Warum geht Faymann?
Österreichs sozialdemokratischer Bundeskanzler Werner Faymann ist am Montag zurückgetreten. Er begründete dies mit mangelndem Rückhalt in der SPÖ. Muss er für die Schwäche der Partei büßen oder hat er sich mit seinem Kurs in der Flüchtlingskrise verspekuliert?
Faymann büßt für Vertrauenskrise
Faymann ist Opfer der Krise der traditionellen Parteien geworden, bilanziert Hospodářské noviny:
„Immer mehr macht sich in weiten Teilen der österreichischen Gesellschaft das Gefühl breit, dass die traditionellen Parteien nicht mehr in der Lage sind, die Probleme des Landes zu lösen. Ausgerechnet in Österreich, das die Finanz- und Wirtschaftskrise ohne große Probleme überlebt und eine der niedrigsten Arbeitslosenraten der EU hat. Die Wurzeln der Vertrauenskrise liegen in den ewigen Großen Koalitionen zwischen Sozialdemokraten und konservativer Volkspartei. Die öffneten den Raum für Protestgruppierungen. ... Die traditionellen Parteien sollten schnell begreifen, dass die alten Zeiten, da man in Hinterzimmern die Macht nach Proporz teilte, vorbei sind.“
SPÖ am Abgrund
An der Bredouille der SPÖ trägt Faymann gewiss nicht allein die Schuld, weiß die linksliberale Zeitung Delo:
„Er personifiziert nur die immer stärker gespaltene Partei. Diese hat sich im verzweifelten Versuch, ihre traditionelle Koalition der Arbeiter und der intellektuellen Wähler zu halten, in einer selbstzerstörerischen 'Strategie' verfangen. Wenn die Partei dachte, mit einer Verschärfung der Flüchtlingspolitik das 'Proletariat' anzusprechen, das überwiegend zu den Freiheitlichen übergelaufen ist, so hat sie sich verrechnet. Gleichzeitig hat sie so noch ihre Anhänger unter den liberalen Intellektuellen verloren. Diese könnten zurückkommen, wenn sich die Partei wieder für eine offenere Flüchtlingspolitik einsetzt. Doch vor dem Untergang kann die Sozialdemokratie nur gerettet werden, wenn sie eine Antwort darauf findet, wie sie die verlorenen Seelen der proletarischen Wähler wieder an sich binden kann.“
Kanzler in der Populismus-Falle
Das Scheitern des österreichischen Kanzlers sollte den übrigen EU-Politikern eine Lehre sein, meint El País:
„Was am Europatag in Österreich geschehen ist, sollte anderen europäischen Politikern als Botschaft dienen, die der Versuchung ausgesetzt sind, ihre eigenen Überzeugungen und die Grundwerte der EU aufzugeben. ... Der Richtungswechsel hat den rechtsextremen Populismus nicht geschwächt und stattdessen den Vertrauensverlust bei einem großen Teil der progressiven Wählerschaft bewirkt, die im Gesinnungswandel einen Verrat an den Parteiprinzipien sehen. ... Das politische Beben in Österreich erteilt uns zwei Lehren: Die Probleme sind da und man darf sie nicht ignorieren; und Zugeständnisse an die fremdenfeindlichen Populisten und das Übernehmen eines Teils ihrer Forderungen hilft nicht dabei, diese zu stoppen, sondern legitimiert lediglich ihren Diskurs.“
An der Macht dank Partei und Boulevard
Faymann verdankte seinen Aufstieg den Boulevard-Zeitungen und seiner Partei, wettert die Wiener Zeitung:
„Die Verbundenheit der Kleinformate ließ sich der Kanzler mit Steuergeld viel kosten, und der Boulevard dankte es ihm mit wohlwollender bis hymnischer Berichterstattung. Es war dies eine der Achsen, die Faymann vom Wiener Rathaus, wo er als Wohnbaustadtrat von 1994 bis 2006 fungierte, zuerst in das Infrastrukturministerium und schließlich ins Amt des Parteivorsitzenden und Bundeskanzlers trug. Eine andere waren persönliche Loyalitäten. ... Jugendfunktionär, Gemeinderat, Mietervereinigung, Stadtrat, Minister, Kanzler: Faymanns berufliche Karriere bewegte sich ausschließlich im geschlossenen System der roten Politik. Sogar seinen Zivildienst absolvierte er in einer SPÖ-Vorfeldorganisation. Und seine zweite Frau, Martina Ludwig-Faymann, ist Gemeinderätin für die Wiener SPÖ.“