Wahlergebnis: Schweden rückt nach rechts
Das rechts-konservative Lager hat die Parlamentswahl in Schweden knapp gewonnen. Die sozialdemokratische Regierungschefin Magdalena Andersson kündigte daraufhin ihren Rücktritt an. Die Regierung übernimmt wohl Ulf Kristersson, Vorsitzender der Moderaten Sammlungspartei - doch für eine Mehrheit braucht er die rechtspopulistischen Schwedendemokraten. Kommentatoren spekulieren über die Folgen für ganz Europa.
Heute Schweden, morgen Italien
La Stampa sieht schwarz:
„Über den Alten Kontinent rollt eine schwarze Welle. Es ist der rechte Flügel, der überall wächst. Die Welle reißt Dämme in Schweden ein, es ist der Kollaps eines politischen Mythos: Ulf Kristerssons konservative 'Moderate' zusammen mit Jimmie Åkessons soften neonazistischen 'Demokraten' triumphieren in der Wiege der Sozialdemokratie und des skandinavischen Modells, der Bürgerrechte und der Gleichstellung der Geschlechter, von Workfare und Multikulturalismus. ... Wir befinden uns wirklich im Finis Europae, das in genau einer Woche durch eine weitere epochale Wende besiegelt werden könnte. Wenn die Umfragen nicht falsch liegen, wird Italien der erste Gründer- und Mitgliedsstaat der EU sein, der von einer Partei regiert wird, die direkt von der extremistischen und postfaschistischen Rechten abstammt.“
Widersprüchliche Effekte
El País erkennt Parallelen zwischen Frankreich, Schweden und Italien:
„Die schwedische Debatte zeigt, wohin sich die europäischen Demokratien bewegen: Allen gemein ist als kleinster polarisierender Faktor die Einwanderung. ... Die extreme Rechte verschlingt die Konservativen, wie es in Frankreich und gerade in Schweden passiert ist und wahrscheinlich auch in Italien geschehen wird. Auf der linken Seite ist der Effekt genau umgekehrt. ... Während auf der Rechten die radikaleren Parteien wie die SD gewinnen, siegen auf der linken Pragmatiker wie die Sozialdemokraten. ... Für die Rechten wird der Wahlkampf immer komfortabler, aber das Tagesgeschäft ist komplexer. Sie gewinnen, aber sie überzeugen nicht.“
Für liberal Gesinnte inakzeptabel
Jahrelang Gewohntes wird in Schweden in Frage gestellt, meint Medienforscher Roman Horbyk von der Universität Örebro in der Ukrajinska Prawda:
„Das ist nicht nur ein Rechtsruck, das ist ein Schritt über das hinaus, was jahrelang Norm für die schwedische Politik war. Zum ersten Mal erhielten die Schwedendemokraten, eine Partei mit höchst zweifelhaftem Ruf, die meisten Stimmen auf dem rechten Flügel des politischen Spektrums. ... In den 1990er-Jahren waren Skinheads für die Partei kein Tabu. Seitdem sind die Schwedendemokraten jedoch viel gemäßigter geworden. ... Was sie jedoch für liberal gesinnte Schweden inakzeptabel macht, sind ihre Forderungen nach drastischen Kürzungen bei Migration und Asyl, härteren Strafen für Kriminelle, einem Ende des Kampfes gegen den Klimawandel und Euroskepsis.“
Das Lokale bestimmt die Politik
Das Wahlergebnis in Schweden als generellen europaweiten Trend zu interpretieren, wäre irreführend, glaubt The Observer:
„Das Wahlverhalten in verschiedenen Ländern wird vielmehr von Persönlichkeiten, Events, Timing, regionalen Themen, Parteitreue und dem Wahlsystem beeinflusst. Letztlich ist jegliche Politik lokal bestimmt. Dennoch sind rechtspopulistische Parteien ein gesamteuropäisches Problem, das alle Demokraten etwas angeht. Gemeinsamkeiten und ideologische Überschneidungen der Rechten finden sich zum Beispiel zwischen Schweden im hohen Norden und Italien im mediterranen Süden. In beiden Ländern sind rechtsradikale Parteien auf dem Vormarsch.“
Sand im europäischen Getriebe
Die Bildung einer Koalition mit Duldung der Schwedendemokraten ist besorgniserregend, warnt De Volkskrant:
„Die liberale Demokratie, vor allem der Respekt der Grundrechte und der Schutz der Minderheiten, ist bei den Rechtsextremen nicht in sicheren Händen. ... Das Wahlergebnis in Schweden illustriert einmal mehr die Zersplitterung der politischen Landschaft in vielen europäischen Ländern. ... In immer mehr Mitgliedstaaten regiert eine instabile Koalition. Das Problem wird noch größer, wenn der Einfluss von nationalistischen Parteien zunimmt, die dazu neigen, Konzessionen wegen der europäischen Zusammenarbeit als Verletzung des nationalen Interesses zu sehen. Das Risiko, dass Sand ins europäische Getriebe kommt, nimmt dadurch zu.“
Ein nachhallender Paukenschlag
Ein Machtwechsel mit den Schwedendemokraten müsste für Europa ein Warnruf sein, betont Der Tagesspiegel:
„Die Gefahr ist da, machen wir uns nichts vor. Ob im übrigen Skandinavien, denken wir an die 'Wahren Finnen', oder um Deutschland herum, in Belgien mit 'Vlaams Belang', in den Niederlanden um Geert Wilders, in Frankreich mit Marine Le Pen – die Liste ist nicht vollständig. Und sie wäre es sowieso nicht ohne die AfD hierzulande. ... Alle im Wesen bürgerlichen Parteien müssen daraus lernen, besonders die links der Mitte ... : Das Sicherheitsbedürfnis der Menschen ist auch in liberalen Gemeinwesen unbedingt zu achten. ... Wer Toleranz für Neues, Fremdes erreichen will, muss eindeutiger im Handeln sein. Es wird Zeit. Der Paukenschlag von Schweden hallt gerade in ganz Europa nach.“
Die Schwedendemokraten werden hoffähig
Bestimmte Themen werden jetzt von allen Parteien debattiert, beobachtet Hämeen Sanomat:
„Ein großes Thema im schwedischen Wahlkampf war die Bandengewalt, was den Schwedendemokraten zum Wahlsieg verhalf und auch andere Parteien dazu veranlasste, die Öffentlichkeit mit verschärften Positionen zu umwerben. Die Wahlzusammenarbeit des bürgerlichen Blocks deutete darauf hin, dass die Schwedendemokraten hoffähig werden. ... Das Wahlergebnis zeigt, dass die Zeit des Schönredens vorbei ist. Die Probleme der Einwanderung und ihre Lösungen sind Teil der schwedischen politischen Debatte geworden - unabhängig davon, ob die Schwedendemokraten an der Regierung sind oder nicht.“
Hartnäckiges Lagerdenken
Eine Zusammenarbeit mit den extremen Rechten wird dem Land kaum Stabilität bringen, mahnt Der Standard:
„Nun haben die rechtsextremen Schwedendemokraten einen Fuß in der Tür zur Macht. Dem nordischen EU-Land stehen politisch unsichere Zeiten bevor. Ob der knappe Sieg von Mitte-rechts eine stabile Regierung gebiert, ist nämlich alles andere als sicher. ... Was ringsum längst zum pragmatischen Einmaleins im Koalitionshandwerk gehört, die Zusammenarbeit gemäßigter Parteien quer über Ideologiegrenzen hinweg nämlich, gilt in Stockholm bisher als Tabu. So sind es die Rechtsextremen, die sich als Mehrheitsbeschaffer für Mitte-rechts andienen. Dass ihnen an Stabilität liegt, ist zu bezweifeln.“
Sozialdemokraten und Moderate verstehen sich doch
Upsala Nya Tidning fordert angesichts anstehender Schlüsselfragen Kooperation in der politischen Mitte:
„Energiekrise, Sicherheitskrise, Nato-Mitgliedschaft und kommende Rezession: Das Paar 'Magda und Ulf' [Andersson und Kristersson] hat die Pandemie und den Weg zum Nato-Antrag so gut gemeistert, dass sie sich soliden Respekt füreinander erarbeitet haben, der sich auch in den Schlussdebatten des Wahlkampfs durchgesetzt hat. Vor dem Winter wird Schweden diese Staatskunst mehr denn je brauchen.“
Bedenkliche Zäsur
Aftonbladet sorgt sich:
„Nie zuvor hat Schweden einen Wahlkampf erlebt, in dem Rassismus so offen sichtbar war. Und autoritäre Reflexe so selbstverständlich, das Lügen so intensiv. Unser Land ist besser als das, was wir gerade gesehen haben. ... Dies ist der Beginn eines anderen Schwedens. ... Jeder zweite Schwede hat am vergangenen Sonntag für eine andere Zukunft gestimmt. Sie verdienen eine konstruktive, klare und wirksame Oppositionspolitik. Im Reichstag – aber auch in der öffentlichen Debatte.“
Die Wirtschaft wird es ausbaden müssen
Sydsvenskan bangt angesichts der drohenden labilen politischen Verhältnisse um die Wirtschaft des Landes:
„Es wird schwierig, eine Regierung auf stabiler Basis zu bilden. Das wirtschaftspolitische Schreckenswort Stagflation – starke Inflation und hohe Arbeitslosigkeit – erscheint an der Wand. ... Schweden braucht einen Finanzminister, der sowohl die Finanzen als auch die Regierung fest im Griff hat.“
Schwedendemokraten sind keine Ethnonationalisten
Die schwedischen Rechtspopulisten sind eine Klasse für sich, betont Polityka:
„Die Schwedendemokraten sollten nicht mit anderen europäischen national-populistischen Parteien in einen Topf geworfen werden. Sie sind sehr viel bürgerlicher und schlagen Töne des wirtschaftlichen Protektionismus an. Auch weil der Ethnonationalismus in diesem Land keine Tradition hat: Die Schweden haben nie Kriege um ihre nationale Identität geführt. Die extreme Rechte hat sich neu erfunden - mit guten Ergebnissen für sich selbst. Und dies ist die wichtigste Lektion aus den schwedischen Wahlen, die Europa aufmerksam zur Kenntnis nehmen sollte.“
Konservative auf dem Irrweg
Dass die bürgerlichen Parteien erstmals ein Bündnis mit den Schwedendemokraten nicht ausschließen, ist ein gefährliches Spiel, mahnt Dagens Nyheter:
„Das Risiko ist offensichtlich, dass die schwedischen Bürgerlichen langfristig den gleichen Weg wie die amerikanische Rechte einschlagen werden. Sie hofften, sich auf radikale Kräfte stützen und diese kontrollieren zu können, wurden aber von ihnen geschluckt. ... Schweden wird wahrscheinlich eine sehr schwache Regierung haben. ... Die Kluft zwischen den Parteien ist extrem tief. ... Dazu kommt eine scheinbar hauchdünne Mehrheit - 175 Sitze gegenüber 174 laut Auszählung in der Wahlnacht.“
Mitte-links-Koalition wäre problematisch
Auch die Alternative zu einer Regierung des rechten oder linken Lagers hätte ihre Tücken, warnt Krytyka Polityczna:
„Stabilität könnte nur durch eine große Koalition der Moderaten und der siegreichen Sozialdemokraten gewährleistet werden. Eine solche Lösung scheint am vernünftigsten zu sein, wurde aber in Schweden noch nie praktiziert und wäre für beide Parteien politisch sehr problematisch. Vor allem für die Moderaten als dem schwächeren Partner, der im Gegensatz zu den Sozialdemokraten nicht als die natürliche Partei an der Macht gilt.“
Furcht vor dem Unbekannten
Die Schwedendemokraten haben irreale Ängste geschürt, analysiert Avvenire:
„Wie beim Brexit, Trumps Sieg und dem Vormarsch des Rassemblement National in Frankreich hat sich Åkessons Propaganda nicht so sehr in den großen multiethnischen Städten durchgesetzt, sondern eher in der Provinz, in Kleinstädten und Dörfern. In einem Kontext wachsender Unsicherheit, mit galoppierender Inflation, in die Höhe schießenden Stromrechnungen und Krieg vor den Toren ist nicht die reale Einwanderung vor unserer Haustür beängstigend, sondern die imaginäre Einwanderung, die vergrößert und als Bedrohung für den allgemeinen Wohlstand und den großzügigen skandinavischen Wohlfahrtsstaat dargestellt wird.“
Probleme zu lange schleifen gelassen
Für die Frankfurter Allgemeine Zeitung ist das Wahlergebnis eine Erinnerung daran, dass Migration die Wähler in Europa immer noch umtreibt:
„Die gewalttätige Bandenkriminalität, um die es im Wahlkampf ging, zeigt auch einer so weltoffenen Gesellschaft wie der schwedischen die Grenzen ihrer Integrationskraft auf. Ähnlich wie in anderen europäischen Ländern machen die Wähler ihrem Unmut durch die Stärkung einer rechtspopulistischen Partei Luft. Das ist höchst unerfreulich, letztlich aber eine Folge von Versäumnissen der etablierten Parteien. Sie haben die Probleme zu lange schleifen lassen.“
Wirksame Politik statt platte Slogans
Die regierenden Sozialdemokraten haben es verpasst, Antworten auf die großen Wahlkampfthemen zu geben, kritisiert Der Standard:
„Es steht fest, dass zwei Themen … die Wahl gewonnen haben: Kriminalität und Migration. … Außer populistischen Slogans à la 'Next Stop Kabul' (Schwedendemokraten), 'Wir wollen kein Somalitown' (Sozialdemokraten) und 'Verpflichtende ADHS-Tests in Einwanderergebieten' (Konservative) fanden sich im Wahlkampf kaum nachhaltige Lösungsvorschläge. … Dabei liegen diese in den Schubladen von Fachleuten: bessere Ausbildungs- und Jobchancen in den Vororten mit hohem Migrationsanteil, bessere und niederschwelligere Polizeiarbeit in den Gemeinschaften sowie eine höhere Aufklärungsquote bei Schießereien … Spätestens mit Regierungsantritt müssen diese Konzepte auf den Tisch.“
Polarisierung überwinden und das Land heilen
Vom unsachlich geführten Wahlkampf hat letztlich der Vorsitzende der Schwedendemokraten profitiert, kritisiert Expressen:
„Team Magdalena Andersson ging mit Angstmache und einem riesigen Geldsack zur Wahl - aber ohne wirkliche Politik. Jimmie Åkesson war der große Gewinner der destruktiven Taktik. ... Unabhängig davon, wie das endgültige Wahlergebnis aussieht, wird Schweden einen hohen Preis für diesen schmutzigen Wahlkampf zahlen müssen. Die Polarisierung hat zugenommen und die politischen Inhalte sind in den Hintergrund gerückt. Der nächste Premier muss alles tun, um das Land wieder zu heilen.“
Populisten gewinnen immer auf dieselbe Tour
Ein auch aus anderen Ländern bekanntes Muster erkennt die Kleine Zeitung wieder:
„Weder der ... Pandemiekurs noch der Nato-Beitritt waren die zentralen Themen im Wahlkampf. Es ging um die hohen Energiepreise und um die Bandenkriminalität, die von den Rechten mit der Zuwanderung verknüpft wurde. ... Die Polarisierung, die Aufteilung in zwei einander gegenüberstehende Gruppen, reiht sich in zahlreiche andere Schwarz-Weiß-Entscheidungen in anderen Ländern ein. Die Populisten schaffen es immer wieder, aus einigen wenigen Themen einen Erfolg zu generieren - dabei bleiben aber die Antworten auf viele andere - oft sogar wichtigere - Fragen offen.“
Staatsinteressen müssen jetzt vorgehen
Die traditionellen Parteien stehen jetzt in der Verantwortung, gemeinsam die großen aktuellen Herausforderungen des Landes zu meistern, fordert Dagens Nyheter und richtet einen persönlichen Appell an die bisherige sozialdemokratische Regierungschefin und den Parteichef der Moderaten Sammlungspartei:
„Auf den Schultern von Magdalena Andersson und Ulf Kristersson ruht nun - unabhängig davon, wie die endgültige Mandatsverteilung aussieht - eine besondere Verantwortung. Sie müssen die Aufgabe als Führer staatstragender Parteien übernehmen. Übernehmen Sie die Verantwortung, nicht nur die Interessen Ihrer eigenen Parteien, sondern auch die des Landes zu wahren! Stellen Sie sicher, dass getan wird, was getan werden muss.“