Gewalt gegen israelische Fußballfans: Was tun?

Nach dem Fußballspiel Ajax Amsterdam gegen Maccabi Tel Aviv haben letzte Woche pro-palästinensische Randalierer nach Behördenangaben gezielt israelische Fans verfolgt und tätlich angegriffen. Europas Presse sieht die Gewalt als Hinweis auf einen antisemitischen Trend. Doch auch die Reaktionen auf das Geschehen machen ihr Sorgen.

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Mladina (SI) /

Was in Gaza geschieht, empört Europa weit weniger

Mladina diagnostiziert Doppelmoral:

„Paradoxerweise wurde genau an diesem Tag [der Ausschreitungen in Amsterdam] ein Bericht des Büros der Vereinten Nationen für Menschenrechte veröffentlicht, wonach fast 70 Prozent (!) der Toten seit Beginn der israelischen Militäreinsätze im Gazastreifen Frauen und Kinder waren. Aber niemand erzürnte sich besonders über diese schlechte Nachricht. Ist halt Krieg. Israels Recht auf Selbstverteidigung. Doch in ganz Europa und der Welt äußerte man einhellig Empörung und Solidarität mit dem israelischen Regime, das zunächst versuchte, die provokanten Fans mit einem militärischen Lufteinsatz zu retten und zu evakuieren. Diese offensichtliche Heuchelei und Doppelmoral fügt dem vereinten Europa irreparablen Schaden zu.“

De Volkskrant (NL) /

Auf dem Weg zu einem Zwei-Klassen-Rechtssystem

In den niederländischen Regierungsparteien will man muslimische Niederländer für die Angriffe auf israelische Fußballfans streng bestrafen. Dazu kann auch der Entzug der niederländischen Staatsbürgerschaft gehören, was De Volkskrant für eine gefährliche Entwicklung hält:

„Das Ziel ist deutlich: Wer wegen Teilnahme an einer terroristischen Organisation verurteilt wird, kann zum unerwünschten Ausländer erklärt werden - das betrifft dann auch diejenigen, die eine doppelte Staatsangehörigkeit haben. ... Das ist eine Rechtsungleichheit, die unter Juristen sehr umstritten und schlichtweg stigmatisierend ist, wenn dies nun auch für kleinere Vergehen gelten soll. Dann kommt es unvermeidlich zum Endergebnis, dass für große Gruppen Niederländer ein alternatives Rechtssystem gilt.“

Obosrewatel (UA) /

Die Welt muss aufwachen

Borys Loschkin, Präsident der Jüdischen Konföderation der Ukraine, zeigt sich in Obosrewatel entsetzt über die Gewalt:

„Das waren nicht die üblichen Zusammenstöße zwischen Fußballfans. Juden wurden von Autos angefahren, geschlagen, mit Messern angegriffen und in den Fluss getrieben, weil sie Juden sind. … All das geschah nicht 1938, sondern 2024 und mitten in Europa, einen Tag vor dem Jahrestag der sogenannten Kristallnacht. Vor 86 Jahren hatte auf diese Weise der Holocaust begonnen. Es ist die Zeit, dass die Welt aufwacht.“

Göteborgs-Posten (SE) /

Das Gesicht eines neuen Antisemitismus

Aus Sicht von Göteborgs-Posten belegen die Ereignisse in Amsterdam einen europaweiten Trend:

„Um den modernen Antisemitismus in Europa zu verstehen, ist es von Nutzen, den norwegischen Historiker Johannes Due Enstad zu lesen. Laut seiner Studie über Antisemitismus in Europa seit 2018 sind das Vorhandensein einer weit verbreiteten kritischen Haltung gegenüber Israel sowie eine große muslimische Community die wichtigsten Ursachen von umfassendem Antisemitismus in einem Land. Dies, so Due Enstad, stärke die Hypothese von einem 'neuen' Antisemitismus, der aus Hass auf Israel erwächst. Diese Einsicht muss man verinnerlichen, um zu verstehen, dass es sich bei den derzeitigen Ereignissen nicht um isolierte Phänomene handelt – sie sind Teil eines größeren Problems im gesamten Westeuropa.“

taz, die tageszeitung (DE) /

Das waren Hetzjagden

Den Hinweis, dass auch die israelischen Fans zu den Vorfällen beigetragen hätten, lässt die taz nicht gelten:

„Ja, die aktive Fanszene von Maccabi Tel Aviv ist teilweise von rechten Hools geprägt, wie der Gruppe 'Fanatics'. Sie randalierten selber vor dem Spiel, rissen Palästina-Flaggen von Fenstern und sangen rassistische und kriegsverherrlichende Lieder auf ihrem Weg ins Stadion. Rechtfertigt dies jedoch die zügellose Gewalt, die sich nach dem Spiel deutlich zeitversetzt abspielte? Ist es legitim gewesen, dass man die Stadt nach Israelis durchsuchte, völlig irrelevant, ob sie zu Maccabi gehören? Ist es fair, jeden einzelnen Fan ins Visier nehmen zu dürfen? Frauen, Familien, Kinder? Das in Amsterdam waren Hetzjagden.“

De Volkskrant (NL) /

Hass nicht mit Hass bekämpfen

De Volkskrant mahnt, dass die Debatte nun nicht nur über den Polizeieinsatz gehen darf:

„Das lenkt von der Frage ab, warum zu viele Randalierer ihre Abneigung gegen die israelische Gewalt im Gazastreifen nicht von ihrer offensichtlichen Abneigung gegen Juden im Allgemeinen trennen können. Das muss im Kontext mit Untersuchungen gesehen werden, wonach inzwischen ein Viertel der niederländischen Jugendlichen und jungen Erwachsenen den Holocaust bagatellisiert. ... Um den Trend umzukehren und Menschen wieder miteinander ins Gespräch zu bringen, sind langfristige Anstrengungen nötig. Wenn die Debatte von Politikern dominiert wird, die ihrerseits darauf drängen, Menschen zu deportieren, kommt das Land keinen Schritt weiter.“

La Repubblica (IT) /

Engagierteres Europa notwendig

Die EU muss ihr Augenmerk auf die Ursache des neuen Antisemitismus lenken, fordert La Repubblica:

„Um zu verhindern, dass es zu weiteren Amsterdams kommt, kann und muss man sicherlich auf eine kollektive Mobilisierung der Gewissen setzen. ... Aber es ist auch und vor allem notwendig, dass die europäischen Regierungen den Mut und die Entschlossenheit aufbringen, die Bedingungen und Voraussetzungen zu schaffen, einem Konflikt ein Ende zu setzen, der zur Quelle des Hasses geworden ist, aus dem sich jeder antisemitische Impuls speist. Dies gilt umso mehr, als mit Donald Trump ein Präsident ins Weiße Haus zurückkehrt, der bereit ist, die Waffenarsenale Israels aufzufüllen und die Fortsetzung des Krieges zu unterstützen.“