Spanien steuert auf Neuwahlen zu

Nach der Parlamentswahl am 20. Dezember ist Spanien noch immer ohne Regierung. Der Chef der spanischen Sozialisten, Pedro Sánchez, erklärte seinen Versuch, eine Mehrheit mit Podemos und Ciudadanos zu schmieden, für gescheitert. Alles deutet auf Neuwahlen am 26. Juni hin. Kommentatoren ärgern sich über die Inkompetenz der Politiker.

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eldiario.es (ES) /

Wahlkampf als Strafe für inkompetente Politiker

Um die Zeit bis zu einer Neuwahl zu verkürzen, fordern einige spanische Politiker, den Wahlkampf ausfallen zu lassen. Der Autor Isaac Rosa bettelt hingegen im linken Onlineportal eldiario.es um die doppelte Dosis:

„Ich denke gar nicht daran, neu zu wählen, bevor die Kandidaten nicht alle Talkshows besucht haben. Sie müssen tanzen, singen, Privates ausplaudern und sich bei den Rentnern einschleimen. ... Ich will die doppelte Portion Witze über Rivalen, Fettnäpfchen, langweilige Argumente, künstliche Skandale und Phrasendreschereien in den Nachrichten. Keine Angst, ich verlange von niemandem, dass er die Wahlkampfauftritte besucht oder stundenlang fernsieht. ... Die Politiker müssen ihre Pflicht erfüllen, nicht wir. Ich kann mir keinen besseren Wahlkampf vorstellen als Reden in leeren Sälen, TV-Auftritte ohne Zuschauer und Politiker, die lächelnd durch Straßen laufen, auf denen ihnen die Bürger ausweichen. Das wäre wenigstens eine kleine Strafe für ihre Inkompetenz der vergangenen Monate.“

El Mundo (ES) /

Podemos Schwäche Chance für Sozialist Sánchez

Seit 100 Tagen suchen Spaniens Parteien eine neue Regierung. Am Mittwoch trafen sich die Chefs der Sozialisten und der Linkspartei Podemos, Pedro Sánchez und Pablo Iglesias, erneut zu Verhandlungen. Erstmals scheint durch ein Nachgeben von Podemos wieder Schwung in die Koalitionssondierungen zu kommen, interpretiert die konservative Tageszeitung El Mundo:

„Könnte Podemos durch Zustimmen oder Enthaltung die Kandidatur von Sánchez ermöglichen? Alles weist darauf hin, dass dies schwierig aber nicht unmöglich ist. Und das, weil sich die Parteiführung von Podemos und seine regionalen Verbündeten darüber klar geworden sind, dass sie bei Neuwahlen schwer abgestraft werden könnten. Nach der internen Krise und dem Mangel an Geschlossenheit deuten für Podemos alle jüngsten Umfragen auf Verluste hin. Es scheint klar, dass Iglesias keinen neuen Urnengang riskieren will. Außerdem will er nicht wegen seiner Unnachgiebigkeit gegenüber Sánchez als Sündenbock für Neuwahlen herhalten.“

Diário de Notícias (PT) /

Rajoy wird der lachende Dritte bleiben

Am Ende wird doch Mariano Rajoy der Regierungschef bleiben, meint der Analyst Bernardo Pires de Lima in der liberal-konservativen Tageszeitung Diário de Notícias:

„Rajoy wartet ab, bis ihm das Regierungsamt aufgrund der Erschöpfung von [Sozialisten-Chef] Sánchez und der patriotischen Gefühle des Ciudadanos-Chef Rivera in den Schoss fällt. Sein Weg zum Ziel ist folgender: Er wird neue Verhandlungen mit PSOE und Ciudadanos beginnen, in der Hoffnung, die Gnade von Rivera zu erlangen – und von Sozialistenchef Pedro Sánchez' doppelter Niederlage zu profitieren. Rajoy verfügt laut Verfassung über eine Extra-Frist von 60 Tagen bis Spaniens König neue Wahlen ansetzen muss.“

Der Standard (AT) /

Sozialist Sánchez hat sich verzockt

Damit Sánchez im zweiten Wahlgang am Freitag die nötige einfache Mehrheit erreicht, müsste sich entweder die linke Podemos oder die konservative PP enthalten. Eine riskante Ausgangslage für den Sozialisten, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard:

„[Sánchez] hoffte darauf, dass Podemos sich bei der zweiten Abstimmung enthält. Er hätte dann freie Hand, mit wechselnden Mehrheiten zu regieren - unliebsame Kürzungen mit einer rechten und einige kleinere soziale Reformen mit einer linken Mehrheit. Doch Podemos spielt da nicht mit. ... Bleibt nur eine Lösung: Die von Korruptionsskandalen angeschlagene Regierungspartei PP enthält sich bei der Abstimmung. Das hätte mehr Vorteile als Nachteile für die Konservativen: Sie gewännen Zeit, sich neu aufzustellen, den Ruf der Korruption loszuwerden. Für Sánchez ist das aber ein gefährliches Spiel. Eine verdeckte große Koalition kann der PSOE schaden. Pasok in Griechenland, Labour in Irland: Sie zeigen, wie das enden kann.“

eldiario.es (ES) /

Rajoy hat es noch nicht kapiert

In der Debatte, die dem ersten Wahlgang voranging, spottete der amtierende konservative Regierungschef Mariano Rajoy darüber, dass sich jemand zur Wahl stelle, der weniger Wählerstimmen repräsentiere als er. Ganz offensichtlich hat Rajoy das System noch nicht verstanden, schimpft Ignacio Escolar im linken Portal eldiario.es:

„Rajoy hat erneut bewiesen, dass Sozialisten und Podemos dringend paktieren müssen, um ihn ein für allemal aus dem Regierungssitz zu verbannen. Der amtierende Premier war beleidigend und überheblich; verächtlich gegenüber einem Parlament, das ihn mit Recht unisono ablehnt. Rajoy hat immer noch nicht verstanden, was in der Verfassung steht, die er so gerne hochhält: In Spanien regiert nicht die Minderheit mit den meisten Stimmen, sondern derjenige, der die größte Unterstützung der Abgeordneten erhält. Das mag er vielleicht komisch finden, aber das nennt sich eben parlamentarische Demokratie.“

El Mundo (ES) /

Koalitionsverhandlungen sind nur Show

Bei den Verhandlungen zur Bildung einer Regierungskoalition in Spanien sind sich Sozialisten und Ciudadanos am Dienstag näher gekommen. Da die beiden Parteien zusammen jedoch keine Kongressmehrheit bilden, sieht die konservative Tageszeitung El Mundo darin nur eine Show und Neuwahlen für unvermeidlich:

„Jedenfalls läuft die Zeit für Pedro Sánchez weiter ab und es wird für ihn sehr schwierig, eine Parlamentsmehrheit zu erreichen, nicht einmal im zweiten Wahlgang. Es kann also sein, dass der sozialistische Kandidat eine taktische Niederlage plant, um seine Position für künftige Neuwahlen zu verbessern. Sicher ist, dass wir verwirrende Momente erleben. Auch weil die ständigen Pressekonferenzen und öffentlichen Politikerauftritte der verschiedenen Parteien zu Wahlkampfauftritten werden, die eher Verwirrung stiften als Klarheit schaffen.“

El Periódico de Catalunya (ES) /

Katalanisches Referendum darf kein Tabu sein

Die Linkspartei Podemos hat am Montag ein Programm für eine mögliche Koalition präsentiert, in dem sie ein katalanisches Unabhängigkeitsreferendum als Bedingung stellt. Die Sozialisten sollten das Programm in Erwägung ziehen, rät die linksliberale Tageszeitung El Periódico de Catalunya:

„Trotz der für die Sozialisten schwer zu akzeptierenden Programmpunkte in dieser Textvorlage von Podemos, sollten sie den Vorschlag eines Referendums für Katalonien nicht einfach abtun. Es reicht nicht, wie Sánchez sagt, dass man die Blockade im Problemthema Katalonien auflösen und sich vornehmen wolle, einen Lösungsvorschlag zu machen, den die Mehrheit der katalanischen Gesellschaft unterstützt. ... Man sollte aus dem Referendum kein absolutes Tabuthema machen. Schließlich konnten die spanischen Sozialisten auch damit leben, dass die katalanischen Sozialisten dies jahrelang forderten.“

eldiario.es (ES) /

Sozialisten brauchen die Separatisten

Der Sozialist Pedro Sánchez setzt am heutigen Montag die Koalitionsverhandlungen fort. Da es im Kongress keine linke Mehrheit gibt, wäre ein Linksbündnis auf die Unterstützung separatistischer Parteien angewiesen, erinnert Ignacio Escolar auf dem linken Portal eldiario.es:

„Eine absolute Mehrheit gibt es im Kongress einzig und allein - und zwar aus gutem Grund - gegen die [konservative Regierungspartei] PP. Deshalb gibt es nur zwei Möglichkeiten: Entweder verständigt man sich auf einen Minimalkonsens, bei dem alle nachgeben (und zwar auch die Sozialisten in Bezug auf Katalonien) oder es kommt in ein paar Monaten zu Neuwahlen. Alles andere kann nicht als Verhandlungsstrategie verstanden werden, sondern als parteipolitisches Taktieren, um dem jeweils anderen die Schuld für das Scheitern der Verhandlungen zuzuschieben - und als Teil eines Vorwahlkampfs für die Neuwahlen.“

ABC (ES) /

Sozialisten werden keine stabile Mehrheit finden

Auch Sánchez wird keine stabile Regierung bilden können, fürchtet die konservative Tageszeitung ABC:

„Nun werden die Schwächen des Sozialistenführers noch stärker ans Licht kommen. Um einen Pakt mit den Linksextremen auszuhandeln, ohne dass ihm diese unerfüllbare Bedingungen aufdrücken, fehlt es ihm an politischem Gewicht. Und um sich in abenteuerliche Verhandlungen über Luftschlösser zu stürzen, fehlt ihm das Vertrauen in den eigenen Reihen. Sollte sich Sánchez Podemos anvertrauen, wäre dies verantwortungslos gegenüber Spanien, denn das daraus resultierende Projekt wäre im europäischen Kontext weder politisch noch wirtschaftlich vorstellbar und mit einer entwickelten liberalen Demokratie unvereinbar. ... Wer politisch nicht auf der Höhe ist, erreicht diese auch nicht, indem er sich auf die Zehenspitzen stellt.“

El País (ES) /

Spanien braucht neue Transition

Viel mehr als eine wackelige Regierungskoalition würde Spanien jetzt nun eine Politik des nationalen Konsenses helfen, mahnt die linksliberale Tageszeitung El País:

„Alles deutet auf eine Ausnahmesituation hin, bei der viel mehr auf dem Spiel steht als nur ein vierjähriges Regierungsprogramm: Es geht um tiefgreifende Reformen durch nationale Pakte, für die es einer qualifizierten Mehrheit bedarf. ... 1977 [während der Transition zur Demokratie] machten die Veränderungen eine Minderheitsregierung möglich, die auf Basis von Konsens und gegenseitiger Loyalität agieren konnte. Auch der jetzige Moment ist historisch und wie damals benötigen wir Verantwortungsbewusstsein, Mäßigung, Großzügigkeit und einen Pakt unserer Eliten, die die Klüngelei der Parteien überwinden müssen, um ideologisierende und polarisierende Streitereien zu beenden und die Gefahr einer Veto-Blockade und von Vergeltungsaktionen und systemfeindlichen Strategien zu bannen.“

Público (ES) /

Podemos-Abgeordnete sind keine Hinterbänkler

Die erstmals in den spanischen Kongress gewählte Fraktion der Linkspartei Podemos soll überwiegend in der hintersten Reihe sitzen, hat der Parlamentsvorstand beschlossen. Hoffentlich ist das nur ein schlechter Scherz, wettert die linke Onlinezeitung Público:

„Die Podemos-Fraktion, immerhin drittstärkste Kraft bei der Wahl, auf die Hinterbank zu verdammen, klingt eher nach einem unüberlegten Schulhofstreich. Denn sollte Taktik dahinterstecken, macht es die Sache noch schlimmer: Machen wir sie unsichtbar! Setzen wir sie außerhalb des Blickfelds der Kameras! Sollten sie dann Transparente hochhalten oder andere für Kommunisten typische Sperenzien machen, wird es einfacher sie rauszuschmeißen, ohne dass die Kameras die dabei angewandten Methoden festhalten. ... Was wird wohl der nächste Streich sein? Die Fahrradreifen von [Umweltaktivist] Juantxo López de Uralde aufstechen, damit er die Abstimmungen verpasst? Oder Lauskontrolle für Langhaarige am Eingang?“

El HuffPost (ES) /

Liebe Abgeordnete, kommen Sie zur Sache!

Statt weiter Zeit mit Formalitäten zu verplempern, sollten sich Spaniens neugewählte Abgeordneten endlich um ihr Land kümmern, fordert das linksliberale Portal El Huffington Post:

„Verehrte Parlamentarier, Ihre Zeit ist begrenzt. Wir haben gerade eine weitere Woche mit der Bildung von Fraktionen verloren. Wenn Sie sich kommende Woche mit der Vizepräsidentin des Kongresses treffen, um so wichtige Themen wie die Büroverteilung und Raumzuweisung zu regeln, kommen Sie doch bitte gleich zur Sache. Verlieren Sie keine weitere Zeit mit Streitereien. ... Vergessen Sie nicht, dass Sie in diesem Haus, dem Parlament, arbeiten, weil es da draußen richtig ungemütlich ist. Draußen auf der Straße spüren die Bürger nämlich noch immer nichts vom Aufschwung, wie jüngste Statistiken beweisen. Wie wir am Montag erfahren haben, ist Spanien das OECD-Land, in dem die Ungleichheit seit Krisenbeginn mit am stärksten zugenommen hat. Nur Zypern übertrifft uns.“

Corriere della Sera (IT) /

Merkel verliert Verbündeten in Madrid

Die Vereidigung des Präsidenten des neuen spanischen Kongresses ist sowohl eine Schlappe für Spaniens Premier als auch für die deutsche Kanzlerin Angela Merkel, seine größte Befürworterin, meint die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera:

„Erstmals in der Geschichte der Demokratie Spaniens stellt nicht die Partei, die die meisten Stimmen auf sich vereint, den Präsidenten des Kongresses: Die Volkspartei des scheidenden Premier Mariano Rajoy, der in den letzten vier Jahren das tat, was die Kanzlerin Angela Merkel ihm zu tun gebot. Als Gegenleistung wurden Spaniens Banken gerettet. … Merkel hat an der Westflanke des Kontinents offenbar keinen treu ergebenen Verbündeten mehr. Die Ostflanke ist bereits weggebrochen, nachdem in Polen die Nationalisten mit ihrem Wahlsieg die prodeutsche Politik von Donald Tusk kippten. Die äußeren Bastionen fallen just in dem Moment, in dem die Kanzlerin auch im Inland geschwächt erscheint.“

ctxt.es (ES) /

Spanien steuert auf EU-hörige große Koalition zu

Dass die Wahl durch die Unterstützung der liberalen Ciudadanos und die Enthaltung der Konservativen ermöglicht wurde, weist auf eine künftige große Koalition zwischen den verfeindeten Volksparteien hin, fürchtet das linksliberale Portal ctxt.es:

„Die Wahl des Kongressvorsitzes beweist, dass der Geist von 78 [die Dominanz der zwei großen Parteien seit der Verfassungsreform von 1978] noch nicht tot ist, dass der neue Modeausdruck 'Reform' lauten wird und dass eine große Koalition aus drei Parteien die Lieblingslösung des [spanischen Aktienindexes] Ibex und der EU ist. ... Es könnte, wie gruselig, die erste stabile Legislaturperiode werden. ... Mit einer großen Koalition, die eine Regierung ohne Souveränität bildet und die Forderungen aus Europa akzeptiert.“