ursulas doppeltem Spiel'. … Auch für von der Leyen hat der Wahlkampf begonnen, sie will erneut für die Spitze der Kommission kandidieren. … Verärgern will die Kommissionspräsidentin in dieser Phase niemanden.“
Ein wahrer Durchbruch
Die Neue Zürcher Zeitung findet es beachtlich, wie die EU-Länder sich zusammengerauft haben:
„Es grenzt an ein Wunder. ... Das ist auch ein Erfolg für den schwedischen Vorsitz, der energisch und umsichtig für die Einigung gekämpft hatte. ... Der Durchbruch ist auch deshalb bemerkenswert, weil Einwanderung und Migration den Kernbereich nationalstaatlicher Souveränität betreffen. Dass hier in Teilen eine Vergemeinschaftung stattfindet, schien vor kurzem unwahrscheinlich. Vor allem auch deshalb, weil die gesellschaftliche Einstellung zu Einwanderung und Asylgewährung sich in den Ländern stark unterscheidet. Es gibt da veritable Gräben nicht nur zwischen Ost und West.“
Kein einziges Zugeständnis für Rom
Die Einigung ist eine Schlappe für Italien, erklärt La Repubblica:
„Trotz der metaphorisch auf den Tisch geknallten Faust geht die Regierung Meloni mit leeren Händen aus den jüngsten Verhandlungen hervor. ... Unser Land hat nicht ein einziges Zugeständnis erzielt. ... Das Konzept der 'verpflichtenden Solidarität' hat nämlich nichts mit einer aktiven Beteiligung der Verbündeten an der Umverteilung der Migranten zu tun. Im Gegenteil, das Konzept der Freiwilligkeit bleibt an die Möglichkeit geknüpft, 20.000 Euro für jeden abgelehnten Migranten auf der Grundlage der jährlichen Festlegung der Quote der umzusiedelnden Nicht-EU-Bürger zu zahlen. Rom erhält eine flexiblere Regelung bezüglich der 'Drittländer'. … Dies ist jedoch ein Verfahren mit einer sehr komplizierten Umsetzung.“
Die Menschen erwarten Lösungen
Für den Migrationspakt ist es höchste Zeit gewesen, findet die Süddeutsche Zeitung:
„Denn ein unter humanitären Gesichtspunkten besseres Asylabkommen ... wird es in der EU nicht mehr geben; im Gegenteil. Bei den Europawahlen 2024 ist mit einer rechten Welle zu rechnen. ... Ein beliebtes Argument lautet, man müsse in Asylfragen Haltung zeigen und sich umso entschlossener dem rechten Zeitgeist entgegenstellen. Das ist einerseits ehrenwert. Andererseits ist es auch gefährlich, den Menschen in Europa zu erzählen, was sie als Problem empfinden, sei eigentlich gar kein Problem, und sie hätten sich falsche Regierungen erkoren. ... [S]ie erwarten Lösungen von den Regierenden, zumindest temporäre.“
Es kann funktionieren
Der erzielte Kompromiss kann immerhin solidarisches Verhalten durchsetzen, meint De Tijd:
„Es ist eine Krämer-Mentalität, die keinen Schönheitspreis verdient, aber die den Verdienst hat, dass sie funktionieren kann. Wenn sich Ungarn trotz der europäischen Absprachen weigert, Aufnahmen zu organisieren, kann die Europäische Kommission schlecht selbst in Budapest ein Asylzentrum eröffnen. Aber wenn es ums Geld geht, dann kann das einfach abgezogen werden von der Summe, die Ungarn an europäischer Unterstützung bekommt. Das ist durchsetzbare Solidarität, die leider nötig ist. In einer Migrationspolitik, in der es keine gute Seite gibt, ist jeder pragmatische Schritt willkommen.“