Russland erklärt LGBT-Unterstützung zum Verbrechen
Die russische Justiz hat die nicht näher definierte "internationale LGBT-Bewegung" als extremistisch eingestuft und verboten. Somit können nun Menschen wegen Unterstützung von LGBT-Anliegen zu Gefängnisstrafen verurteilt werden. In St. Petersburg wurde am Freitag der Musiksender Aiva wegen Darstellung gleichgeschlechtlicher Liebe zu einer Geldstrafe von rund 5.000 Euro verurteilt. Was folgt als Nächstes?
Bloß nicht auffallen
Radio Kommersant FM versucht nicht ganz ohne Ironie zu formulieren, was nun legal und was illegal ist:
„Es ist verboten, sich dieser internationalen Bewegung anzuschließen: 'Schaut her, was für einer ich bin, kommt mit, ihr werdet es nicht bereuen'. ... Ansonsten darf man bei uns alles, selbst sowas. Aber im Stillen: nicht öffentlich machen und vor allem nicht versuchen aufzufallen. Man darf nicht gegen den Strom schwimmen, muss sein wie alle anderen, ohne sich vorzudrängeln. Befolgst du diese einfachen Regeln, wird alles gut, und du kannst sogar eine anständige politische Karriere machen. Wer ist denn ohne Schwächen? Unser Staat urteilt gerecht. Aber das sind alles nur Vermutungen, freie Auslegungen. Juristische Erklärungen sind bis heute Fehlanzeige.“
Fachkräfte könnten das Weite suchen
Die Strategie des Kremls könnte nach hinten losgehen, meint Der Standard:
„Nach dem Willen des Kremls soll Russland eine Art Sowjetunion 2.0 werden. Der neue russische Mann ist ganz der alte. Stark wie ein Bär verteidigt er seine Familie, sein Vaterland. Und die neue russische Frau ist auch die alte: lieb und Mutter vieler Kinder. Homosexuelle Beziehungen haben in diesem Rollenbild keinen Platz. Fraglich aber ist, ob dies in der russischen Gesellschaft, die auch eine moderne ist, funktionieren wird. ... Noch funktioniert in der russischen Alltagswelt vieles präzise. Züge sind auf die Minute pünktlich. Über gut funktionierende Apps kann man bequem einkaufen. Erdacht von Spezialisten. Fachkräften, die vielleicht bald anderswo in der Welt arbeiten werden.“
Apartheid und Rassengesetze à la russe
Nowaja-Gaseta-Ewropa-Chefredakteur Kirill Martynow sieht in einem von Echo übernommenen Telegram-Post den Beschluss als fatalen Angriff auf die Bürgerrechte:
„Am 30. November 2023 wurde in das Rechtsmodell der Russischen Föderation der Gedanke aufgenommen, Rechte von Bürgern einzuschränken, nur weil sie sind, wie sie sind. Nun muss man sich nicht mehr an einer politischen Bewegung beteiligen oder Mitglied einer Organisation sein, damit der Staat einen ächten kann. Wenn Schwule von vornherein Mitglieder einer extremistischen Bewegung sind, kann auch jede beliebige andere Gruppe von Menschen zu Extremisten erklärt werden. Wie das Apartheidregime in Südafrika, wie die Nürnberger Gesetze der Nazis, nimmt die Entscheidung des Obersten Gerichtshofs den Menschen Rechte, nur weil sie existieren.“
Symptom eines sterbenskranken Regimes
Journalist Stanislaw Kutscher erkennt ein Zeichen der Schwäche und kommentiert auf Facebook:
„Das gesetzliche Verbot der 'LGBT-Bewegung' (die es rechtlich gesehen gar nicht gibt) ist ein Schlag gegen die Sicherheit bestimmter Menschen, die in Russland ohnehin schon ein schweres Leben haben. Natürlich ist dies eine schreckliche Heuchelei – vor allem angesichts der Begnadigung von Mördern und Psychopathen im Gegenzug für die Beteiligung an einer Aggression gegen ein Nachbarland. Aber es ist auch ein phänomenaler Akt der Selbstentblößung und Degradierung – und nicht die Stärkung eines fehlerhaften Systems, wie viele befürchten. Historiker werden dies als eines der Zeichen und Katalysatoren für das unvermeidliche Ende solcher Regime untersuchen.“
Es kann jeden treffen
La Stampa befürchtet eine Hexenjagd:
„Nicht einmal Länder wie Iran oder Uganda, wo 'schwere Homosexualität' mit lebenslanger Haft oder der Todesstrafe geahndet wird, sind auf die Idee des Kremls gekommen, potenziell jeden, der nicht ausdrücklich homophob ist, zum Kriminellen zu machen. Denn die Entscheidung, die LGBT-Bewegung als 'extremistisch' einzustufen, betrifft nicht nur Homosexuelle. Aktivisten, Journalisten, Sympathisanten, Anwälte – jeder, der eine Regenbogenanstecknadel trägt oder seine Stimme zur Verteidigung queerer Menschen erhebt, kann angeklagt werden. In Moskau kursieren bereits Gerüchte über Listen prominenter Homosexueller und Aktivisten, gegen die Haftbefehle erlassen werden soll.“
Auf der Suche nach inneren Feinden
Ein Ablenkungsmanöver, ist Gazeta Wyborcza überzeugt:
„Warum haben die russischen Behörden begonnen, aktiv gegen LGBTQ-Personen vorzugehen? Nach Ansicht russischer Menschenrechtsaktivisten liegt der Grund auf der Hand: Der Kreml versucht so, die Gesellschaft um sich herum gegen einen 'inneren Feind' zu mobilisieren und so die Russen vom Krieg in der Ukraine abzulenken.“