Endspurt im britischen Wahlkampf
Zwei Tage vor der Wahl in Großbritannien liegen die konservativen Tories und die Labour-Partei in den Umfragen gleichauf. Tory-Chef und Premier David Cameron bekräftigte sein Versprechen, im Fall eines Wahlsiegs ein Referendum über den EU-Austritt abzuhalten. Kommentatoren warnen die Briten davor, sich mit dem Brexit ins wirtschaftliche Aus zu manövrieren und fordern sie zu einer wohlüberlegten Wahlentscheidung auf.
Briten müssen ihre Zukunft in der EU klären
Die Frage eines EU-Austritts Großbritanniens wird nach der Wahl - egal wie sie ausgeht - ein Thema bleiben, erwartet die christlich-liberale Tageszeitung Salzburger Nachrichten: "Mit den Wahlen in dieser Woche stellen die Briten die Weichen, ob es tatsächlich zu einer Abstimmung darüber kommen wird. ... Rund ein Drittel ist derzeit laut Umfragen für einen Austritt aus der EU. Die Debatte über ihre Zukunft in Europa werden die Briten daher zwangsläufig führen müssen, unabhängig vom Wahlausgang. Auch die proeuropäischen Parteien können es sich nicht leisten, langfristig Skeptikern und Populisten wie Nigel Farages Ukip das Feld zu überlassen. Ansonsten wird die Option des Austritts im Raum bleiben. Ob mit einem Referendum als Druckmittel, wie es Cameron plant, oder nicht: Die nächste Regierung wird wohl mit der EU über Reformen sprechen. Davon können alle profitieren. Denn viele Anliegen teilen die Briten mit anderen EU-Bürgern, etwa wenn es um weniger Bürokratie und mehr Transparenz geht."
Großbritannien ist allein zu schwach
Sollten die Briten im Falle eines Referendums für einen EU-Austritt votieren, wäre dies kaum zum Vorteil des Landes, meint die liberale Tageszeitung Pohjalainen: "Jetzt befindet sich Westeuropas Bankenzentrum in London. Aber es lohnt sich, darüber nachzudenken, wie sich seine Stellung verändern würde, falls Großbritannien nicht mehr in der EU wäre. Der Schwerpunkt der Finanzwelt würde sich zweifellos allmählich nach Deutschland verlagern. Auch die Möglichkeiten Großbritanniens, weiterhin Freihandel mit den Ländern der EU zu betreiben, müssten neu bewertet werden. Aus außenpolitischer Sicht scheint der Schachzug Camerons ebenfalls merkwürdig. Außerhalb der EU würde die Bedeutung Großbritanniens abnehmen. Selbst der unerschütterliche Verbündete USA hält nichts von Camerons Vabanquespiel. ... Großbritannien ist nicht so stark, als dass seine Zukunft außerhalb der EU besser wäre als in der EU."
Brexit wäre ein großer Verlust für alle
Ein Brexit würde sowohl den Briten als auch der EU schaden, warnt Bloggerin Adelina Marini auf dem Blog euinside: "Wenn Großbritannien die EU verließe, hieße das, dass ein einst risikofreudiges Land ängstlich geworden ist; dass ein Land mit globalen Ambitionen auf einmal zum unbeteiligten Beobachter werden will; dass ein Land, das für seine Weltoffenheit bekannt ist, die Pforten zu seinen Nachbarn schließt; dass ein Land, dessen Geschichte auf Vertrauen gegenüber den Anderen beruht, sich auf einmal von ihnen abgrenzt. Noch gibt es keine tiefgreifenden Untersuchungen darüber, wie sich ein möglicher Brexit auf die EU auswirken würde, doch einiges spricht dafür, dass für die EU der Austritt einer Nation wie Großbritannien mit ihrer liberalen Offenheit und starken Handelstradition ein großer Verlust sein wird."
Nur Liberaldemokraten können Königreich retten
Die Liberaldemokraten sind entscheidend für die weitere Zukunft Großbritanniens, erklärt der Historiker Timothy Garton Ash in der linksliberalen Tageszeitung La Repubblica: "Vermutlich wird das Wahlergebnis zur Bildung einer Koalitions- oder Minderheitsregierung führen. Eine typisch kontinentale Lösung, die für die Briten ungewohnt und erschreckend ist. Paradoxerweise könnte die europäischste aller britischen Wahlen jedoch den Austritt Großbritanniens aus der EU zur Folge haben. Auf diesen würde die Abspaltung Schottlands vom Vereinigten Königreich folgen. Als britischer Wähler würde ich dies gern verhindern. ... So komplex die Überlegungen auch sein mögen, so klar ist doch die Mahnung: Wir müssen mit dem Kopf wählen und nicht mit dem Bauch. Es ist unabdingbar, dass ein Kern von rund 35 liberaldemokratischen Abgeordneten wieder in das Parlament einzieht. Denn sie sind in der Lage, entweder mit Labour oder den Konservativen eine Koalition zu bilden oder aber eine Minderheitenregierung, ganz gleich ob rechts oder links, zu beeinflussen."