Tod des Hamas-Chefs: Wie geht es im Gaza-Krieg weiter?

Der Chef der radikal-islamischen Hamas und mutmaßliche Drahtzieher des Massakers vom 7. Oktober 2023, Jahia Sinwar, ist tot. Er sei bei einem Einsatz des israelischen Militärs im Gazastreifen getötet worden, hieß es nach Angaben des Außenministeriums in Jerusalem. Kommentatoren debattieren, ob die veränderte Lage neue Chancen bietet.

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Neue Zürcher Zeitung (CH) /

Wende ist nun möglich

Nun rückt ein Ende der Gaza-Offensive in greifbare Nähe, meint die Neue Zürcher Zeitung:

„Sinwars Tod könnte den Verhandlungen einen neuen Schub geben und Israel den Sieg erklären lassen – es könnte der Anfang vom Ende des Gaza-Kriegs sein. ... Die Hamas ist allerdings seit Jahrzehnten an die Tötung ihrer Führer gewöhnt. ... Auch dieses Mal wird die Organisation aller Wahrscheinlichkeit nach einen neuen Führer ernennen. ... So oder so: Israel hat mit der Tötung von Sinwar einen grossen Sieg in dem bereits über ein Jahr anhaltenden Krieg eingefahren. ... Ein Waffenstillstand würde nicht nur das Leid der Bewohner des Gazastreifens beenden, sondern auch die erschöpfte israelische Gesellschaft ein Stück näher zum Frieden bringen.“

Libération (FR) /

Einmalige Gelegenheit für einen Deal

Für Dov Alfon, Chefredakteur von Libération, ist Sinwars Tod eine riesige Chance:

„Wenige werden die Ermordung Sinwars betrauern, doch sein Tod bringt eine einmalige Gelegenheit für die USA, Israel zu einem Rückzug aus Gaza und zum Beginn des Wiederaufbaus zu drängen, zumal der für die Front zuständige israelische General vor Kurzem mitgeteilt hat, dass die meisten militärischen Ziele in Gaza erreicht seien. Das Schicksal der 63 vermutlich noch lebenden Geiseln liegt in den Händen Teherans, das sie vor möglichen Racheakten ihrer Kerkermeister retten und ihre Freilassung gegen eine israelische Zusage zu einem Verzicht auf die angekündigten Vergeltungsmaßnahmen nach Irans Angriff aushandeln könnte. … Das wäre nur gerecht und würde den eigentlichen Tod Jahia Sinwars bedeuten.“

Le Soir (BE) /

Kurzzeitige Hoffnung schon wieder erstickt

Das Fenster für eine Befriedung ist umgehend zerschmettert worden, klagt Le Soir:

„Kein Tod – egal, ob es der des höchsten palästinensischen Anführers, des unbarmherzigsten Kämpfers oder des pazifistischsten Aktivisten ist – wird den legitimen Wünschen der Palästinenser nach Selbstbestimmung ein Ende setzen. Die einzige Hoffnung, die in dieser höchst verzwickten Lage hätte aufkeimen können, wäre, dass die Hamas ebenso wie der israelische Premierminister den Tod Sinwars dazu nutzen, endlich ein Abkommen für die Befreiung der Geiseln und eine Waffenruhe zu vereinbaren. Doch Netanjahus Sturheit kennt keine Grenzen: 'Wir beenden den Krieg nicht. Wir werden in Rafah einziehen', hat der Regierungschef unverzüglich klargestellt.“

The Spectator (GB) /

Eindringliche Warnung an die Feinde Israels

Sinwars Tötung ist aus mehreren Gründen bedeutend, betont The Spectator:

„Bislang stellte Jahia Sinwar das Haupthindernis für ein Abkommen mit Israel dar, denn andere in der Hamas wollten ein Abkommen. Israel hofft auch, dass die Ausschaltung der Hamas-Führung der politischen Macht der Hamas in Gaza ein Ende bereiten wird. ... In jedem Fall hat die Tötung von Sinwar eine symbolische Bedeutung. Dies ist nicht nur die Rache Israels am Drahtzieher des größten Massakers an Juden seit dem Holocaust. Israel hat nun erfolgreich die obersten Anführer der Hamas und der Hisbollah in Gaza, im Libanon und im Iran getötet. Es hat seinen Feinden gezeigt, dass Israels langer Arm jeden erreichen kann. Dies sollte eine eindringliche Warnung für Israels Feinde sein.“

Corriere della Sera (IT) /

Lösung noch stärker abhängig von Teheran

Nun fällt ausgerechnet dem Iran eine zentrale Rolle zu, erklärt Corriere della Sera:

„Wer wird nun für die Hamas sprechen? Eine politische Vertretung wurde in Katars Hauptstadt Doha wiederhergestellt, aber sie repräsentiert möglicherweise nicht das, was von der Miliz vor Ort in Gaza übrig geblieben ist. Ein Paradoxon der jüngsten israelischen Triumphe an der Militär- und Spionagefront besteht darin, dass sie die Rolle des Iran noch zentraler machen. Da der Mossad und die israelischen Streitkräfte sowohl die Hamas als auch die Hisbollah enthauptet haben, hängt das, was von diesen bewaffneten Gruppen übrig geblieben ist, von Teherans Hilfe ab. Können die iranischen Ajatollahs diese zerstückelten und geschwächten Milizen dazu bringen, Bedingungen zu akzeptieren, die sie bis gestern abgelehnt haben?“