Rechtsruck auch bei Parlamentswahl in Rumänien
Die sozialdemokratische PSD ist bei der Wahl zum rumänischen Parlament mit 22 Prozent stärkste Partei geworden. Sie könnte nun mit drei anderen traditionellen Parteien eine Vierer-Koalition eingehen. Drei rechtspopulistische Parteien kamen jedoch zusammen auf etwa 32 Prozent. Unterdessen hat das Verfassungsgericht das Ergebnis der ersten Runde der Präsidentenwahl gebilligt, der extrem rechte Kandidat Călin Georgescu kann also am Sonntag antreten.
Votum gegen den Minimalstaat
Das Wahlresultat ist ein Protest gegen die Aushöhlung des Staatswesens, heißt es im Blog von Libertatea:
„Der Minimalstaat ist nicht unbedingt ein Staat, der wenig Geld ausgibt. Sondern ein Staat, der viel ausgibt, um die Wirtschaft zu unterstützen statt essenzielle Bereiche des öffentlichen Interesses wie Gesundheit und Bildung. Er ist der Autobahn-Staat und nicht der Staat der Rumänischen Bahn CFR oder des öffentlichen Nahverkehrs, er ist der Staat der Amtssitze statt der Staat der Sozialwohnungen. Viele Menschen spüren den Staat gar nicht mehr in ihrem Leben. Vor allem die in einer angespannten Lage befindliche Mittelschicht nicht, die weder diverse Sozialleistungen erhält noch etwas von den indirekten Ausgaben des Staates hat.“
Ungarische Minderheit schielt auch zum extrem Rechten
Publizist Péter Demény bezeichnet das Verhalten der ungarischen Minderheitspartei in Transtelex als schwer vorhersehbar:
„Hunor Kelemen [Vorsitzender der Demokratischen Allianz der Ungarn in Rumänien, RMDSZ] fordert seine Wähler auf, ihre Stimme für Elena Lasconi zu geben. Das ist eine schöne Geste, aber die Rhetorik und die Gesten der RMDSZ haben nicht immer in die Richtung gezeigt, die sie jetzt verlautbart – kein Wunder, dass bestimmten Umfragen zufolge 50 Prozent der [ethnischen] Ungarn diesen Herrn [den extrem Rechten Georgescu] wählen würden. Die ständige Beschuldigung von 'Brüssel' und 'Soros', die Angstmache über LGBTQ, die ständige Wiederholung von Frieden im Gegensatz zu 'Kriegsbefürwortern', die Agenda der Identitätsbewahrung über alles hat zu dieser Situation geführt, und nicht andere Gründe.“
Ergebnis beflügelt Rechtsextreme
Beide Wahlen haben die Empfänglichkeit für rechtes Gedankengut in der Gesellschaft belegt, heißt es im Rumänischen Dienst der Deutschen Welle:
„Ausgebliebene politische Reformen und dass politisches Klientel Vorrang vor qualifiziertem Personal hat, hat die Extremisten auf gut 30 Prozent gebracht. Auch wenn diese nicht an die Regierung kommen, haben sie bereits genug Macht und Sichtbarkeit, um Schaden anzurichten, wenn die staatlichen Institutionen passiv bleiben. So haben beispielsweise am Samstag gut 100 Leute in Tîncăbești des Anführers der Legionärsbewegung, Corneliu Zelea Codreanu, gedacht, der in der Zwischenkriegszeit bekannt für seine extreme Gewalt gegen Juden und für politische Anschläge wurde. Das war keine einfache religiöse Andacht, da wurden Nazigrüße gezeigt und die alten Legionärslieder gesungen.“
Brüche in der Gesellschaft vertiefen sich
Der Aufstieg der rechtspopulistischen Parteien hat schwerwiegende Folgen für die Demokratie, heißt es bei Jurnalul National:
„Die rechtsextremistischen Parteien setzen bei ihrer Rhetorik auf Antagonismus: zwischen den Klassen und den sozialen Kategorien, zwischen den Ethnien, Religionen oder politischen Orientierungen. Diese Herangehensweise schafft tiefe Spaltungen zwischen verschiedenen sozialen Gruppen, zerstört die Kohäsion und Solidarität, die eine funktionierende Demokratie erhalten. Die Untätigkeit gegen extremistische Parteien hat verheerende Folgen für die Demokratie. ... Die Geschichte zeigt, das bei unkontrolliertem Extremismus das Risiko politischer Gewalt erheblich steigt.“
Die Kirchen sind mitverantwortlich
Desinformation und bigotte Religiosität tragen ebenfalls zum Ergebnis bei, meint Népszava:
„Längst nicht jeder, der für die rechtsextremen Parteien in Rumänien gestimmt hat, ist ein faschistischer 'Legionär' - aber die meisten sind Verschwörungsgläubige oder blind religiös. Die Wahlen in Rumänien in den letzten Wochen sollten in unserer Region die Alarmglocken schlagen lassen. Es hat sich gezeigt, dass die Verflechtung von Politik und Kirche, unterstützt durch ein bisschen professionelle russische Desinformation und populäre Verschwörungstheorien, die sich ungestört auf einer in chinesischem Besitz befindlichen Plattform [TikTok] verbreiten, toxisch ist und für die Zukunft des demokratischen Europas fatal sein könnte.“
Chance auf Balance bleibt
Rumänien rückt nach rechts, beklagt Der Standard:
„Der prorussische Faschismusverherrlicher Călin Georgescu wird wahrscheinlich kommenden Sonntag in der Stichwahl zum Staatschef gewählt werden. Das ist schwer zu verhindern, weil sich die sozialdemokratischen Wählerinnen und Wähler, die eher auf dem Land leben und wertkonservativ, älter und weniger gebildet sind, kaum für die liberale Kandidatin Elena Lasconi begeistern lassen. Derweilen formiert sich eine Mehrheit gegen die Rechten für die Bildung einer Regierung. ... Präsident und Regierung dürften entgegengesetzten Lagern angehören, was den prowestlichen Kräften zumindest ermöglicht, radikale Schritte des unberechenbaren Georgescu abzufedern.“