Italien schamhafter als iranisches Regime
Italiens Selbstzensur offenbart, wie schlecht der Westen die iranische Politik und Gesellschaft kennt, kritisiert das linksliberale Wochenmagazin L'Obs angesichts der Verdeckung nackter Statuen zum Besuch des iranischen Präsidenten:
„Denn selbst die Prinzipienverteidiger, die sich auf die Grundsätze der islamischen Republik stützen, konnten nicht erreichen, dass die freizügigen Malereien im Ali Qapu Palast und im Vierzig-Säulen-Palast in Isfahan verborgen werden. Einige dieser Fresken zeigen Frauen, deren Haar im Wind weht und die Männern bei Banketten Wein einschenken. Die Malereien wurden während der Revolution 1979 durch eine Kalküberdeckung vor religiösem Eifer geschützt. Präsident Rafsanjani hat sie freigelegt und mit großem Pomp wiedereingeweiht. Die Würdenträger des Regimes zeigen sie noch heute ihren Besuchern und amüsieren sich über deren Reaktion. Lasst uns wetten, dass sie auch über die italienische Schamhaftigkeit schmunzeln.“
Auch Europa hat mit Nacktheit seine Probleme
Das Verdecken der nackten Statuen im römischen Kapitol-Museum ist kein Verrat an der westlichen Kultur, meint die Tageszeitung Avvenire. In der Geschichte Europas fänden sich immer wieder ähnliche Fälle, so das katholische Blatt:
„Der Maler Daniele da Volterra ging in die Geschichte ein mit dem wenig schmeichelhaften Spitznamen des Höschenmalers, weil er Michelangelos zu freizügig gemalte Figuren in der Sixtinischen Kapelle bekleidete. ... Zur westlichen Identität gehört somit auch eine Vorsicht der bildlichen Darstellung gegenüber, der von jeher nicht nur eine dekorative Rolle zugesprochen wird. Noch komplexer und facettenreicher ist die Einstellung der muslimischen Welt gegenüber der Blöße. ... Die Konfrontation mit dem Anderen verlangt vor allem Selbstkenntnis, sonst endet alles in der Karikatur. Und genau das ist in Rom geschehen.“
Nackte Statuen zu verhüllen hilft niemandem
Aus lauter Rücksichtnahme auf die Weltanschauung eines Muslims die eigene Kultur schamhaft zu verhüllen geht zu weit, schimpft die linksliberale Tageszeitung La Repubblica:
„Der Umgang mit der Beleidigung ist - beim heutigen Stand der Dinge - offenkundig ein Problem zwischen dem Westen und dem Islam. Mit einigen zwingenden Ausnahmen hat der Westen gelernt, damit umzugehen. Der Islam, zumindest ein beachtlicher Teil der islamischen Welt, aber nicht. Den Anderen und die Andersartigkeit zu tolerieren, scheint nicht zu den Fähigkeiten derer zu gehören, mit denen die Begegnung sich als so heikel erweist. Ihnen zu helfen, ist schwierig. Doch unsere kostbarsten Dinge zu verstecken, um sie nicht zu irritieren, hilft ihnen sicher nicht. Im Gegenteil, es bestärkt sie in ihrer Unfähigkeit - die vor allem für sie selbst verheerend ist - die Verschiedenartigkeit der Welt, das Potential der Unterschiede der Kulturen und der Mentalitäten zu erkennen.“
Goldrausch ist trügerische Verheißung
Die Hoffnung der europäischen Wirtschaft auf florierende Geschäfte mit dem Iran könnte schnell zerplatzen, warnt der linksliberale Tages-Anzeiger:
„Der Iran ist weiter ein Land, in dem überbordende Bürokratie und grassierende Korruption Geschäfte schwierig machen. In staatsnahen Unternehmen galt politische Loyalität lange mehr als Fachkompetenz. Die Revolutionsgarden und religiöse Stiftungen aus dem Machtbereich des obersten Führers Ali Khamenei haben die Sanktionsjahre genutzt, um lukrative Branchen unter ihre Kontrolle zu bringen. ... Der Iran bleibt auch politisch wenig berechenbar: Raketentests im vergangenen Jahr zeigen, dass zumindest die Hardliner im Sicherheitsapparat nicht von Provokationen lassen werden. Am Tag als die Sanktionen aus dem Nuklearstreit aufgehoben wurden, verhängten die USA wegen Verstössen gegen UNO-Resolutionen neue Strafen.“
Rohani kann Kampf gegen Ayatollah nicht gewinnen
Mit dem Abschluss milliardenschwerer Wirtschaftsverträge besiegelt Rohani die Rückkehr seines Landes auf den Weltmarkt, doch wahre Reformen im Land wird er kaum gegen die Ayatollah durchsetzen können, ist die liberale Wirtschaftszeitung Il Sole 24 Ore skeptisch:
„Denn das Geistige Oberhaupt [Ali Chamenei] kontrolliert direkt die Setad, ein 95 Milliarden Dollar schweres Unternehmen, das in allen Wirtschaftsbereichen mitmischt. ... Auch die Pasdaran, die Wächter der Revolution, die in den Kämpfen im Irak und in Syrien beteiligt sind und die Hisbollah im Libanon unterstützen, werden, wie die Ayatollah, ihre ohnehin beachtliche Macht in der Wirtschaft weiter ausbauen. Dieses System zu korrigieren, ist die wahre Herausforderung für Hassan Rohani. Mit dem Nuklearabkommen hat er den ersten großen Schritt getan, doch die Islamische Republik zu reformieren ist weitaus komplizierter. Schließlich ist er selbst ein Mullah und müsste - zu Gunsten des Wandels - den Ast absägen, auf dem er sitzt.“
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