Mord an Versicherungs-CEO: Woher rührt die Häme?
Am 4. Dezember ist Brian Thompson, Chef der Versicherung United Healthcare, in New York auf offener Straße erschossen worden. Seither konnte der mutmaßliche Täter, Luigi M., gefasst werden. Der 26-Jährige wird von vielen US-Amerikanern nun als Volksheld verklärt, sitzt doch der Frust über das Gesundheitssystem tief. Kommentatoren suchen nach Erklärungen.
Tiefes Misstrauen gegen alle Institutionen
Laut The Irish Independent offenbaren die Reaktionen auf den Mord die Wut der Amerikaner auf das System:
„Thompsons Erschießung ist in vielerlei Hinsicht ein trauriges Ereignis: der Tod eines Menschen, der Schmerz seiner Familie, das zunehmend schwindende Sicherheitsgefühl der Menschen. Aber die Reaktionen auf seine Ermordung sind ein weiterer Grund zur Trauer. Sie spiegeln das Misstrauen und die Wut auf nahezu jede Institution in den USA wider, die regiert, informiert, schützt und beschäftigt. Ob es sich um den 'Schattenstaat', Fake News oder die Konzernbosse handelt – einfach alles ist verdächtig. Dieser Zynismus nährt den Glauben, dass die Rettung nur durch einen echten Superhelden oder einen selbsternannten Ordnungshüter kommen wird. ... Bei der Erschießung von Thompson gibt es aber keine Helden.“
Vertrauen in Demokratie schwindet
Für die Süddeutsche Zeitung ist der Jubel in den sozialen Medien beängstigend:
„Weite Teile der amerikanischen Gesellschaft sind offenbar an einem Punkt angekommen, an dem sie Mord für ein legitimes Mittel halten, um sich gegen Ungerechtigkeiten zu wehren. Alles ist erlaubt, damit sich endlich irgendetwas ändert. Das offenbart ein Gefühl der Hilflosigkeit und vollständig verschwundenes Vertrauen in die Demokratie. ... Ein normales Mittel im demokratischen Prozess wäre es, Politiker zu wählen, die dieses kaputte System reformieren. Oder von den schlimmsten Versicherern, zu denen United Healthcare zählt, zu besseren zu wechseln. Aber immer weniger Menschen glauben, dass solche Schritte etwas bewirken können.“
Enorme Unzufriedenheit mit Gesundheitswesen
Rzeczpospolita sucht nach den Gründen für die Schadenfreude:
„In den sozialen Medien mangelt es nicht an Solidaritätsbekundungen mit dem Angeklagten. ... Die Amerikaner befinden sich in einer ausweglosen Situation. Viele von ihnen haben keine andere Wahl, als teure Versicherungen abzuschließen. Deren Qualität lässt jedoch sehr zu wünschen übrig. Statistiken belegen, dass trotz der sehr hohen Kosten der Policen im Falle einer Krankheit oder eines Unfalls etwa ein Sechstel der Anträge auf Erstattung abgelehnt werden.“
Bitte als Warnsignal verstehen
Auch in Schweden wächst der Frust über das Gesundheitssystem, betont Aftonbladet:
„Hier ist das Gesundheitswesen privatisiert und ausgehungert worden. Die Warteschlangen für lebenswichtige Operationen sind zu lang und die Ressourcen zu gering. Gleichzeitig schließen immer mehr Schweden eine private Krankenversicherung ab. ... Die Mitarbeiter, die in den privaten Sektor wechseln, würden im öffentlichen Bereich dringend gebraucht. Die Tatsache, dass einige die Warteschlangen umgehen können, verstößt gegen das Grundprinzip schwedischer Gesundheitsfürsorge, nämlich die Behandlung nach Bedarf. ... Solange diese Ungerechtigkeiten zunehmen, sollten wir uns nicht wundern, wenn auch der Frust zunimmt.“