Merkel ist "Person des Jahres"
Die deutsche Kanzlerin Angela Merkel ist vom Time Magazine zur "Person des Jahres 2015" gekürt worden. Sie habe während der Eurokrise und des Ukrainekonflikts sowie im Umgang mit Geflüchteten Führungsstärke bewiesen. Ihr Werben für westliche Werte ist vorbildlich, loben einige Kommentatoren. Andere sind der Meinung, dass sie die Flüchtlingskrise falsch eingeschätzt hat.
Ausrutscher einer Pragmatikerin
Merkels verfehlte Flüchtlingspolitik könnte sie bald das Amt kosten, meint die konservative Tageszeitung The Daily Telegraph anlässlich der Auszeichnung der Kanzlerin als Person des Jahres: "Wie am Ende der Amtszeit der britischen Premierministerin Margaret Thatcher scheint auch bei Merkel das Urteilsvermögen versagt zu haben. Ihre Selbstdarstellung beim Thema Migration war ein seltener Ausrutscher einer Pragmatikerin, die der öffentlichen Meinung lieber folgt, als dass sie diese anführt. ... Konrad Adenauer, der Westdeutschland nach 1945 wiedererrichtete, folgte dem Leitspruch 'Keine Experimente'. Angela Merkel hat dieses Motto vergessen, als sie sich auf das Experiment einließ, Millionen Migranten in ein Land zu lassen, das diese nicht will. Wenn sie nicht aufpasst, wird die 'Kanzlerin der Freien Welt' bald nicht einmal mehr Kanzlerin Deutschlands sein."
Geleitet von westlichen Werten
Obwohl Merkels Zuspruch in Deutschland sinkt, ist sie zu Recht zur Person des Jahres gekürt worden, findet die linke Tageszeitung taz: "Merkel … hat in den letzten Monaten mit ihrem scheinbar neuen und plötzlichen Willen, Haltung zu zeigen, viele überrascht. Dabei ist ihr Standpunkt zur Flüchtlingsfrage in seiner Konsequenz fast vorhersehbar. Sie glaubt an den Westen und an dessen Werte. Sie glaubt daran, dass jede und jeder eine Chance auf ein freies Leben in der Marktwirtschaft verdient hat. ... Vom Time Magazine wurde sie nun zur 'Person of the Year' zur 'Chancellor of the free World' ernannt, weil sie bereit ist, diesen Glauben gegen alles zu verteidigen - gegen ihr Kabinett, genauso wie gegen die eigene Bevölkerung und natürlich Wladimir Putin. ... Merkel repräsentiert vieles, was die durchschnittlichen Facebook-Hasser ablehnen: die Emanzipation der Frauen, naturwissenschaftliche Rationalität und einen etwas angestaubten Glauben an die Überlegenheit des Westens."
Mut zu unangenehmen Beschlüssen
Die deutsche Kanzlerin hat den Ehrentitel 'Person des Jahres' verdient, lobt Kolumnist Bert Wagendorp in der linksliberalen Tageszeitung De Volkskrant: "'Führer werden erst dann auf die Probe gestellt, wenn ihr Volk ihnen nicht mehr folgen will', schreibt [Chefredakteurin] Gibbs. Das klingt wie eine Wahrheit aus einer längst vergangenen Zeit. Welcher Führer unterwirft sich noch diesem Test? Politiker, die es wagen, gegen das gesunde Volksempfinden Entscheidungen zu treffen, werden selten. Der Führer des 21. Jahrhunderts folgt dem Volk, er ist ein demokratischer Liebling des Volks geworden, ein feiger Mitläufer, der verführt, indem er Menschen nach dem Mund redet. Hierzulande ist Geert Wilders das beste Beispiel dafür, das Phänomen ist international zu beobachten. Will das Volk Hass, dann bekommt es Hass. Will es Angst, dann bekommt es Angst. Angela Merkel ist die Ausnahme. ... Vielleicht fragt sie zu viel, aber sie hat zumindest den Mut zu zeigen, wofür sie einsteht und danach zu handeln."