Selenskyjs Friedensplan: Luftschloss oder Lösung?
Drei Tage hat der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den USA auf den verschiedensten Ebenen für seinen "Siegesplan" geworben, der mittels massiver Militärhilfe das Erzwingen eines russischen Einlenkens vorsieht. Heute wird er das Konzept mit Präsident Biden diskutieren. Die Presse hat ihre Zweifel - sowohl was die nötige US-Unterstützung als auch die Umsetzbarkeit des Plans betrifft.
Die letzte Chance für die Ukraine
Der Publizist Timothy Garton Ash mahnt in El País, dass die Zeit knapp wird:
„Selbst wenn die USA und ihre Verbündeten alles tun, was von ihnen verlangt wird, wäre das effektiv genug für Putins Generäle, um ihm 'zu sagen, dass er verliert'? ... Vielleicht ist dies die letzte Chance für die Ukraine, so etwas wie einen Sieg zu erringen. ... Wenn nicht, wird Kyjiw wohl im nächsten Jahr zur Einstellung der Feindseligkeiten aufrufen und aus einer Position der Schwäche heraus verhandeln müssen. Das wäre kein Frieden, sondern eine Pause vor einem neuen Krieg. In der Ukraine würde Verzweiflung herrschen, im Kreml Jubel, und im Rest der Welt unaufhaltsame Verachtung für die Schwäche des Westens.“
Eher Wunschliste als Zukunftskonzept
Präsident Selenskyjs 'Siegesplan' dissoniert mit der harten Wirklichkeit, meint Jutarnji list:
„Der ukrainische Präsident bewegt sich im Bereich der Wünsche, nicht der Realität. 'Dieser Herbst wird entscheidend sein für den weiteren Verlauf des Kriegs' ist einer seiner seltenen Sätze, die mit der Realität übereinstimmen. Wie hart hat er den Westen kritisiert, weil der keine F-16 geliefert hat. Als sie doch kamen, haben sie die Lage auf dem Schlachtfeld nicht verändert. ... Selenskyj stellt trotz allem in den USA seinen 'Siegesplan' vor - ein Plan mit einem surrealen Namen, den wichtige Großmächte, wie zum Beispiel China, nicht unterstützen. Laut Bloomberg wird der Plan im Westen als 'Wunschliste' interpretiert.“
Kein echter Frieden ohne Russlands Kollaps
Laut gazeta.ua kann eine tragfähige Friedenslösung nicht durch politische Wunschvorstellungen der ukrainischen Führung und ihrer westlichen Verbündeten erreicht werden:
„Im Herbst oder irgendwann einmal kann man natürlich etwas unterzeichnen, was Frieden oder Waffenstillstand hieße. Man kann sogar von Wahlen in der Ukraine im Frühjahr 2025 träumen, wie es einige unserer Partner im Westen jetzt tun. … Aber jede solche Idee muss nicht in der Fantasie, sondern in der Realität umgesetzt werden. Wenn Russland nicht in diesem Herbst oder im nächsten Frühjahr zusammenbricht, wird es weder Frieden noch Wahlen geben. Ganz gleich, was auf höchster Ebene unterschrieben oder beschlossen wird.“
Putins Machtverlust ist Bedingung
Carl Bildt, ehemaliger schwedischer Premier und Diplomat, beschreibt in Delfi zwei entscheidende Konditionen:
„Erstens muss Putin die Macht verlieren. Mit eiserner Faust hält er sowohl den Kreml als auch die russische Gesellschaft im Würgegriff und denkt sicher am wenigsten daran, seine imperialistischen Ambitionen aufzugeben und den Weg für einen echten Frieden freizumachen. Zweitens: Die Zukunft der Ukraine muss durch eine klare Mitgliedschaft in der EU und durch verlässliche Sicherheitsvereinbarungen mit dem Westen gesichert werden. ... Ein solcher Frieden wäre nicht nur für die Ukraine, sondern auch für Russland von Vorteil. Nur wenn sich Moskau von den zerstörerischen imperialistischen Projekten befreit, kann es zu einer normalen, prosperierenden Nation des 21. Jahrhunderts werden.“
Gebietsabtretungen nicht ausgeschlossen
Für hvg sieht es so aus, als sei die Ukraine bereit, Gebiete aufzugeben, aber Russland wäre das wohl nicht genug:
„Es ist bemerkenswert, dass keine der durchgestochenen Informationen über Selenskyjs 'Siegesplan' darauf hindeutet, dass der ukrainische Präsident darauf besteht, dass es nur dann Frieden geben kann, wenn Moskau sich aus allen besetzten Gebieten zurückzieht und Entschädigung für die Zerstörungen zahlt. Daraus lässt sich folgern, dass die ukrainische Führung bereit sein könnte, im Gegenzug für westliche Sicherheitsgarantien - vorübergehend - auf einige Gebiete zu verzichten. Die von der Ukraine geforderten echten Sicherheitsgarantien sind jedoch für den Kreml inakzeptabel. Putin besteht angeblich darauf, dass sich die Ukraine zu ewiger Neutralität verpflichtet.“
Trump ist alles egal
Donald Trump verweigert offenbar ein Treffen mit Selenskyj. Sein Verhalten zeigt, dass er sich gegen die Ukraine entschieden hat, schreibt Rzeczpospolita:
„Es scheint, dass Trump sich endgültig dazu entschlossen hat, sich gegen Bidens US-Politik in der Ukraine zu stellen. Vielleicht tut er dies aufgrund der Stimmung seiner Wähler, vielleicht sind auch andere, noch unbekannte Gründe im Spiel. So oder so zeigt er, dass ihm die von Selenskyj aufgestellten Pläne und Ideen zur Beendigung des Kriegs egal sind.“
Kyjiw stellt klar, wer wem etwas schuldet
Der Politologe Wladimir Pastuchow interpretiert in einem von Echo übernommenen Telegram-Post Selenskyjs Interview für den New Yorker am Vorabend seines Besuchs in Washington:
„Auffällig ist der Wechsel des Tons in der Kommunikation mit dem Westen. Es hat sich endgültig eine anklagende, fordernde Tonart durchgesetzt. ... Die Ukraine ist niemandem etwas schuldig, sondern man ist ihr etwas schuldig. Sie kämpft für den Westen und anstelle des Westens. ... Die Frage ist, wer für die Beendigung des Krieges bezahlt. Die Ukraine hat nicht vor, mit ihren Gebieten zu zahlen. Bezahlen soll der Westen mit seinen Waffen und seinem Geld. Die Ukraine erwartet nach wie vor die baldigste Aufnahme in die Nato und die Lieferung von für den Sieg nötigen Waffen.“
Ukraine auf keinen Fall aufgeben
Vor einem Waffenstillstand mit den durch den Krieg verschobenen Grenzen warnt der frühere rumänische Außenminister Teodor Baconschi in Libertatea:
„Das würde mittel- und langfristig die Sicherheit der EU gefährden, da Putin seine Armeen an einer viel näher an den Westen gerückten Grenze verewigen würde, die Ukraine endemisch verwundbar bliebe, ehemalige Sowjetrepubliken noch tiefer von der Kreml-Propaganda und ihren kriminellen Netzwerken durchdrungen würden. 'Souveränistische' und euroskeptische Parteien würden bei den Wahlen immer stärker werden und revisionistische Staaten im Rest der Welt sich durch die Politik der vollendeten Tatsachen ermutigt fühlen, jedes fremde Gebiet zu erobern. ... Die Fähigkeit der USA, die internationale Ordnung zu kontrollieren, würde erheblich und vermutlich unwiderruflich sinken.“
Signal an die Nato
Delfi-Kolumnist Rimvydas Valatka kritisiert:
„Die Ukraine bittet die USA immer noch darum, westliche Raketen einsetzen zu dürfen, um russische Militärstützpunkte in Russland anzugreifen. Die USA werden dies jedoch nicht zulassen. In beschämender Weise verlangen sie von der Ukraine, mit gebundenen Händen in den Krieg gegen Russland zu ziehen. Die jüngsten Angriffe der Ukraine auf russische Munitionsdepots sind auch ein Signal an die Nato, dass die Ukraine bald nicht mehr auf westliche Raketen angewiesen sein wird, sondern ihre eigenen Waffen entwickeln und bauen wird.“