Flüchtlinge: Merkel und Hollande für mehr Europa
Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident François Hollande haben am Mittwoch vor dem EU-Parlament gemeinsam für mehr Solidarität in der Flüchtlingskrise geworben. Das deutsch-französische Tandem funktioniert wieder und wird Europa retten, jubeln einige Kommentatoren. Andere fordern von den beiden konkrete Lösungsvorschläge statt warmer Worte.
Deutsch-Französisches Duo kann Kontinent retten
Dass Merkel und Hollande Gemeinsamkeit demonstrieren, sieht die linksliberale Tageszeitung El País als gutes Zeichen: "Wie die Geschichte zeigt, vervielfachen sich die Chancen für die Überwindung eines jeglichen Problems, wenn die beiden europäischen Lokomotiven gemeinsam an einem Strang ziehen. ... Nur mit dem vereinten Impuls aus Berlin und Paris lässt sich, wie von Merkel gestern gefordert, ein neues System zur Verteilung der Flüchtlinge umsetzen und - noch wichtiger - 'die Ursachen bekämpfen', die Millionen Menschen aus ihren Heimatländern treiben. Die Flüchtlingskrise gehört zu den drängendsten Herausforderungen des Kontinents und ein falscher Umgang mit ihr könnte Europa vor ernste Probleme stellen. Doch die Hauptgefahr für den Erhalt Europas geht vom erstarkenden Nationalismus und Populismus aus. Merkel und Hollande haben das gestern deutlich ausgedrückt."
Nichts Neues zur Asylpolitik
Enttäuscht vom Auftritt des deutsch-französischen Duos zeigt sich die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore: "Keine konkrete Ankündigung. Nichts Neues zur Asylpolitik abgesehen von der Bestätigung, dass Dublin tot sei. Das selektive Schweigen hat mehr Lärm gemacht, als das Gesagte. Es wurden Dinge verschwiegen, um allzu große Divergenzen im deutsch-französischen Dialog nicht zu offenbaren. Merkel hat es vorgezogen, darüber hinwegzugehen, sie hat dem französischen Präsidenten allenfalls allgemeine Unterstützung signalisiert. Weil sie nicht mit ihm einer Meinung war und weil sie überzeugt ist, dass heute im Europa der 28 Mitglieder kaum Spielraum für Fortschritte bei Reformen der EU-Abkommen und einer Erhöhung des EU-Haushalts besteht. Und weil die Kanzlerin ihren politischen Ruf schwinden sieht - ihre Popularität sinkt, ihre Partei kritisiert ihren Umgang mit der Flüchtlingskrise, während die einwanderungsfeindlichen Parteien an Zustimmung gewinnen."
Von welchem Europa wir mehr brauchen
Die Flüchtlingskrise lässt sich nur durch eine Vertiefung der europäischen Integration schultern, betonten Angela Merkel und François Hollande vor dem EU-Parlament. Doch was bedeutet ein Mehr an Europa?, fragt die konservative Lidové noviny und kommt zu folgendem Schluss: "Ja, wir brauchen mehr Europa, wenn zu dessen Identität außer edlen Idealen auch der Wille und die Kraft zu seiner Verteidigung gehören. Mehr Europa heißt, den Schengen-Raum nicht nur zu erhalten, sondern ihn auch zu schützen. Wenn Hollande dazu aufruft, die Außengrenze durch eine Stärkung der Verteidigung der Staaten an der Peripherie der EU sicherer zu machen, gibt er ungewollt auch Ungarn Recht sowie den anderen Visegrád-Staaten, die Budapest nicht nur moralisch unterstützen. Wir brauchen ein Mehr von einem Europa, dass nicht nur Zusammengehörigkeit mit den Leidenden demonstriert, sondern das auch hart gegen Menschenschmuggler vorgeht und gegen Menschen, die weder bedroht waren noch bedroht sind."
Hoffentlich finden die beiden Gehör
Merkel und Hollande haben den Europäern ins Gewissen geredet und gefordert, nicht von den Grundwerten Europas abzuweichen. Die liberale Tageszeitung Eesti Päevaleht hofft, dass der Kontinent die beiden erhört: "Estland muss die Daumen drücken, dass die Chefs von Deutschland und Frankreich die Kraft finden, an ihren Ideen festzuhalten. Das schlimmste Szenario für kleine Staaten wäre der Zusammenbruch von Schengen, eines der sichtbarsten Zeichen der Europäischen Union. ... Von Estland werden mit der Aufnahme einiger hundert Menschen nur symbolische Schritte erwartet. Sie sollen den Regierungen der großen EU-Staaten helfen, die Wähler davon zu überzeugen, dass man in schweren Zeiten Solidarität erfährt. ... Die, die zuhören wollten, wurden von Merkel und Hollande an die Grundwerte erinnert, die Europa einen nie dagewesenen Wohlstand beschert haben. Aber die Stimmen der beiden sind müde. Wird ihre Botschaft nicht gehört, werden als nächste Staatsoberhäupter solch ultranationalistische Politiker wie Le Pen oder Geert Wilders ihre Reden halten."