Ungarn lenkt ein: EU-Gipfel beschließt Ukraine-Hilfe
Die Entscheidung war mit Spannung erwartet worden: Das 50-Milliarden-Euro-Hilfspaket der EU für die Ukraine bis einschließlich 2027 ist beschlossen. Ungarn gab seinen Widerstand nach intensiven Verhandlungen auf, wobei offenbar festgelegt wurde, dass die Finanzhilfen alle zwei Jahre neu geprüft werden sollen. Etwaige Änderungen bedürften aber wiederum eines einstimmigen Beschlusses. Kommentatoren sind nur halbwegs erleichtert.
Positiv für Kyjiw
Nun ist die Ukraine vor politischen Stimmungsschwankungen in Budapest geschützt, freut sich Ukrajinska Prawda:
„Die Bedingungen für die Mittelvergabe müssen noch im Detail festgelegt werden, da der Gipfel sie nur allgemein umrissen hat. Dennoch kann man bereits mit Zuversicht sagen, dass dies eine sehr positive Entscheidung für die Ukraine ist. Vor allem, weil es auf dem Weg dazu gelungen ist, etliche Ultimaten Ungarns zu überwinden. Diese zielten darauf ab, die Ukraine in eine sehr gefährliche Abhängigkeit von künftigen Stimmungsschwankungen in Budapest zu bringen. Zugleich ermöglicht der Kompromissbeschluss des EU-Gipfels Orbán, ihn in der Heimat Ungarn als weiteren Sieg zu 'verkaufen', mit anderen Worten: sein Gesicht zu wahren.“
Der geschickte Spieler
Klar hat Orbán eingelenkt, spottet Corriere della Sera:
„Er ist ein aufstrebender Autokrat, er herrscht über ein korruptes, brutales System und kennt keine Skrupel. Aber Fingerspitzengefühl kann ihm niemand absprechen. Als Doyen der europäischen Gipfeltreffen versteht es der ungarische Regierungschef, die Stimmungen in einem Raum voller Staats- und Regierungschefs zu lesen. Er weiß, wie er trotz des geringen Gewichts seines Landes den maximalen Preis herausholen kann, aber er weiß auch, wann es Zeit ist, sich zurückzuziehen. ... Gestern in Brüssel hat Orbán gespürt, dass er aufgeben muss. Hätte er das nicht getan, hätte er die 20 Milliarden Euro an europäischen Geldern für Ungarn in den Wind schreiben können. ... Diese Gelder machen mehr als zehn Prozent der ungarischen Wirtschaft aus.“
Vorgehen gegen Orbán wird härter
Die EU lässt sich zunehmend nicht mehr vorführen, beobachtet Népszava:
„Orbán war innerhalb von anderthalb Monaten zweimal gezwungen, gegenüber der EU einzulenken. ... Wie der österreichische Bundeskanzler Karl Nehammer in einer kurzen Erklärung sagte, ist Viktor Orbán 'wieder mit uns an Bord'. Es ist nicht klar, mit wem der Premier genau an Bord ist, aber eines hat er tatsächlich erreicht: Der Europäische Rat und die EU-Kommission beginnen, ihren Meister an Raffiniertheit zu übertreffen und machen Orbán mit immer stärkeren Botschaften klar, wer der Herr im Haus ist. Die EU-Institutionen schrecken nicht einmal mehr vor Erpressung zurück.“
Längst nicht genug
Die EU muss in ganz anderen Dimensionen denken, meint Politiken:
„Sollte Russland den Krieg gewinnen, wäre das eine Katastrophe nicht nur für die Ukrainer, sondern für ganz Europa. Insgesamt ist Europa viel, viel reicher und verfügt über weitaus mehr Ressourcen als Russland. Doch während die EU nur knapp ein Promille ihres BIP für den Kampf aufwenden wird, hat Russland seine gesamte Gesellschaft auf eine Kriegswirtschaft umgestellt und die Verteidigungsausgaben auf 6 Prozent des BIP erhöht. Während wir zögern und mit der Unterstützung herumfummeln, sind die Russen All-In gegangen. ... Wir müssen viel mehr in die Rüstungsproduktion investieren, damit wir mehr unterstützen können und nicht so sehr von den USA abhängig sind.“
Gelder an Bedingungen knüpfen
Die Frankfurter Allgemeine Zeitung gibt zwei Dinge zu bedenken:
„Erstens ist es essenziell, dass die EU sehr genau hinschaut, wohin das Geld in der Ukraine fließt. Die jüngsten Korruptionsfälle im Militär dürfen sich nicht wiederholen, sie schwächen die Kampfkraft und die Moral der Truppe. Zweitens sollte die Ukraine ihr Haus politisch in Ordnung bringen. Die Beschränkung des demokratischen Wettbewerbs tut dem Land nicht gut, wie gerade wieder der Machtkampf Selenskyjs mit seinem Oberbefehlshaber zeigt. Europa investiert in der Ukraine in eine geopolitische Ordnung, zu der Pluralismus gehört. Das muss Kiew deutlicher gemacht werden.“
Die Mehrheit sitzt eben am längeren Hebel
Denník N ist wichtig, dass sich neben Viktor Orbán auch der slowakische Premier Robert Fico nicht gegen die klare EU-Mehrheit zur Hilfe für die Ukraine querlegte:
„Unabhängig davon, was Fico öffentlich über die Ukraine sagt, sind am Ende die Taten das Wichtigste, dass sich die Slowakei für die Ukraine eingesetzt hat. ... Die Tatsache, dass Orbán einen Rückzieher machte, zeigt, dass Politiker wie er oder Robert Fico nur Angst davor haben, Geld einzubüßen. ... Fico verstand, dass es jetzt ernst war. Und dass er tatsächlich Geld verlieren könnte, sollte er mit Orbán gegen ganz Europa vorgehen.“
Orbán bleibt ein Risiko
Die EU ist nicht aus dem Schneider, befürchtet Helsingin Sanomat:
„Die EU steht nach wie vor kurz vor dem historischen Schritt, Ungarn von der Beschlussfassung in der EU auszuschließen. Eine Mehrheit im Europäischen Parlament fordert dies von der Kommission und den Mitgliedstaaten, und viele Länder sind mehr als zuvor bereit, wirklich harte Maßnahmen gegen Ungarn zu ergreifen. Auch wenn Orbán sich jetzt bereit erklärt hat, die Ukraine zu unterstützen, ist er ein ständiges Risiko. Ungarn untergräbt die Sicherheitspolitik der EU, und bald wird Orbán den EU-Vorsitz übernehmen. Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj dankte der EU höflich für ihre große Geschlossenheit. Aber die Ukraine muss auf die langfristige und zuverlässige Unterstützung zählen können.“