Neue EU-Beitrittsaussichten für die Türkei
Im Gegenzug für einen verstärkten Grenzschutz hat die EU Ankara versprochen, ein neues Kapitel der Beitrittsverhandlungen zu eröffnen. Die Türkei ist noch lange nicht reif für die Aufnahme in die Union, meinen einige Kommentatoren. Andere sehen in dem Angebot die einzige Möglichkeit, das Schengener Abkommen zu retten.
Ankara meilenweit von Beitritt entfernt
Die Türkei ist von einer EU-Mitgliedschaft noch meilenweit entfernt, meint die liberale Tageszeitung Helsingin Sanomat: "Die EU verspricht, die Beitrittsverhandlungen mit der Türkei zu beschleunigen, die bislang im Schneckentempo vorangingen. Das Problem an diesem Versprechen ist, dass sich die Türkei in den letzten Jahren immer weiter von den Beitrittskriterien entfernt hat. Wenn man aber an den Kriterien Demokratie und Menschenrechte auch nur irgendwie festhalten will, hat die heutige Türkei in der EU nichts verloren. Und sollte sich die derzeitige Entwicklung der Türkei fortsetzen, gibt es auch in Zukunft keinen Grund, ihr die Türen zur EU zu öffnen."
Demokratische Türkei wäre willkommen
Die EU muss der Türkei nun ganz genau auf die Finger schauen, fordert die liberale Tageszeitung Sydsvenskan: "Das Risiko ist offensichtlich, dass die EU - in ihrem Eifer die Flüchtlingskrise zu lösen - ein Auge zudrückt bei Menschenrechtsverletzungen und bei den Kopenhagener Kriterien für einen EU-Beitritt. Das darf nicht geschehen. Die Türken sollten im EU-Kreis willkommen sein. Wenn die Türkei reif dafür ist. Doch dahin ist es noch weit für ein Land, das sich weigert von einem Völkermord an den Armeniern 1915 zu sprechen, das den Konflikt mit der kurdischen PKK nicht gelöst hat und erst auf Platz 149 von 180 auf der Liste der Pressefreiheit von Reportern ohne Grenzen liegt. Die EU hat daraus gelernt, dass sie 2004 ein geteiltes Zypern aufnahm, und davon, dass sie 2007 Rumänien und Bulgarien aufnahm, ohne dass diese ihre Hausaufgaben bei den Menschenrechten und der Antikorruption gemacht hatten. Es muss Grenzen geben für die EU."
Nur so kann Schengen gerettet werden
Die Wiederaufnahme der Beitrittsverhandlungen mit der Türkei ist der richtige Weg, um das Schengener Abkommen zu retten und Fehler der Vergangenheit wieder gut zu machen, meint die liberale Tageszeitung La Stampa: "Die europäische Strategie, die Flüchtlingskrise zu lenken (nicht zu lösen) besteht darin, die äußeren Grenzen der EU zu stärken, um nicht wieder Grenzen in ihrem Inneren errichten zu müssen. Nur so kann Schengen gerettet werden. ... Hier ist die Unterstützung der Türkei unabdingbar. Schon vor einem Monat versprach Brüssel finanzielle Hilfen. Die wahre Neuigkeit vom Sonntag ist die Bereitschaft, die Beitrittsverhandlungen wieder aufzunehmen. Europa hat mit zu verantworten, dass die Annäherung von Ankara an die EU ins Stocken geraten ist. Brüssel hat die Türkei ins Wartezimmer vorgelassen und dann dort verharren lassen."
Türken wollen gar nicht mehr in die EU
Das Versprechen auf Visa-Freiheit für Türken und die Wiederaufnahme der EU-Beitrittsverhandlungen kommt zu spät, meint die regierungstreue, islamisch-konservative Tageszeitung Yeni Şafak: "Vor zehn Jahren hätte das in der Türkei für große Aufregung gesorgt, doch heute ist das nicht mehr so. Doch die EU denkt noch immer, dass wir für Visa-Befreiungen sterben würden. Europa hat gegen die islamische Welt und die Türkei eine so schlechte, boshafte und erfolglose Politik angewandt, dass es nicht einmal mehr für Furore sorgen würde, wenn die EU uns die Mitgliedschaft anbieten würde. In der islamischen Welt und der Türkei ist die Europa-Anbetung und Liebe aufgebraucht, aber die EU hat das noch nicht begriffen."