Türkei beruft Nato-Sitzung ein
Auf Ankaras Wunsch berät die Nato am heutigen Dienstag über die Konflikte der Türkei mit der IS-Terrormiliz und der PKK. Es wird darum gehen, ob und wie die Bündnispartner Unterstützung liefern können. Kommentatoren mahnen, dass Ankara Kurden und IS-Terrormiliz als Feinde nicht gleichsetzen darf. Sie glauben aber, dass die Nato-Partner darauf wenig Rücksicht nehmen werden.
Ankaras Vorgehen gegen PKK ist nicht legitim
Amerikaner und Europäer müssen Ankara klar zu verstehen geben, dass die Forderungen der PKK nicht mit den Gräueltaten des "Islamischen Staats" (IS) gleichzusetzen sind, mahnt die Tageszeitung La Libre Belgique: "Die Tatsache, dass das Regime von Recep Tayyip Erdoğan sein Vorgehen gegen den IS mit einer groß angelegten Offensive gegen die kurdische Arbeiterpartei PKK verbindet, beweist: Indem sich die Türkei dem IS gegenüber verständnisvoll oder gar entgegenkommend zeigte, wollte sie erreichen, dass sich Islamisten und Kurden in einem langwierigen Krieg aufreiben. … Man kann die legitimen Forderungen der PKK nach Autonomie aber nicht auf eine Stufe mit den furchtbaren Verbrechen und Übergriffen stellen, die der IS im Nahen Osten begeht. Und daran sollten Amerikaner und Europäer Ankara schnellstens und mit Nachdruck erinnern. Im Namen der demokratischen Werte, zu denen sie sich bekennen. Aber auch mit dem Ziel, die notwendige Unterstützung der Kurden gegen die islamistische Gefahr nicht zu verlieren."
Nato wird Anstrengungen der Kurden vergessen
Auf Wunsch der Türkei kommen am heutigen Dienstag die Nato-Mitglieder zu einem Sondertreffen zusammen, um über die jüngsten Luftangriffe gegen die IS-Terrormiliz und gegen die Kurden zu beraten. Letztere werden am Ende ins Hintertreffen geraten, glaubt Journalist Mircea Barbu auf seinem Blog bei der liberal-konservativen Tageszeitung Adevărul: "Niemand wird auf dem Treffen darauf hinweisen, dass ein Großteil der türkischen Bombardements kurdischen Posten in Syrien und im Irak galten. Jenen Posten, die eine Expansion des IS verhinderten, als keine Regierung in der Region eine Verpflichtung in diesem Kampf eingehen wollte. ... Die USA werden das Thema jedenfalls nicht ansprechen, sie sind froh, dass in diesem unerschöpflichen Konflikt jemand die Zügel in die Hand nimmt. Und auch die irakischen kurdischen Politiker wollen kein einiges Kurdistan, das gemeinsame Interessen und Prinzipien vertritt. ... Im Gegenzug für die Beteiligung der größten Nato-Armeen in Syrien wird die internationale Gemeinschaft die Anstrengungen der Kurden vergessen und die offensichtliche Verletzung von Menschenrechten, die es derzeit in Syrien und Irak gibt, in Kauf nehmen."
Erdoğan will antikurdische Stimmung schüren
Auch wenn es den Anschein macht, hat Ankara im Kampf gegen islamistischen Terror keinen Strategiewechsel vollzogen, glaubt das liberale Nachrichtenmagazin Newsweek Polska: "Die Türkei hat sich gegenüber dem IS oder der al-Quaida in Syrien stets passiv verhalten - gerade so, als ob sie mit ihnen einen informellen Nichtangriffspakt geschlossen hätte. Jetzt erlaubt Erdoğan den Amerikanern zwar, einen Flughafen zu nutzen, worum Washington bisher erfolglos gebeten hat. ... Doch ist Erdoğan tatsächlich zu dem Ergebnis gekommen, dass der Dschihad eine große Bedrohung darstellt? Nein. Denn die Türkei hat gleichzeitig eine große Offensive gegen die Kurden begonnen. ... Erdoğan hat sich im Krieg gegen den IS den USA nur deshalb angeschlossen, damit die Amerikaner der Türkei nicht in ihrem Konflikt mit den Kurden dazwischenfunken. ... Das zu erwartende Szenario sieht so aus: Die antikurdischen Ressentiments in der Türkei werden wieder zunehmen, die [kurdennahe Partei] HDP kommt bei vorgezogenen Neuwahlen nicht mehr ins Parlament, und die AKP geht aus diesen als endgültiger Sieger hervor."
HDP muss PKK entgegentreten
Der Chef der kurdennahen türkischen Partei HDP, Selahattin Demirtaş, hat am Montag die Regierung beschuldigt, mit ihren Militärangriffen gegen die PKK den Friedensprozess beendet zu haben. Die HDP muss sich nun deutlich von der Gewalt der PKK distanzieren, um diesen Prozess zwischen Ankara und den Kurden zu retten, erklärt die konservative Tageszeitung Hürriyet: "Die Kriegslords [der PKK] wollen ihre eigene totalitäre Vorherrschaft weiterführen. Angesichts dessen ist der Widerstand der linken und liberalen Intelligenz der Kurdenbewegung notwendig. Die Parlamentarier der HDP, die nicht auf PKK-Linie sind, und die kurdischen Demokraten haben die moralische Verpflichtung, dem Druck [aus dem PKK-Rückzugsgebiet] in der Kandil-Region etwas entgegenzusetzen. Den Kurden in Kandil und dem KCK [dem militärischen Arm der PKK] muss klar gemacht werden, dass Waffen keine Lösung sind. Um eine Katastrophe wie in Syrien zu verhindern und den entgleisten Friedensprozess wieder auf den richtigen Weg zu bringen, muss die HDP die Kooperation suchen."