Streit über Völkermord an Armeniern
Das EU-Parlament stimmt am heutigen Mittwoch über eine Resolution ab, in der es Ankara auffordert, das Massaker an Armeniern als Genozid anzuerkennen. Zuvor hatte der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan entsprechende Aussagen des Papstes als "Unsinn" zurückgewiesen. Die Türkei beweist einmal mehr, dass sie nicht zu einem EU-Beitritt bereit ist, meinen einige Kommentatoren. Andere kritisieren, dass der Völkermord-Vorwurf zu einseitig ist.
Weiteres Argument gegen türkischen EU-Beitritt
Der Unwille Ankaras, den Massenmord an Armeniern als Genozid anzuerkennen, ist eine gute Gelegenheit, einem türkischen EU-Beitritt den Riegel vorzuschieben, findet die liberal-konservative Tageszeitung Corriere della Sera: "Es ist an der Zeit einzusehen, dass die Türkei nicht der europäischen Gemeinschaft beitreten kann und klipp und klar zu sagen, dass die Gründe dafür gänzlich säkularer und politischer Natur sind. Die Türkei erachtet sich längst als Regionalmacht. Als solche ist sie nicht bereit, sich mit ihren Machtbestrebungen im Rahmen von Grenzen zu bewegen, die von gemeinschaftlichen europäischen Interessen vorgegeben sind. Aus diesem Grund kann die Türkei mit keinem anderen EU-Mitgliedstaat verglichen werden. Es ist unerlässlich, mit der Türkei eine wichtige und inhaltsreiche Beziehung aufzubauen, doch muss diese gänzlich anderer Natur sein, als eine Teilnahme an der Union. In dieser Perspektive kann alles einfacher und klarer werden: auch die Kritik am Völkermord an den Armeniern."
Christen waren nicht die einzigen Opfer
Der Kommentar des Papstes zum Völkermord an den Armeniern lasse außer acht, dass in der Endzeit des Osmanischen Reiches auch Muslime Opfer von Massakern durch Russen wurden, betont die liberale englischsprachige Tageszeitung Hürriyet Daily News: "All dieses Grauen passierte, während dieser Teil der Welt durch eine dunkle Ära ging, die gekennzeichnet war durch ein schmerzhaft bröckelndes Imperium und erbarmungslose Kämpfe um die Herrschaft über seine Teile. Wir Muslime litten furchtbar und haben auch andere, so wie die Armenier, furchtbar leiden lassen. Türken reagieren so reaktionär auf Aussagen zum 'Armenischen Völkermord' aufgrund dieser beidseitigen schmerzhaften Geschichte. Ihre Wahrnehmung ist, dass Armenier als einzige Opfer herausgestellt werden. Um dieses Rätsel zu überwinden, müssen wir in der Türkei daran arbeiten, das Bewusstsein für die Tragödie der osmanischen Armenier zu schärfen. Im Gegenzug kann uns die Welt auch dabei helfen, an die Tragödie der osmanischen Muslime zu erinnern."
Papst Franziskus gibt Armeniern eine Stimme
Mit seinen Aussagen zu diesem politisch brisanten Thema hat Franziskus dem Leid der Armenier die gebührende Aufmerksamkeit verliehen, meint die linksliberale Tageszeitung El País und schließt ein Lob für die Amtsführung des Papstes an. Dieser habe den Vatikan innerhalb weniger Monate "zu einem einflussreichen Akteur der internationalen Politik gemacht, wie er es vielleicht seit Beginn des Papsttums von Johannes Paul II. nicht mehr war. Nach Jahren hat der Papst nun wieder eine Stimme, die von den globalen Entscheidungsträgern gehört wird. ... Der Papst gehört zu den am höchsten angesehenen internationalen Politikern und er setzt dieses Gewicht für relevante Fragen ein. Der Völkermord an den Armeniern ist ein gutes Beispiel. Ohne sein Plädoyer vom Sonntag, wäre der 100. Jahrestag einer der dunkelsten Episoden des 20. Jahrhunderts kaum in dieser Weise beachtet worden. In unserer Welt voller Lärm brauchen wir solch einflussreiche Stimmen, die das Zuhören wert sind."