Lebt der Geist von Gezi wieder auf?
Erdoğan will im Istanbuler Gezi-Park wie ursprünglich geplant eine osmanische Kaserne nachbauen, das Vorhaben hatte 2013 zum Ausbruch der landesweiten Proteste geführt. Gleichzeitig protestieren Schüler von mehr als 370 Gymnasien gegen die Bildungspolitik der Regierung. Wird die Türkei von einer neuen Protestwelle erfasst?
Erdoğan will Bürgerkrieg provozieren
Die Ankündigung des türkischen Präsidenten wertet die liberale Internetzeitung T24 als eine gezielte Provokation:
„Herr Erdoğan weiß sehr genau, dass das in dieser gefährlichen, angespannten, explosiven Lage einen bedeutenden Teil der Bevölkerung erzürnen und die Spannungen, die Wut und die Polarisierung befördern wird. Das ist ja auch das Ziel. ... Ist der Plan, den Stellungskrieg gegen die Kurden im Osten und Südosten auf den Westen, vor allem Istanbul auszubreiten? Glauben und denken will man das nicht, aber wenn man die politischen Entwicklungen und Ereignisse sowie Erdoğans Stil und Logik der letzten zwei, drei Jahre mit soziologischen Augen bewertet, gibt es viele Anzeichen, die diese Angst untermauern. ... Daher müssen wir zuallererst diese Provokationen vereiteln.“
Atatürks Jugend rettet die Zukunft der Türkei
Wie schon bei den Gezi-Protesten vor drei Jahren geht die Bewegung von der Jugend aus, freut sich die kemalistische Tageszeitung Sözcü:
„Zehntausende Schüler von hunderten von Schulen veröffentlichen großartige Papiere und rufen aus, dass sie die rückwärtsgewandte, repressive Mentalität der AKP nicht dulden werden. Das Durchschnittsalter in der Türkei ist 30, es gibt fast 40 Millionen junge Menschen unter 30 Jahren. Die Macht und die Zukunft liegen bei ihnen und wir haben das Glück, dass sie sich absolut bewusst und entschlossen für ihre Zukunft einsetzen wollen. Alle Systeme, die auf ihre Jugend einschlagen, sind dazu verdammt zu verlieren. Denn die Jugend ist stark, idealistisch, unerschrocken und opferbereit. Das wichtigste ist, dass türkische Jugendliche Anhänger Atatürks sind, Atatürk kennen und wissen, dass sie die bisher erlebten Freiheiten und Modernität seiner zeitlosen Vision verdanken.“
Verschwörer wollen das Land zerstören
Den Protest türkischer Gymnasiasten sieht die islamisch-konservative, regierungstreue Tageszeitung Yeni Şafak als Teil einer hochgefährlichen Verschwörung in der Tradition der Gezi-Proteste:
„Es gibt Anzeichen für den Plan, sowohl die Aleviten als auch die Kurden im kommenden Herbst auf die Straßen zu bringen. Es wird ein noch größeres Szenario vorbereitet. Es ist ein Plan, nicht für einen Straßenputsch, einen Regimewechsel oder einen Sturz Erdoğans, sondern um die Türkei zu zerstören, zu teilen, in ein zweites Syrien zu verwandeln. Das Spiel, das heute auf dem Rücken der Gymnasiasten gespielt wird, ist die Vorübung dafür. ... Vielleicht werden sehr erfolgreiche Schulen von Schülern, die aus der Mittel- und Oberschicht und vom Lebensstil her aus einem westlichem Umfeld stammen, in Einsatzzentralen verwandelt. Mit dem 'Aufstand der Gymnasien' will man den Gezi-Vandalismus in eine neue Form bringen.“