Weltfrauentag: Wofür protestieren?
Der internationale Frauentag ist weltweit Anlass, für mehr Gleichberechtigung zu demonstrieren und grundsätzliche Debatten über den Umgang der Geschlechter miteinander zu führen. Die europäische Presse reflektiert über Benachteiligungen im Job, Ignoranz gegenüber Gewalt, die Zukunft des Feminismus und berechtigte oder falsche Erwartungen.
Feminismus hat noch immer Kraft
El País beobachtet verschiedene Entwicklungen:
„Die meisten Bürger nehmen Machismo in der Gesellschaft wahr, viele männliche Vox-Wähler leugnen ihn dagegen. ... Vor allem die jüngeren Generationen, was besorgniserregend ist. Während junge Frauen mit den MeToo-Botschaften der Ermächtigung sozialisiert wurden, sind junge Männer dem Feminismus gegenüber skeptischer. ... Angesichts des Aufstiegs der ultrakonservativen Kräfte konnten wir jedoch auch beobachten, wie dank einer durchschlagenden sozialen Mobilisierung das Recht auf Abtreibung in die französische Verfassung aufgenommen wurde. ... Dies bestätigt die Kraft einer Bewegung, die schon immer im Zentrum großer gesellschaftlicher Veränderungen stand. Der Feminismus sollte dies nicht aus den Augen verlieren.“
Wandel in den Chefetagen ungenügend
Auch auf der Führungsebene von Unternehmen muss die Emanzipation weitergehen, betont das Handelsblatt:
„Der Frauenquote haben wir es zu verdanken, dass wir inzwischen rund 30 Prozent Frauen in den Führungsetagen der Dax-Konzerne haben. Doch warum ist nur eine von 40 Dax-CEOs weiblich? Und warum beträgt die gesetzliche Frauenquote für die Vorstände und Aufsichtsräte börsennotierter und paritätisch mitbestimmter Konzerne nur 30 und nicht 50 Prozent? Das würde die wahren Mehrheitsverhältnisse in der Gesellschaft widerspiegeln. Die Feministinnen der ersten Stunde haben ja auch das Wahlrecht für alle Frauen durchgesetzt und nicht nur für jede dritte oder nur für Frauen mit höherem Bildungsabschluss.“
Frauen gehen mit Macht nicht anders um
Die Hoffnung, die Welt würde mit mehr Frauen in Führungspositionen gerechter, ist trügerisch, merkt Večer an:
„Diese Erwartungen haben nichts mit dem tatsächlichen Leben zu tun. ... Die Tatsache, dass Ursula von der Leyen die EU führt, bedeutet nicht, dass die EU besser, sozialer geworden ist oder eine Politik des Friedens verfolgt. Sie führt gerade zu noch mehr Rüstung. ... Und auch die Tatsache, dass die Europäische Zentralbank von einer Frau geleitet wird, bedeutet nicht, dass das Kapital sozialer arbeitet. … Frauen gehen mit gesellschaftlicher Macht genauso unsozial, verantwortungslos und unfriedlich um wie Männer in vergleichbaren Positionen. Das zeigt, dass das soziale Handeln des Einzelnen nicht von seinen Genitalien abhängt.“
Behörden schauen weiter weg
Der Journalist Costi Rogozanu von Libertatea hat auf Anfrage beim rumänischen Innenministerium herausgefunden, dass es in den vergangenen fünf Jahren nur 200 Anzeigen wegen sexueller Belästigung von Frauen im Land gab:
„Ich habe auch mal nachgefragt, wie viele Fälle von sexueller Belästigung in einem Jahrzehnt (2007-2017) vor Gericht gekommen sind. Es waren neun Fälle! Und nur bei zwei Fällen erfolgte eine Verurteilung. Was heißt das? Dass wir Frauen haben, die sich selbst zum Opfer machen? Dass sie die Schuld erfinden? Dass sie nicht wissen, wie man eine Anzeige stellt? Definitiv nicht. Die rumänische Polizei vermittelt den Frauen eine klare Botschaft: Wir lösen keine Fälle von sexueller Belästigung. Hört auf, euch zu beschweren, wir haben keine Lust, für solche Sachen unser Büro zu verlassen.“
Diesen Tag endlich überflüssig machen
Mélanie Geelkens, Leitartiklerin bei Le Vif, hat den Aktionstag leid:
„Ich habe die Nase voll davon, immer wieder die gleichen entsetzlichen Statistiken [zu Belgien] zu lesen: 25 Femizide 2023, 22.998 Gewaltakte in der Partnerschaft 2022 (immerhin 63 pro Tag), 20 Prozent Frauen, die im Laufe ihres Lebens vergewaltigt wurden, 53 Prozent eingestellte Vergewaltigungsverfahren, 5 Prozent Lohnunterschiede. … Die Nase voll davon, festzustellen, dass anekdotische, manchmal sogar schädliche Fortschritte (Menstruationsurlaub!) als große feministische Siege dargestellt werden. Die Nase voll davon, dass Feminismus zu einem Schimpfwort geworden ist. … Die Nase voll davon, dass der 8. März noch existiert. Dass er immer noch notwendig ist.“
Noch viele Aufgaben zu bewältigen
ERR Online fragt sich, was getan werden müsste angesichts der Tatsache, dass Estland beim geschlechtsbezogenen Gehaltgefälle mit fast 18 Prozent an der EU-Spitze liegt:
„Die Arbeitgeber tun gut daran, sich für eine transparente und diskriminierungsfreie Lohn- und Personalpolitik einzusetzen. Der öffentliche Sektor kann ein günstiges rechtliches Umfeld schaffen und die Arbeitgeber mit den richtigen Instrumenten unterstützen. ... Aber das Lohngefälle ist keine Frage des Glaubens, sondern der Daten. Der Arbeitsmarktforscher Figure Baltic Advisory hat auf eine interessante Tatsache hingewiesen: Je mehr ein Unternehmen glaubt, dass es kein geschlechtsspezifisches Lohngefälle gibt, desto wahrscheinlicher ist das Gegenteil der Fall.“