Schriftsteller Milan Kundera ist tot
Der tschechisch-französische Autor Milan Kundera ist am Dienstag mit 94 Jahren gestorben. Nach der Niederschlagung des Prager Frühlings wurde Kundera in der Tschechoslowakei zur Persona non grata und zog 1975 nach Frankreich. Später schrieb er auf Französisch. Kunderas Roman Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins wurde 1984 ein Welterfolg. Europas Presse würdigt ihn als Literaten mit politischem Scharfblick.
Eco, García Márquez, Kundera
Nicht ohne eine Prise Nationalstolz verortet Echo24 Milan Kundera im obersten Regal der Weltliteratur:
„Auch hier, in einem ansonsten relativ unbedeutenden Land, entstand große Literatur. Kunderas Der Scherz war ein Roman, dem die größten Essayisten und Kritiker in Zeitschriften auf der ganzen Welt Tribut zollten. ... Und als Kundera bereits im Exil Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins veröffentlichte, war es ein weltweiter Bestseller, aber nicht von der Art wie Dan Brown oder Fifty Shades of Grey, sondern ein Buch, das sofort in den Kanon des modernen Romans einging und dort bleiben wird. Man könnte sagen, dass es nur drei wirklich große Weltromane der Nachkriegszeit gibt: Hundert Jahre Einsamkeit von Gabriel García Márquez, Der Name der Rose von Umberto Eco und Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins.“
Kritiker der Unmittelbarkeit
Kunderas Warnungen vor der Mediengesellschaft sind auch heute noch aktuell, betont Le Figaro:
„Der ewig Exilierte fürchtete um die Literatur, die von der Tyrannei der neuesten Nachrichten bedroht wird, um die Langfristigkeit, die von der Unmittelbarkeit weggefegt wird, um die Nuance. … Mitte der 1980er-Jahre wählte Kundera in einem quasi existenziellen Reflex das Schweigen und entfloh so der Rolle, die die Mediengesellschaft denjenigen zuteilt, die dazu gehören. ... Er verweigerte Interviews und Medienauftritte. Allein seine seltenen und kostbaren Texte sollten für ihn sprechen. 40 Jahre später hallen seine Warnungen wider, verstärkt durch die digitale Expansion und deren Auswirkungen auf Denken und Debatten, die ohne Übertreibung eine riesige Umwälzung darstellen.“
Der Prager Frühling als nachhaltiger Einfluss
Gość Niedzielny interpretiert Kunderas Werk mit Blick auf seine Kritik am sowjetischen Einmarsch in der Tschechoslowakei 1968:
„Diese Ereignisse brachten die Werke des Schriftstellers auf die schwarze Liste und prägten seine folgende Emigration nach Frankreich. Ihre Folgen wurden auch zum Ausgangspunkt von Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins. Es ist eine bittere Diagnose - nicht nur des Regimes selbst, sondern auch der Existenz eines Menschen auf der Suche nach Vergnügen und einem sorgenfreien Leben. Es ist ein Leben, das einem durch die Finger rinnt und keine Befriedigung bringt. ... Die vielleicht wichtigste Botschaft von Kunderas Werk bleibt die Warnung, dass ein Leben ohne Verantwortung letztlich unerträglich wird und die ersehnte Leichtigkeit sich oft als Last entpuppt.“
Europa als Ganzes im Blick
Financial Times blickt zurück:
„Kundera hatte ein empfindsames Gespür für die missliche Lage kleiner Nationen unter totalitärer Herrschaft und war sensibilisiert dafür, wie der Sowjetkommunismus die Einheit der europäischen Kultur zerstört hatte. Eines seiner eindrucksvollsten Werke ist Die Trägodie Mitteleuropas (1984). Es ist ein Aufsatz, in dem er argumentiert, dass die Tschechoslowakei – die 1993 in zwei Staaten geteilt wurde – wie auch andere mitteleuropäische Länder, die jahrhundertelang integraler Bestandteil der westlichen Kultur gewesen waren, nach dem Zweiten Weltkrieg von der Sowjetunion 'gekidnappt' und in einen von Moskau dominierten Ostblock gezwungen wurden.“