Briten wählen am 4. Juli: Warum so früh?
Großbritanniens Premier Rishi Sunak hat den 4. Juli als Termin für die Parlamentswahl im Vereinigten Königreich festgelegt, obwohl es damit bis Januar 2025 Zeit gehabt hätte. Die Briten müssten jetzt entscheiden, wem sie vertrauen, erklärte Sunak am Mittwoch. Kommentatoren erörtern, was den Premier trotz schlechter Umfragewerte zu dem frühen Termin bewogen hat und ob die Tories dennoch Chancen haben.
Konservative haben schon lange kein Mandat mehr
Rishi Sunak hat einen längst überfälligen Schritt vollzogen, so The Guardian:
„Die Entscheidung des Premiers, ein Datum festzusetzen, beruht nicht auf Zuversicht, dass es einen Grund zum Feiern gäbe, sondern auf der Erkenntnis, dass jedes Aufschieben unhaltbar geworden ist. ... Die Konservative Partei, erschöpft und zerrissen durch Fraktionsfehden, ist unregierbar geworden, und das Land fühlt sich unregiert. Der Zeitpunkt, die Wähler zu fragen, ob sie den Tories nochmals die Macht geben wollen, war längst überfällig. Sunaks Regierungsmandat war schon fadenscheinig, als er es von Liz Truss erbte. ... Am Mittwoch konnte Sunak den Plan seiner Partei für eine fünfte Amtszeit nur als 'mehr vom Gleichen' darstellen und davor warnen, dass das Risiko von Veränderungen zu groß sei.“
Flucht nach vorne
Der britische Premier scheint es vorzuziehen, das Unausweichliche so schnell wie möglich hinter sich zu bringen, meint die Kleine Zeitung:
„Sunak tritt die Flucht nach vorne an - ob vorne auch noch seine Zukunft als Premierminister auf ihn wartet, ist eine andere Frage. Für die Konservativen setzte es erst jüngst bei den Kommunalwahlen ein Debakel, die Umfragewerte sind dauerhaft im Keller. Dass die Inflation zuletzt etwas sank, dürfte Sunak bei seinem Schritt bestärkt haben, er hofft darauf, dass die Menschen in Großbritannien eine leichte Entlastung spüren und das goutieren. ... Sunak wirkt wie einer, der nicht mehr viel zu verlieren hat. Das Volk empfindet womöglich ähnlich und wartet nur auf eine Abreibung an der Wahlurne.“
Alles, nur nicht die Tories
Rzeczpospolita sieht Labour im Aufwind:
„Starmer ist kein Blair. Ihm fehlen die Vision und das Charisma des Gründers von New Labour. Auch verspricht der Labour-Chef keine Revolution. Von einer Rückkehr Großbritanniens in die EU oder gar in den Binnenmarkt nach dem Vorbild Norwegens ist nicht die Rede. Es ist auch nicht ganz klar, woher die britische Linke das Geld für die Verbesserung der Infrastruktur (insbesondere des Verkehrswesens) oder des Gesundheitswesens nehmen will. Die Ermüdung über die Konservativen ist jedoch so groß, dass viele Insulaner bereit sind, für jedwede Alternative zum Status Quo zu stimmen.“
Hoffnung auf langfristige Rückkehr in die EU
Dagens Nyheter rechnet damit, dass Labour neue Impulse setzt:
„Keir Starmer ist ein zentristischer und pro-europäischer Politiker - auch wenn er niemandem den Eindruck vermitteln möchte, dass er den Brexit zurücknehmen will. Fairerweise muss man sagen, dass ein britischer Wiedereintritt wahrscheinlich noch eine Generation entfernt ist. Aber wenn der nächste Premier auf die EU zugehen würde, wäre das ein Gewinn für alle. Ein neues Handelsabkommen würde die britische Wirtschaft ankurbeln. Und im Umgang mit Russland ist eine verstärkte sicherheitspolitische Zusammenarbeit notwendig. Die Briten wurden schon früher abgeschrieben, sind aber zurückgekommen. Hoffentlich tun sie das wieder - auch nach Europa.“