Treffen mit Xi: Blinkens Chinareise ein Erfolg?
Nach seinem Treffen mit dem chinesischen Außenminister Qin Gang und Pekings Chefdiplomaten Wang Yi ist US-Außenminister Antony Blinken am Montag auch von Präsident Xi Jinping persönlich empfangen worden. Europas Presse sieht darin ein wichtiges Zeichen, selbst wenn die Gespräche anscheinend wenig konkrete Ergebnisse brachten.
Eine gute Nachricht
Der amerikanisch-chinesische Dialog ist für die Ukraine vorteilhaft, meint der Politologe Wolodymyr Fessenko auf seiner Facebook-Seite:
„Die Wiederaufnahme des politischen Dialogs zwischen den USA und China ist eine gute Nachricht für uns und eine weniger gute für Russland. Russland ist gerade daran interessiert, dass sich die Konfrontation zwischen den USA und China in ihrem Konflikt um Taiwan verschärft. Das würde die Aufmerksamkeit der USA teilweise von der Ukraine ablenken und Chinas Annäherung an Russland dramatisch verstärken. Selbst eine relative Normalisierung der Beziehungen zwischen den USA und der VR China ist im Interesse der Ukraine.“
Peking braucht Wachstum und Investitionen
Das Treffen zwischen Xi und Blinken hat auch ökonomische Gründe, analysiert Jutarnji list:
„Der chinesischen Wirtschaft geht es nicht gut und das ist einer der wichtigen Gründe, warum US-Außenminister Antony Blinken auf allen Regierungsebenen empfangen wurde. Das Industriewachstum und der Einzelhandel sind zum Stillstand gekommen, die Nationalbank senkt die Zinsen und Investoren warten auf Anreizmaßnahmen auf fiskaler Ebene. ... Teilweise hat auch deshalb Xi Jinping, Generalsekretär der Kommunistischen Partei Chinas und Präsident der Volksrepublik China, Blinken am Ende seines Besuches in der Großen Halle des Volkes empfangen, in der Staatschefs empfangen werden. ... In diesem Licht muss man das Treffen beurteilen.“
Vorsichtiges Herantasten
Zumindest wurden Weichen für die Zukunft gestellt, betont La Stampa:
„Viel wurde nicht erwartet. Und viel kam auch nicht dabei heraus. Es war keine Verhandlung, es war kein Gipfel, es ging nicht um Krieg und Frieden. Der Besuch von Antony Blinken in China war lediglich ein Test, ob die beiden Großmächte der Welt in der Lage sind, den Wettbewerb und die Rivalität zwischen ihnen zu bewältigen. Außer der gegenseitigen Bereitschaft, es zu versuchen, kam nichts Endgültiges heraus. Der eingeschlagene Weg könnte zu einem Treffen zwischen Xi Jinping und Joe Biden noch vor Ende des Jahres führen. Das gestrige Treffen war Diplomatie, um die Voraussetzungen für mehr Diplomatie zu schaffen. Kein geringer Erfolg angesichts dessen, was auf dem Spiel steht.“
Wichtig für Frieden und Wohlstand
ABC hofft auf positive Veränderungen:
„Blinkens Besuch folgt auf eine Verpflichtung, die Washington und Peking auf dem G20-Gipfel in Bali im November 2022 eingegangen sind. Damals wurden beide Länder aufgefordert, Maßnahmen zu ergreifen, um zu vermeiden, dass Missverständnisse einen militärischen Konflikt auslösen können. ... Der von Blinken beschrittene Weg muss Veränderungen herbeiführen. Das ist nicht nur für den globalen Frieden und die Sicherheit wichtig, sondern auch für den wirtschaftlichen Wohlstand der Welt. Der ist durch die geostrategische Konfrontation zwischen den beiden Ländern bedroht.“
Ernüchterung beim Taiwan-Konflikt
Mehr als eine vorsichtige Annäherung ist derzeit utopisch, schreibt China-Korrespondent Fabian Kretschmer in der Badischen Zeitung:
„Denn die Liste an Streitthemen zwischen den USA und China ist schier endlos, und bei den zentralen Kernfragen können selbst Experten mit lebhafter Fantasie keine Kompromisslösungen am diplomatischen Horizont erkennen. ... Am brisantesten ist ... zweifelsohne der Taiwan-Konflikt. Umso ernüchternder ist es, dass Peking laut Angaben von Antony Blinken einem direkten Kommunikationskanal zwischen den zwei Armeen nicht zugestimmt hat. Künftig also wird die Weltgemeinschaft erneut zittern müssen, wenn es rund um die Insel Taiwan wieder zu unvorhergesehenen Eskalationen und Fehlkalkulationen kommen sollte.“
Moskau in Erklärungsnot
Außenpolitikexperte Arkadi Dubnow sieht auf Facebook die USA und China bereits auf Entspannungskurs:
„Blinkens zweitägiger, mehrstündiger diplomatischer Marathon in Peking, bei dem er zunächst vom ehemaligen und vom aktuellen chinesischen Außenminister empfangen wurde und erst im letzten Moment bestätigt wurde, dass Xi selbst den Gast empfangen würde, was wie der ultimative Gipfel des chinesischen Palastzeremoniells aussehen sollte, bringt Blinken in die Nähe von Kissingers Karriere-Höhepunkten. Zweifellos wird die russische Propaganda jedoch darauf beharren, dass eine globale Führung durch das Tandem USA-China die strategische Zusammenarbeit zwischen Moskau und Peking nicht im Geringsten infrage stellt.“
Die Zeit spielt nicht für Xi
Xi Jinping bekommt zunehmend Probleme, China zu der Weltmacht zu machen, die er sich vorstellt, beobachtet Dagens Nyheter:
„Die Risse in der Struktur der Kommunistischen Partei werden immer größer. Die Wirtschaft kämpft - und es scheint sich dabei um strukturelle Probleme zu handeln. Seit einigen Jahren plagt das Land eine Immobilienkrise, die auf große Investitionen zurückzuführen ist. ... Gleichzeitig sind vor allem die USA, aber auch Europa zunehmend auf der Hut. Technologietransfers sind begrenzt und Lieferketten werden neu geordnet. ... Es gab keinen Zweifel an Xis Ambitionen. Die Fähigkeit, sie zu verwirklichen, sollte jedoch nicht überschätzt werden, zumindest nicht, solange die freie Welt ihre Karten richtig ausspielt.“
Koexistenz statt globaler Unordnung
Die USA müssen über ihren Schatten springen, rät Politologe Charles A. Kupchan in La Repubblica:
„Die Amerikaner werden einen Sprung in ihrer politischen Vorstellungskraft machen müssen, um mit einer Großmacht zu koexistieren, deren politisches System für sie bedrohlich ist und im Widerspruch zu ihrem messianischen Engagement für die Verbreitung der Demokratie steht. Die Alternative wäre eine unüberbrückbare geopolitische Kluft und eine Vertiefung der globalen Unordnung. Die beiden Länder könnten zum Beispiel ihre militärischen Kontakte normalisieren und die Diskussionen über transnationale Themen wie Klimawandel, globale Gesundheit und Handel von denen über heiklere Fragen wie Taiwan und Menschenrechte trennen.“
Keil zwischen Peking und Moskau treiben
Es ist Zeit für ein außenpolitisches Umdenken, meint Večernji list:
„Angesichts der Tatsache, dass in Europa gerade der größte Krieg seit dem Zweiten Weltkrieg tobt und eine ernste Herausforderung für den politischen Willen und die Ressourcen der USA darstellt, muss Washington zuallererst die Frage klären, ob es im eigenen Interesse ist, die bisherige Politik fortzuführen, die Xi's China noch fester in Putins Umarmung treibt. ... Während antichinesische Hardliner in Washington seit Monaten eine Trennung (decoupling) der USA und Chinas fordern, ist es vielleicht an der Zeit für eine Trennung Pekings und Moskaus.“
Spannungen aus intensivem Wettbewerb abbauen
Wie wichtig die Entspannung zwischen den beiden Staaten ist, stellt France Inter klar:
„Ein einziger Besuch schafft es nicht, die Spannung zu lösen. Die Kluft zwischen Peking und Washington ist zu groß geworden, als dass sie durch ein paar Stunden Gespräche überwunden werden könnte. ... Die Situation wurde von Kurt Campbell, Koordinator der US-Regierung für den Indopazifik, sehr gut zusammengefasst. 'Intensiver Wettbewerb erfordert intensive Diplomatie, wenn wir mit Spannungen fertig werden wollen', sagte er am Vortag des Besuchs. Im Klartext: Amerikaner und Chinesen müssen lernen, unterschiedlicher Meinung zu sein, ohne jeden Moment den Dritten Weltkrieg zu riskieren.“
Missverständnisse vermeiden
Auch The Daily Telegraph versteht Blinkens Besuch in China vor allem als Akt der Konfliktentschärfung:
„Die Gespräche mögen vielleicht keine großen Ergebnisse bringen, aber sie könnten die Abwärtsspirale in der Beziehung der beiden Länder stoppen. Blinken gab an, dass es eines der Ziele sei, Mechanismen des Krisenmanagements zu etablieren, um das Risiko einer gefährlichen Fehleinschätzung beider Seiten zu verringern und zugleich eine mögliche Zusammenarbeit auszuloten. Einige werden Kritik daran üben, dass Chinas Menschrechtsbilanz nicht scharf kritisiert werden wird, aber wie schon Churchill sagte, ist es besser auf Augenhöhe miteinander zu palavern, als im Krieg aufeinander zu treffen.“