IGH zu Gaza: Keine Feuerpause, aber mehr Schutz
Der Internationale Gerichtshof (IGH) in Den Haag hat Israel zu einem besseren Schutz der palästinensischen Bevölkerung im Gazastreifen aufgefordert, das sofortige Ende der Militäroffensive ordnete das Gericht nicht an. Über den von Südafrika erhobenen Vorwurf des Völkermords entschied der IGH noch nicht, erklärte sich allerdings für zuständig. Kommentatoren debattieren mögliche Folgen für alle Beteiligten.
Beide Seiten unzufrieden
Das Urteil ist eine Gratwanderung, erörtert La Stampa:
„Die Palästinenser sind enttäuscht, dass nicht zu einem sofortigen Waffenstillstand aufgefordert wurde. Israel ist schockiert über eine Art Anklage wegen 'möglichen Völkermordes', ein Wort, das es nie mit dem jüdischen Staat in Verbindung gebracht wissen wollte. Die von den Richtern getroffenen Entscheidungen haben letztlich beide Seiten verärgert, aber die Folgen sind für die Regierung von Benjamin Netanjahu schwerwiegender, obgleich sie eine klare Verurteilung des Vorgehens der Hamas erhalten hat, mit der Aufforderung, die Geiseln freizulassen. Ob es sich bei dem Blutvergießen in Gaza wirklich um Völkermord handelt, wird der Gerichtshof erst viel später entscheiden.“
Keinen Schritt weiter gekommen
Eldiario.es zweifelt an der Durchsetzbarkeit der Beschlüsse:
„Die Entscheidungen des Den Haager Gerichtshofs sind verbindlich - auch vorläufige wie diese. ... Der IGH hat aber keine Mittel, die Befolgung zu erzwingen. Es obliegt dem Sicherheitsrat, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Entscheidungen des Gerichts durchzusetzen. Aber im Sicherheitsrat sitzen fünf Länder mit Vetorecht, eines davon sind die USA. ... Kurz gesagt, wir sind da, wo wir waren. Was in Palästina geschieht, hängt von Washington ab, denn ohne die Unterstützung der USA hätte sich Israel schon längst aus den 1967 besetzten Gebieten zurückziehen müssen. Nichtsdestotrotz hat ein Urteil des IGH international ein sehr großes politisches Gewicht und kann weder von Israel noch von den USA ignoriert werden.“
Eine strenge Verwarnung
Der Druck auf Israel und die USA wächst, erkennt The Irish Times:
„Das wegweisende Urteil zeigt, wie ernst der IGH die Vorwürfe gegen Israel nimmt. ... Die in dem Beschluss festgelegten Maßnahmen sind eine deutliche Warnung an Israel, sich seiner Verpflichtungen gegenüber der Völkermordkonvention bewusst zu sein, wenn es um die Palästinenser im Gazastreifen geht. Es dient auch als indirekte Warnung an Israels Verbündete – vor allem an die Vereinigten Staaten. Auch sie sind verpflichtet, sich nicht an Verstößen gegen die Völkermordkonvention zu beteiligen. ... Israel kann sich gewiss sein, dass die internationale Gemeinschaft versuchen wird, es für sein Vorgehen zur Rechenschaft zu ziehen.“
Es ist die Hamas, die vom Völkermord träumt
Die Welt findet das Urteil beschämend:
„Israel hat keine genozidalen Absichten in Gaza. Wer wirklich von einem Völkermord träumt, das ist die Hamas. Sie ist am 7. Oktober über Zivilisten hergefallen, hat systematisch gefoltert, vergewaltigt und gemordet. Es ließen sich Tausende Kommentare von Hamas-Leuten finden, die zum Völkermord an den Juden aufrufen. Aber die Hamas sitzt nicht auf der Anklagebank, obwohl sie jedes internationale Recht bricht ... . Sollte Israel tatsächlich Kriegsverbrechen begangen haben, werden diese geahndet werden. Das ist gut und richtig. Doch die Hamas muss sich dem Weltgericht nicht stellen. Und so trägt dieser Richterspruch dazu bei, dass Israel in der öffentlichen Wahrnehmung einmal mehr als der alleinig Schuldige an diesem Krieg dasteht.“
Noch ungeklärte Frage nach den Absichten
Alper Ali Riza, Kronanwalt im Vereinigten Königreich und ehemaliger Teilzeitrichter, analysiert in Cyprus Mail:
„Wenn der Fall in den kommenden Jahren vor Gericht kommt, wird es vor allem um die Frage gehen, ob Israel den Gazastreifen zerstört hat, um die Palästinenser in Gaza als Gruppe zu vernichten oder um sich selbst zu verteidigen. ... Nach Ansicht Israels sind der Tod, das Leiden und die unerträglichen Lebensbedingungen in Gaza Kollateralschäden, weil die Hamas ihre Zivilbevölkerung als menschliche Schutzschilde benutzt. ... Doch die fortwährende Vertreibung von fast zwei Millionen Menschen in angeblich sichere Gebiete, die dann bombardiert werden, ist keine Art des Schutzes der Zivilbevölkerung und die unerträglichen Lebensbedingungen, die ihnen zugemutet werden, sind keine Kollateralschäden.“