Neue Weltordnung oder Chaos?
Vor dem Hintergrund des russischen Angriffs auf die Ukraine, dem Kräftemessen zwischen China und den USA sowie dem nicht endenden Krieg in Nahost schauen europäische Medien auf das internationale multipolare Machtgefüge. Während einige das Entstehen neuer Regeln in den Fokus nehmen, sehen andere schlicht beunruhigende Unordnung.
Europa in der Sackgasse
Schriftsteller Stephanos Konstantinidis analysiert in Phileleftheros:
„Es besteht kaum Zweifel daran, dass die Welt eine Phase anhaltender Instabilität erlebt, so dass UN-Generalsekretär António Guterres von einer vom Chaos bedrohten Welt gesprochen hat. Selbst während des Kalten Krieges gab es eine gewisse Stabilität in den Beziehungen zwischen den Supermächten und eine stillschweigende Vereinbarung über bestimmte rote Linien, die jede Seite zu respektieren hatte. Heute gehört das alles der Vergangenheit an. ... Europa ist zweifellos in mehrfacher Hinsicht in eine Sackgasse geraten: politisch, wirtschaftlich und sozial, aber auch mit der Angst, den amerikanischen Sicherheitsschutz zu verlieren, ohne bereit zu sein, mehr eigene Verantwortung zu übernehmen.“
Niemand kann für Ordnung sorgen
Naftemporiki ist besorgt:
„Kriege, Konflikte und Katastrophen sind fast allgegenwärtig. Kaum ein Tag vergeht ohne beunruhigende und beängstigende Nachrichten. ... In der Welt herrscht jetzt eine große Unordnung. Und das Schlimmste: Niemand hat genug Macht, um Ordnung zu schaffen. Nicht die USA, nicht Russland, nicht China und natürlich nicht einmal annähernd Europa. Die Vereinigten Staaten unter Joe Biden sind ein Paradebeispiel dafür. Der amerikanische Präsident versucht immer wieder, den israelischen Premier zu einem Kompromiss im Gaza-Krieg zu zwingen. Vergeblich. Israels Premier lässt Biden einfach schwach aussehen.“
Den Zeitgeist begreifen
Italiens früherer Finanzminister Giulio Tremonti mahnt in Corriere della Sera:
„In der neuen globalen Welt ging die Macht der 'alten Politik' – einst Staaten und ihren Parlamenten vorbehalten – allmählich auf andere und neue Akteure über. Auf den 'internationalen Finanzmarkt'. ... Oder auf 'Netzgiganten', die in postmoderner Form heute das tun, was die alten Staaten ursprünglich taten: Sie bauten Straßen, garantierten Freiheit, prägten Geld. Heute scheinen dies Datenhighways, telematische Agoras und virtuelle Währungen zu sein. Wenn die Realität heute auf Gedeih und Verderb global ist, können Politik und Demokratie nicht lokal bleiben. Gerade deshalb kann Europa, die Heimat der modernen Demokratie, heute das Experimentierfeld für die Rückkehr von Politik und Demokratie sein.“