Deutschland: AfD stellt erstmals einen Landrat
Robert Sesselmann, Kandidat der AfD, die im Verfassungsschutzbericht 2022 vom Bundesamt für Verfassungsschutz als rechtsextremistischer Verdachtsfall geführt wird, hat sich bei der Stichwahl um das Landratsamt im thüringischen Kreis Sonneberg durchgesetzt. Damit hat er für die Partei erstmals ein solches kommunales Spitzenamt erobert. Er erhielt 52,8 Prozent, der von SPD, Linken, Grünen und FDP unterstützte CDU-Kandidat Jürgen Köpper 47,2 Prozent. Europas Presse schaut genau hin.
Warnungen haben das Gegenteil bewirkt
La Repubblica staunt darüber, dass der AfD-Kandidat im zweiten Wahlgang noch zulegen konnte:
„Vor vierzehn Tagen, im ersten Wahlgang, hatte Sesselmann bereits fast die Hälfte der Stimmen erhalten. Und die gesamte Opposition hatte gegen ihn mobilisiert. Von der CDU bis zur Linken hatten alle die Wähler aufgefordert, wählen zu gehen, auch weil die Wahlbeteiligung niedrig war. Doch die Mobilisierung hatte den gegenteiligen Effekt. ... Die höhere Wahlbeteiligung in der zweiten Runde kam vor allem dem Kandidaten der extremen Rechten zugute. Sesselmann warb mit einem 'Nein' zum Euro und zur Ukraine-Unterstützung. ... Großen Beifall erntete er für seine Hasstiraden gegen die Grünen in der Regierung und das jüngste Gesetz, das die Deutschen zwingen wird, in den kommenden Jahren ihre Heizungen auszutauschen.“
Prinzipientreue oder Pragmatismus?
Nun steht man in Deutschland vor einem Dilemma, meint De Standaard:
„Die Frage, ob eine Zusammenarbeit mit der extremen Rechten denkbar ist, ist nicht länger hypothetisch. Bleiben andere Politiker standhaft oder siegt der Pragmatismus? In Deutschland ist die Debatte entbrannt. Ist die Wahl von Sesselmann die Folge von Proteststimmen gegen unpopuläre Maßnahmen der aktuellen Machthaber oder stimmen seine Anhänger dessen radikalen Standpunkten aus Überzeugung zu? Die Antwort ist wichtig, weil sie entscheidend ist für die Strategie, mit der andere Parteien der extremen Rechten begegnen wollen. Muss man extremistische Ideen nur mit Argumenten bekämpfen oder vor allem mit einer anderen Politik?“
Nicht verteufeln, sondern verstehen
Anstatt die AfD zu verteufeln, sollten die anderen Parteien der Frage nachgehen, warum sich die Wähler dieser zugewandt haben, rät Historikerin Katja Hoyer in The Spectator:
„Die AfD ist nicht Ursache, sondern Ausdruck des weitverbreiteten Krisengefühls in Deutschland. Diskussionen darüber, wie man die Partei stoppen, verbieten oder aus der Regierung ausschließen kann, gehen nicht auf die Sorgen ein, die große Teile der Wählerschaft zur AfD treiben. So unangenehm es für die Politiker der deutschen Mainstream-Parteien auch sein mag, jenem Fünftel der Bevölkerung ihre volle Aufmerksamkeit zu schenken, das derzeit zur AfD tendiert: Es gibt keine Alternative. Die Unterstellung, dass die Wählerschaft falsch liegt, führt die Prinzipien, auf denen Demokratien aufgebaut sind, ad absurdum.“
Weghören manchmal sinnvoller als zuhören
Das bürgerliche Lager steht aus Sicht von Zeit Online vor einer einfachen Frage:
„Der AfD weiter zuhören, bis Bürgerlichkeit irgendwann nur noch eine entkernte Fassade ist. Oder den Populisten eine progressive Agenda entgegensetzen. Das bedeutet nicht, dass die Ampel alles richtig macht (ganz sicher nicht), aber sie würde sich als Fortschrittsregierung aufgeben, wenn sie wegen einer radikalisierten Minderheit ihre eigenen Prinzipien verrät. ... Demokratie heißt: Die Mehrheit entscheidet, nicht die Grundgesamtheit. Und auch wenn die AfD bundesweit auf 20 Prozent kommt. Eine Mehrheit ist das nicht. Oder anders gesagt: Vielleicht ist weghören manchmal sinnvoller als zuhören.“
Unbegründete Hysterie
Lidové noviny ist nicht so sehr vom Ergebnis der Wahl irritiert, sondern mehr von der Reaktion der deutschen Öffentlichkeit:
„Das politische und mediale Establishment Deutschlands verfällt in Ängste, die an Hysterie grenzen. Die Frage lautet aber doch, ob in Deutschland ein Ansturm des Extremismus droht. Zur Klarheit: Der Landkreis Sonneberg hat 57.000 Einwohner. Sie repräsentieren 0,068 Prozent der deutschen Bevölkerung. ... Wenn die AfD tatsächlich eine solche Bedrohung für Demokratie und Verfassungsmäßigkeit darstellt, weshalb ziehen die anderen dann nicht vor das Bundesverfassungsgericht?“