Moskau lässt Sawtschenko frei
Russland hat die zu 22 Jahren Haft verurteilte ukrainische Kampfpilotin Nadija Sawtschenko begnadigt und am Mittwoch an ihr Heimatland überstellt. Im Gegenzug entließ die Regierung in Kiew zwei mutmaßlich russische Soldaten. Wem nutzt die Freilassung Sawtschenkos?
Eine höchst unbequeme Ikone
Nicht alle haben sich über die Freilassung von Nadija Sawtschenko gefreut, konstatiert Latvijas avīze:
„Ukrainische Politiker sprechen seit zwei Jahren von einer Rückkehr nach Europa, verstecken sich aber in Wirklichkeit nur hinter lauten und patriotischen Losungen, vertuschen ihre schmutzigen Geschäfte und machen sich die Taschen voll. Sawtschenko ist auch für die Oligarchen unbequem, die immer noch die Fäden in der ukrainischen Politik ziehen. … Trotz seiner Liebeserklärungen ist auch Präsident Poroschenko nicht über ihre Rückkehr begeistert, weil Sawtschenko erklärte, dass sie auf Wunsch des Volks auch Präsidentin werden könne. Und unbequem ist sie auch für westliche Politiker, die bereit sind in Sachen Krim-Annexion beide Augen zuzudrücken. … Von Nutzen ist sie nur für das ukrainische Volk. Sie ist wie eine Ikone, die dem TV-Bildschirm entstieg und zu einer echten Anführerin wurde.“
Ukrainische Pilotin hatte für Putin ausgedient
Die Freilassung der ukrainischen Kampfpilot ist ein Triumph des Westens über Moskau, meint die Journalistin Jagienka Wilczak auf ihrem Blog bei Polityka:
„Sawtschenko war für den russischen Präsidenten Wladimir Putin nicht mehr wichtig. Er hat bereits gezeigt, dass er hart sein kann und ohne Pardon mit dem Feind kämpft. Sie wurde auf ukrainischem Territorium entführt, ins Gefängnis gesperrt, angeklagt und musste während der Verhandlungen in einem Käfig sitzen. Schließlich wurde sie dann nach anderthalb Jahren Prozess von russischen Gerichten verurteilt. Natürlich war dies nur ein dramatisches, an die russischen Bürger gerichtetes Schauspiel, um die Härte Putins zu demonstrieren.“
Heldin wehrt sich gegen Instrumentalisierung
Nun beginnen die unterschiedlichen Lager in der Ukraine, Sawtschenko für ihre politischen Ziele zu vereinnahmen, weiß Kolumnist Ramūnas Bogdanas vom Onlineportal Delfi:
„Einerseits ist Sawtschenko eine unabhängige Persönlichkeit, die ihr Vaterland sehr liebt und dafür ihr eigenes Leben zu opfern bereit ist. Anderseits nutzen die Politiker ihr Image für ihre eigenen Machtspiele. ... Die ersten Anzeichen sprechen aber dafür, dass Sawtschenko die Eigenschaft hat, das Echte durch die ganzen Dekorationen hindurch zu erkennen. Diese Eigenschaft soll ihr helfen sich gegen die Instrumentalisierung zu wehren und selbst zur wichtigen politischen Figur zu werden, weil ihr Herz genauso wie das des guten Teils der Bürger der Ukraine schlägt - im Rhythmus der Unabhängigkeit und der Transparenz.“
Jetzt Minsker Prozess wieder aufnehmen
Die Freilassung Sawtschenkos kann als Geste des guten Willens und als Teil einer Öffnung Russlands gegenüber Europa gewertet werden, meint die linksliberale Tageszeitung Der Standard:
„Der Schauprozess gegen Sawtschenko hat dem Image Russlands ohnehin genug geschadet. Putins Sprecher Dmitri Peskow unterstützte gar - zumindest rhetorisch - Kiewer Ambitionen auf die Rückkehr des Donbass in den ukrainischen Staat; wenn dies aus humanen Beweggründen geschehe. Das Bestreben, aufeinander zuzugehen, ist zu erkennen, muss aber mit Taten untermauert werden - von beiden Seiten übrigens, denn eine Dauerkonfrontation kann niemand wollen auf dem Kontinent. Gesten und Floskeln allein reichen nicht aus. Der Minsker Prozess muss wieder in Gang gebracht werden. Dazu ist Druck nötig; Druck, den Moskau auf die Separatisten ausüben muss, aber auch Druck aus Brüssel auf Kiew, sich an die Vereinbarung zu halten.“
Nadija steht für Hoffnung
Mit der Rückkehr Sawtschenkos verbinden sowohl Regierung als auch Opposition in der Ukraine hohe Erwartungen, meint der Politikwissenschaftler Dan Nicu in seinem Blog bei Adevărul:
„Der Name Nadija bedeutet im Ukrainischen Hoffnung. Und Präsident Poroschenkos Hoffnung ist die Wiedereingliederung des Donbass. … Die Rückkehr von Sawtschenko ist ein politisches Ereignis von höchster Wichtigkeit für die Ukraine, die in einem inoffiziellen Krieg mit Russland steht, bei dem es um die Kontrolle der Regionen im Osten des Landes und um die Halbinsel Krim geht. Einerseits bietet der Gefangenenaustauch der Regierung in Kiew zusätzliche Argumente, die internationale Gemeinschaft davon zu überzeugen, dass Russland für einen Teil des Kriegs in der Ostukraine verantwortlich ist. Andererseits konsolidiert Sawtschenkos Rückkehr nach Kiew die [oppositionelle] Vaterlandspartei.“
Vorbild im Kampf um Wahrheit und Menschenwürde
Sawtschenko kehrt zu Recht als Heldin in die Ukraine zurück, meint Postimees:
„Einige Politiker und Aktivisten haben versucht, die Freilassung als Ergebnis ihrer Bemühungen darzustellen, doch das ist falsch. Vor allem war es der große moralische Sieg Nadija Sawtschenkos selbst, denn sie war es, die zwei Jahre lang die Härte und Erniedrigungen ertragen musste. Sie selbst ist Vorbild im Kampf um Wahrheit und Menschenwürde. Sie ist unumstritten eine Heldin ihres Volkes und Staats. Die Mitarbeiter des Militärgeheimdiensts GRU Jerofejev und Aleksandrov wurden in Moskau ganz anders begrüßt. Die Männer, die als Soldaten in die Ukraine geschickt wurden, die die Befehle ihrer Vorgesetzten erfüllt haben, bekamen keinen Heldenempfang. Im Gegenteil: Ihr Fall hat gezeigt, wie leicht es dem russischen Regime fällt, diejenigen aufzugeben, die der Macht dienen.“
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