Neue Parteien mischen Spanien auf
Der Erfolg der linken Podemos und der liberalen Ciudadanos bei den Kommunal- und Regionalwahlen am Sonntag hat die Gewichte in der spanischen Parteienlandschaft verschoben. Ändert die Regierung von Premier Mariano Rajoy jetzt nicht radikal ihren Kurs, wird sie die Parlamentswahl im Herbst verlieren, warnen Kommentatoren. Andere bedauern, dass die Wähler Rajoy für seine Reformen bestrafen.
Rajoy wurde für Reformen bestraft
Die konservative Volkspartei von Spaniens Premier Mariano Rajoy ist am Sonntag mit 26 Prozent zwar stärkste Kraft geworden, schnitt aber so schlecht ab, wie seit 20 Jahren nicht mehr. Dass sie so hart abgestraft wurde, zeigt das Schicksal mutiger Politiker, die unliebsame Reformen durchsetzen, bedauert die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Der Mut zur Unpopularität ist Mangelware in Europa. Der spanische Premier könnte - wie einst [Bundeskanzler] Gerhard Schröder - bei der Parlamentswahl im Herbst der Leidtragende sein und sehen, wie andere die Früchte seiner Reform ernten. Der Autor der wichtigsten Reform des deutschen Sozialsystems der Nachkriegszeit verlor 2005 die Wahl aufgrund der Reform, der sogenannten Agenda 2010. Die Regierung Rajoy hat einen ähnlichen Schritt getan. … Bei einer eventuellen Abwahl der Volkspartei im Herbst dürfen die Jungs von Pablo Iglesias sich glücklich schätzen: Jemand hat die schmutzigste und schwierigste Arbeit bereits für sie erledigt."
Spaniens Regierung muss Kurs korrigieren
Mehrere führende Regionalpolitiker des konservativen Partido Popular (PP) haben nach der Wahlschlappe am Sonntag ihren Rückzug angekündigt, um Platz für Nachwuchs zu machen. Auch Premier Mariano Rajoy sollte das erwägen, mahnt die linksliberale Tageszeitung El País: "Obwohl seine Partei bei den Wahlen 2,4 Millionen Stimmen verloren hat, will Mariano Rajoy hilflos weitermachen wie bisher. Diese Haltung wird Konsequenzen haben, wie man am Protest aus den eigenen Reihen sieht. ... Die politische Elite muss über die Forderungen nachdenken, die von den städtischen, bevölkerungsreichsten und dynamischsten Zentren Spaniens gestellt werden, und darf die neuen Bewegungen Podemos und Ciudadanos nicht weiterhin nach dem Motto abtun, man müsse sich nicht um Parteien scheren, die erst 'vor einer halben Stunde' entstanden sind. Statt so weiter zu machen, sollte Rajoy bedenken, dass ein Autofahrer einen Unfall wohl kaum verhindert, indem er die Augen verschließt."
Neue Parteien müssen sich noch beweisen
Die Protestparteien Podemos und Ciudadanos werden nach ihren Wahlerfolgen zeigen müssen, ob sie auch konstruktiv mitgestalten wollen und können, meint die konservative Tageszeitung Financial Times: "Spaniens Parteien müssen sich damit abfinden, dass die innenpolitische Landschaft immer komplexer wird. Das Land steuert auf eine Parlamentswahl zu, die möglicherweise keine klaren Mehrheitsverhältnisse bringen wird. Daher müssen alle Parteien, die alten wie die neuen, Reife im Umgang miteinander zeigen. Podemos und Ciudadanos werden sich als mögliche Königsmacher entscheiden müssen, ob sie verantwortungsvolle Regierungsparteien sein wollen oder ob sie dazu bestimmt sind, reine Protestbewegungen zu sein. ... Es ist zu hoffen, dass die innenpolitische Aufsplitterung in Spanien nicht zu einem Stillstand führt, der die wertvollen wirtschaftlichen Errungenschaften der jüngsten Zeit untergräbt."
Zornige Wähler nicht ignorieren
Die etablierten Parteien in Spanien und ganz Europa sollten die Erfolge der Protestparteien nicht auf die leichte Schulter nehmen, rät die linksliberale Tageszeitung Le Monde: "Der Syriza-Sieg in Griechenland, die Wahlschlappe von Labour in Großbritannien, die Stimmenzuwächse für den Front National in Frankreich und nun der Erfolg von Podemos in Spanien gehen über eine Ablehnung des harten Sparkurses hinaus. Die Triebfedern der einzelnen Bewegungen sind zwar höchst unterschiedlich - und hier muss man die spanischen Systemkritiker dafür loben, dass sie die fremdenfeindlichen Positionen von FN und Ukip nicht übernommen haben - doch verkörpern sie alle eine starke Protestströmung gegen unsere politischen Systeme. Mariano Rajoy hat sich offenbar dazu entschlossen, sie zu ignorieren. Das ist ein Fehler. Er und alle anderen europäischen Führungspolitiker sollten diese Wahlen des Zorns gründlich analysieren."