Waffenruhe in Gaza: Echte Chance auf Frieden?

Ab Sonntag soll im Gaza-Streifen eine Waffenruhe zwischen Israel und der Hamas gelten. In der ersten von drei Phasen sollen nach und nach 33 israelische Geiseln und Hunderte palästinensische Gefangene freikommen. Die Medien beleuchten die Tragfähigkeit der Vereinbarung für einen nachhaltigen Frieden in der Region.

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Dagens Nyheter (SE) /

Wertvoll für alle Seiten – aber bitte dranbleiben

Dagens Nyheter unterstreicht das Positive:

„Der Frieden ist noch weit entfernt. Dafür bedarf es einer palästinensischen Alternative zur Hamas sowie einer israelischen Regierung, die einen palästinensischen Staat akzeptiert – und die bereit ist, sich sowohl aus Gaza als auch aus dem Westjordanland zurückzuziehen. Doch der Wert einer dauerhaften Waffenruhe ist unglaublich hoch. Für die Geiseln, die nach Hause kommen dürfen. Für alle, die im Gazastreifen leiden. Für die israelische Demokratie, wo die Wahl einer neuen Führung wieder möglich ist. Voraussetzung dafür ist, dass der designierte US-Präsident nach Erhalt seines Willkommensgeschenks nicht das Interesse verliert.“

Večer (SI) /

Saubere Aufarbeitung entscheidend

Večer freut sich, pocht aber auf weitere Schritte:

„Das Abkommen, so zerbrechlich es auch sein mag, gibt den palästinensischen Zivilisten doch Hoffnung auf ein Ende der Massaker an ihnen und den Israelis Hoffnung auf die Rückkehr von rund 60 ihrer noch lebenden Geiseln nach Hause. ... Aber es wird erst Frieden geben, wenn die Besatzung endet, das Völkerrecht siegt und die Täter verurteilt werden. ... Es wäre großartig, wenn sofort internationale Friedenstruppen und Strafermittler sowie Journalisten in der Region eintreffen würden und vor allem humanitäre und medizinische Hilfe für die Bevölkerung geleistet würde, gefolgt von Bemühungen, das zerstörte Land wieder aufzubauen.“

Welt (DE) /

Israelische Politik ist erpressbar

Es ist kein gutes Abkommen für Israel, findet die Welt:

„Israel war zu schwierigen Kompromissen gezwungen, um der furchtbaren Tortur der israelischen Geiseln in der Hand der Hamas ein Ende zu bereiten. ... Es ist eine Stärke der israelischen Gesellschaft, dem Leben der eigenen Mitbürger solch einen hohen Stellenwert einzuräumen – es ist aber auch ihre Achillesferse. Weil es die israelische Politik erpressbar macht. Und diese Schwäche hat sich die Hamas zunutze gemacht, als sie die Geiseln nach Gaza entführte. Das Erpressungspotenzial, das die Terroristen damit in die Hand bekamen, hat sie nun vor gänzlicher Auslöschung in Gaza bewahrt, weil es Israel zwingt, eine Waffenruhe einzugehen, bevor die Hamas militärisch gänzlich besiegt ist.“

eldiario.es (ES) /

Netanjahu will Palästina-Frage arabisieren

Israels Strategie für die künftige Regierung des Gazastreifens glaubt eldiario.es zu kennen:

„Netanjahu wird nicht zulassen, dass die Enklave zu einem 'Hamastan' oder einem 'Fatahland' wird. ... Er will die Vereinigten Arabischen Emirate und Ägypten in die Regierungsführung einbeziehen. ... Beide Länder sollen Truppen vor Ort stationieren und die Sicherheit im Gazastreifen gewährleisten. Damit würde er die Palästinensische Autonomiebehörde übergehen und die palästinensische Frage arabisieren: Er gibt den Fall Palästina an die arabische Gemeinschaft zurück, die viel eher bereit ist, am Verhandlungstisch Zugeständnisse zu machen und die Rechte der palästinensischen Nation als Verhandlungsmasse zu behandeln.“

NRC (NL) /

Risse, die vielleicht nie wieder heilen

Lange Nachwirkungen dieses Krieges prophezeit NRC:

„Im Krieg in Gaza hat die Welt sich von der schlechtesten Seite gezeigt. Auch wenn der Krieg mit dieser Waffenruhe vorläufig endet, werden seine Folgen noch jahrzehntelang zu spüren sein, wenn nicht länger. In Gaza selbst, wo unfassbares Leid geschehen ist. Aber auch weltweit. ... Spannungen in Gesellschaften haben zugenommen, Bevölkerungsgruppen wurden gegeneinander in Stellung gebracht, in vielen westlichen Ländern sind Antisemitismus und Hass gegen Muslime angestiegen. In Europa, auch in den Niederlanden, entstanden Risse in der Gesellschaft, die vielleicht nie wieder heilen.“

Der Standard (AT) /

Positive Dynamik aufrechterhalten

Der Standard zeigt sich erleichtert:

„Endlich darf wenigstens ein Teil der am 7. Oktober 2023 verschleppten Geiseln zurückkehren. Endlich dürfen hunderttausende Menschen die überfüllten Flüchtlingslager im Süden des Gazastreifens verlassen. Endlich können sich die Menschen im Norden des Gebietes bewegen, ohne Todesängste auszustehen. … Jetzt heißt es: Durchhalten. Einen Deal zu unterzeichnen – und selbst das steht noch bevor – ist das eine. Ihn am Leben zu erhalten, auch über die ersten zwei Wochen hinaus, ist die wahre Herausforderung. Was nun unbedingt notwendig ist: Den Druck, der diese Einigung möglich machte, auch in den nächsten Monaten aufrechtzuerhalten. Die Welt sollte sich dabei nicht nur auf Donald Trump verlassen.“

El Mundo (ES) /

Ein Schritt nach vorn

El Mundo sieht große Chancen und Herausforderungen:

„Der Pakt ist aus humanitärer Sicht ein klarer Fortschritt. ... Aus geopolitischer Sicht ist er ein – wenn auch fragiler – Schritt hin zur notwendigen Stabilisierung des Nahen Ostens. ... Die Waffenruhe ermöglicht es Netanjahu und Trump, die Beziehungen zwischen Israel und den arabischen Ländern zu normalisieren. ... Israel hat seine Abschreckungsfähigkeit wiederhergestellt und die Hamas und die Hisbollah zerschlagen, während sich der Status quo im Nahen Osten zum Nachteil des Iran verändert hat. Die Welle von Schlägen gegen die 'Achse des Widerstands' hat das Ajatollah-Regime nachhaltig geschwächt. ... Netanjahu wiederum wird dem Druck der Hardliner in seinem Kabinett widerstehen müssen. ... Die Herausforderungen sind enorm.“

Liberal (GR) /

Komplexe politische Faktoren

Es wird nicht leicht sein, die Waffenruhe umzusetzen, prognostiziert Liberal:

„Der aktuelle Entwurf des Abkommens zu einer Waffenruhe im Gazastreifen basiert auf dem von Biden Ende Mai bekannt gegebenen Plan. ...Die Umsetzung des Abkommens und insbesondere die zweite und dritte entscheidende Phase des Abkommens werden der Trump-Administration 'überlassen', wobei die Tragfähigkeit des Abkommens von den laufenden Verhandlungen mit der Hamas und komplexen politischen Faktoren innerhalb Israels abhängt. Die Hamas wird die letzten Geiseln nicht 'einfach' aufgeben (die Freilassung wird schrittweise erfolgen, was für die Familien der Geiseln beunruhigend ist), und Netanjahu agiert auch in einem schwierigen innenpolitischen Umfeld unter den Einwänden seiner rechtsextremen Partner.“

Politiken (DK) /

Westen muss Wiederaufbau mitfinanzieren

Nach der Waffenruhe zwischen Israel und Hamas sieht Politiken den Westen in der Pflicht:

„Wir standen während des gesamten Krieges an der Seite Israels und unterstützten sein Recht auf Selbstverteidigung. Nun sollten wir natürlich auch dazu beitragen, die Rechnung für die Zerstörung zu bezahlen. Und dann verhindern, dass sich die Tragödie wiederholt. Denn während der unmittelbare Kriegsgrund unbestreitbar der verwerfliche Terroranschlag der Hamas auf Israel am 7. Oktober 2023 war, liegt die zugrunde liegende Erklärung darin, dass nicht schon vor langer Zeit ein palästinensischer Staat errichtet wurde. Dänemark trägt als vorübergehendes Mitglied des UN-Sicherheitsrats und als [kommender] EU-Ratspräsident im Laufe dieses Jahres eine große Verantwortung dafür, dass dies geschieht.“

The Daily Telegraph (GB) /

Triumph der Narrenfreiheit

Trumps Unberechenbarkeit dürfte viel zur Waffenruhe beigetragen haben, glaubt The Daily Telegraph:

„Das ist eine Bestätigung der 'Mad Man'-Theorie bei internationalen Beziehungen. Sie deutet darauf hin, dass Trumps Fokus auf nationale und persönliche Interessen Pattsituationen auflösen kann. ... Trump ist ohne Zweifel pro-israelisch, aber auch pro-Trump, weshalb er vor seiner Amtseinführung die Waffenruhe wollte. ... Biden war wegen seiner historischen Zuneigung zu Israel gefesselt. ... Trump, ein Narzisst mit Narrenfreiheit, erweckt hingegen den Eindruck, dass er sich sogar von Verbündeten abwenden könnte. ... Möglicherweise hat man sich in diesem Fall geeinigt, weil beide Seiten wissen, wie skrupellos und willkürlich der neue Präsident sein kann. “

Corriere della Sera (IT) /

Trump macht Hamas gefügig

Ganz unverständlich ist der Stolz des designierten US-Präsidenten nicht, findet Corriere della Sera:

„Trump beansprucht das Verdienst für die Waffenruhe im Gazastreifen für sich. Fünf Tage vor seinem Amtsantritt stellt er das Abkommen als einen Erfolg seiner Außenpolitik dar. ... Trump hatte der palästinensischen Führung mit einem Ultimatum und einer Frist gedroht: Er verlangte die Freilassung der Geiseln bis zum 20. Januar, andernfalls würde 'die Hölle los sein'. Es ist wahrscheinlich, dass das Einfluss hatte. Es wäre nicht das erste Mal, dass islamische Extremisten gegenüber einem Republikaner gefügiger sind. Nach der Revolution Khomeinis hielten die Iraner amerikanische Diplomaten 444 Tage lang als Geiseln fest und ruinierten damit den Demokraten Carter, um sie nach dem Wahlsieg des Republikaners Reagan freizulassen“

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