Kommt Glyphosat weiter aufs Feld?
Die EU-Staaten ringen um eine Neuzulassung für den Unkrautvernichter Glyphosat, der im Verdacht steht, krebserregend zu sein. Die Zeit drängt, denn dessen Zulassung läuft am 15. Dezember aus. Kommentatoren mahnen, den Verbraucherschutz ernst zu nehmen und offen über Vor- und Nachteile eines Verbots zu debattieren.
Im Zweifel lieber verbieten
Im Zweifelsfall ist überhöhte Vorsicht weniger falsch als gefährliche Sorglosigkeit, gibt Aamulehti zu bedenken:
„Glyphosat ist ein umstrittenes Gift, das in Verdacht steht, Krebs zu verursachen. Allerdings sind verschiedene Behörden unterschiedlicher Ansicht. Man kann sich dem Problem auf zwei Wegen nähern: verbieten, wenn es nachweislich gefährlich ist, oder eben beweisen, dass es sicher ist. Der gesunde Menschenverstand sagt, dass man lieber vorsichtig als sorglos sein sollte, wenn der Verdacht besteht, dass etwas gefährlich ist. Dann gibt es später nichts zu bereuen.“
Ohne Glyphosat wäre Essen teurer und besser
Bei der Debatte über ein mögliches Glyphosat-Verbot sollte man auch offen darüber reden, welche Folgen dies für die Preise und die Qualität der landwirtschaftlichen Produkte hätte, fordert Die Presse:
„Die einzig logische Alternative ist ... eine Rückkehr zu einer mechanischen Bearbeitung des Bodens. Sie wäre in vielen Fällen aufwendiger, kurzfristig weniger wirksam, hätte voraussichtlich den Nebeneffekt geringerer Ernteerträge. Sie würde aber gepaart mit einer Fruchtfolge auf Feldern die Qualität der Lebens- und Futtermittel steigern. ... Das bedeutet letztlich auch eine notwendige Akzeptanz höherer Preise. Ein besseres Leben gibt es nicht geschenkt. Jeder kann das am eigenen Leib erleben, wenn er im Garten oder auf der Terrasse auf [den Unkrautvernichter] Round-up verzichtet und das Unkraut wieder händisch beseitigt.“
EU-Kommission vergrößert Demokratiedefizit
Der EU-Fachausschuss hat die Entscheidung über eine erneute Zulassung für das Unkrautvernichtungsmittel Glyphosat am Donnerstag vertagt. Dass sich die EU-Kommission bei so einem bedeutenden Thema bürgerfern und wenig entschlussbereit gibt, macht Le Monde wütend:
„Nicht hinnehmbar ist, dass die politischen Institutionen darauf verzichten, bei einem Thema, das alle EU-Bürger betrifft, eine Entscheidung zu treffen und durchzusetzen. Bereits seit drei Jahren hält die Kommission die Debatte in Beschlag. Das hohe Maß an Komplexität der in Brüssel behandelten Dossiers distanziert die Bürger von jeder vorstellbaren Art der Beteiligung. Außerdem werden auf diese Weise höchst politische Fragestellungen entpolitisiert. In dieser Unfähigkeit, die wissenschaftlichen Errungenschaften in die politischen Entscheidungen einzubeziehen, äußert sich einmal mehr das demokratische Defizit in Europa.“
Europäer halten Verbraucherschutz hoch
Bei der Abstimmung über den Glyphosat-Einsatz sollte sich die EU gut überlegen, ob sie ihren Ruf als Verbraucherschützerin weiter ruinieren will, mahnt das Handelsblatt:
„Eine Herangehensweise der Politik ist es, ... Produkte erst dann zuzulassen, wenn zweifelsfrei feststeht, dass diese nicht schädlich sind. Dafür werden sie noch vor der Markteinführung ausführlich getestet und schließlich von den Behörden genehmigt. So geht Verbraucherschutz in Europa. ... Für die EU-Kommission ist dies ein vermintes Feld. Allzu oft stand sie bei den Verhandlungen zum Freihandelsabkommen TTIP schon im Verdacht, ein Absenken der Verbraucherschutzstandards auf US-Niveau zuzulassen. Die heftigen Proteste haben gezeigt, dass den Europäern ihr Verbraucherschutz viel wert ist. Beim Votum über Glyphosat sollten sich die Regierungen dessen bewusst sein. Eine erneute befristete Zulassung für ein Jahr wäre vielleicht ein guter Kompromiss.“
Mangelndes Vertrauen in Politik und Wissenschaft
Glyphosat ist mehr als nur ein Pflanzenschutzmittel, dessen Auswirkungen auf die Gesundheit umstritten sind, meint das liberale Portal Zeit Online:
„Glyphosat ist längst zum Symbol geworden ... für das Misstrauen, das Umweltorganisationen und viele Bürger gegenüber den Aushandlungsprozessen zwischen Regierungen, Politik und Wissenschaft in der EU empfinden. Dass die Europäische Kommission letztere - oft auch irrationale - Skepsis durch ihr politisch unsensibles Vorgehen bestätigen wollte, haben die Vertreter einiger Mitgliedsstaaten der EU klugerweise verhindert. ... Die Kommission hatte die Zulassung mit allzu laschen Auflagen erteilen wollen, obwohl die wissenschaftliche Kontroverse um die Gesundheitsrisiken keineswegs ausgestanden ist.“
Hyperproduktion auf dem Acker muss enden
Es muss in dem Streit um Glyphosat um mehr gehen, als nur das Pflanzenschutzmittel selbst, fordert die linksliberale Süddeutsche Zeitung:
„Wer sich auf die gesundheitlichen Folgen des Unkrautkillers Glyphosat konzentriert, verfehlt das echte, große Thema: die überfällige Wende in der Landwirtschaft. ... Der physikalische Kampf von Menschen und Maschinen gegen Schädlinge und Unkräuter kostet Zeit, Geld und Erträge. Und das können sich die Betriebe nicht leisten. Was also ist zu tun? Ein Verbot mag noch so sehr die Schutzbedürfnisse des Einzelnen vor nebulösen Risiken befriedigen. Es verschiebt aber nur die Probleme. Und ändert auch nichts an all den anderen Versäumnissen in Ackerbau und Tiermast. Dass diese Hyperproduktion irgendwann an die Grenzen des Verantwortbaren stoßen und eine Agrarwende unumgänglich machen würde, ist eigentlich seit vielen Jahren klar.“