Briten stimmen für Brexit
Erstmals hat sich ein Land für den Austritt aus der EU entschieden. Die Briten stimmten im Referendum mit knapp 51,9 Prozent für den Brexit, 48,1 Prozent stimmten dagegen. Premier Cameron kündigte seinen Rücktritt an. Ist das nur ein Denkzettel für die Union oder wird damit ihr Ende eingeläutet?
Das Ende Großbritanniens?
Schotten und Nordiren haben sich mehrheitlich gegen den Brexit ausgesprochen, sie könnten sich nun von den mehrheitlich EU-kritischen Engländern abspalten wollen, fürchtet die Financial Times:
„Die britischen Völker sind gespalten. In England verläuft eine Trennlinie zwischen den großen Städten und den post-industriellen Provinzen. ... Das Votum gegen die EU könnte sich durchaus als Votum gegen Großbritannien erweisen. Bei den Brexit-Befürwortern handelte es sich um englische Nationalisten. Schottland und Nordirland wollten in der EU bleiben, ebenso London, die überragende globale Metropole. Der Austritt aus einer Union könnte also den Tod einer anderen Union bedeuten. Wer könnte den Schotten vorwerfen, Europa einem England vorzuziehen, das sich in sich selbst zurückgezogen hat? Wie lange noch werden die Engländer bereit sein, Geld nach Nordirland zu pumpen?“
Europa bekommt den Spiegel vorgehalten
Die EU wird sich schwer tun, diesen Schock zu überwinden, prophezeit Il Sole 24 Ore:
„Die EU hat sich seit geraumer Zeit selbst brexitisiert - unter der Welle der Wut, der Frustration und der Ernüchterung ihrer Bürger. In diesem Sinne erscheint der eigentliche Brexit wie ein unbarmherziger Spiegel, der das schlechte Gewissen Europas zeigt - einer Union, die seit Langem mit sich hadert. Die Verhandlungen mit London werden zäh und kompliziert werden, Kompromissbereitschaft wird es - ganz anders als üblich - kaum geben, denn diesmal gilt es, Nachahmungseffekte zu verhindern. Erschwerend kommt hinzu, dass im kommenden Jahr in den Niederlanden, Frankreich und Deutschland gewählt wird. Die ersten beiden Länder stehen seit Jahren unter einem unerträglichen national-euroskeptischen Druck, während das dritte unter einem Anti-Migrations- und Anti-Euro-Syndrom leidet.“
Cameron hat sich verzockt
Camerons Referendum war von Anfang an eine schlechte Idee, schimpft Helsingin Sanomat:
„Das schockierende Ergebnis von Freitagmorgen beweist, dass der konservative Premier David Cameron Anfang 2013 eine fatale Fehleinschätzung vorgenommen hat. Um seine und die Stellung seiner Partei zu stärken, versprach Cameron den Briten ein EU-Referendum. Er wusste um die große EU-Skepsis in Großbritannien, und er wusste, dass bei Referenden nicht immer über die eigentliche Sache abgestimmt wird. Dennoch ging er das Risiko ein und versprach das Referendum. Jetzt müssen die Konsequenzen getragen werden. ... Die Einsätze bei dem Spiel waren hoch und Cameron hat verloren. Gleichzeitig haben auch Großbritannien und die gesamte Europäische Union verloren.“
Welcher Exit kommt als Nächstes?
Die Kettenreaktion ist ausgelöst, fürchtet Berlingske:
„'Heute sprechen wir vom Grexit, morgen kommt der Brexit und übermorgen der Frexit', sagte Front National-Chefin Marine Le Pen schon vor einem Jahr. Auch in den Niederlanden, wo eine deutliche Mehrheit bei einem Referendum im April gegen ein EU-Handelsabkommen mit der Ukraine stimmte, kann ein Referendum über die EU aufs Tapet kommen, falls der EU-Kritiker Geert Wilders bei der Wahl im kommenden Jahr an die Macht kommt. ... Man spricht bereits von einem Nexit. Und ein dänischer Exit - ein Dexit - wird auf Twitter und in anderen sozialen Medien schon im Zusammenhang mit dem Frexit und dem Nexit genannt. Nicht zuletzt hat ja EU-Gegner Nummer Eins, Nigel Farage, prophezeit, dass einem Brexit ein Dexit und ein Nexit folgen werden, ehe die EU völlig zusammenbricht. ... Die Wortspiele dürften sich fortsetzen.“
Endet die EU wie die Sowjetunion?
Sollte die EU nun weiter zerfallen, ist der Frieden in Gefahr, warnt die sozialistische Tageszeitung Duma:
„Die Briten sind angewidert von der EU und ihrer Führung. Juncker verhält sich widerlich und arrogant gegenüber den Briten, und nicht nur ihnen gegenüber. Die EU ist ein Symbol dickhäutiger Bürokratie, sinnloser Quoten und unrealistischer Regulierungen. In solch einem ungesunden Umfeld ist es nicht verwunderlich, dass Nationalismen aufblühen und viele europäische Länder das sinkende Schiff verlassen wollen. Und dennoch: Wir haben in den 1990er Jahren gesehen, was passiert, wenn eine Union auseinanderbricht: Armenier, Georgier und andere Ex-Republiken der UdSSR sind sich gegenseitig an die Gurgel gegangen. Wäre es möglich, dass in der EU ähnliche Konflikte ausbrechen? ... Und ob! Es wird wohl nach dem Brexit oder nach dem Auseinanderbrechen der EU nicht zum Krieg kommen, doch die Gefahr von Konflikten wird nun wesentlich höher sein.“
Welle der Europaskepsis nutzt Russland
Der Brexit schwächt Europa und stärkt Russland, bringt die Pravda die nun wachsenden Sorgen der Mittel- und Osteuropäer auf den Punkt:
„Moskau erfreut zum einen die Hoffnung, dass nun bald die Sanktionen der EU beendet werden. Und der zweite wichtige Aspekt: es eröffnet sich die Möglichkeit, die 'natürliche' Einflusssphäre in Mittel- und Osteuropa zu erneuern. Erleichtert wird das durch den Umstand, dass dort die Welle des Europa-Optimismus vorbei ist und verschiedene Populisten und Faschisten das Wort führen. Selbstverständlich bewegt den Normalbürger von Sheffield weit mehr das Schicksal des dortigen Stahlwerks oder die Migrationsfrage, als dass die Staaten Mittel- Osteuropas erneut Satelliten Russlands werden könnten. Und vor allem danach haben sie sich beim Referendum gerichtet. Nur - in London und Sheffield wurde auch über Tallin und Riga entschieden.“
Briten lassen uns im Stich
Bitter enttäuscht über den Egoismus der Briten zeigt sich Journalist Calin Nicolescu auf seinem Blog bei Adevărul:
„Die Rhetorik des Brexit hat gnadenlos auf die Armen aus Osteuropa gezielt (zu denen nicht nur Rumänen gehören), die angeblich kommen, um vom britischen Sozialversicherungssystem zu profitieren. Mit keinem Wort wurden die osteuropäischen Fachkräfte erwähnt, die zum Gedeihen der britischen Wirtschaft beigetragen haben - und auch zu einer positiven Entwicklung des Sozialversicherungsbudgets. Die Briten meinen, dass sie weiterhin qualifizierte Zuwanderer anziehen werden, die sich durch die britische Wirtschaft versklaven lassen - die Anderen sollen im eigenen Saft verschmoren. Sie haben die Dreistigkeit, zu sagen: Wir teilen einen Kaffee. Die Sahne gehört uns, der Kaffeesatz euch. … Die unterschwellige Botschaft des Referendums, ist, dass die Briten nur solange Freunde sein wollen, wie es ihnen gefällt. Wird es schwierig, lassen sie einen abblitzen.“
Die Fesseln gesprengt
Mit ihrem Votum haben die Briten der ganzen Welt gezeigt, dass sie sich nicht länger von anderen regieren lassen wollen, lobt Kolumnist Tim Stanley in The Daily Telegraph:
„Das Finanzministerium, der IWF, sogar der US-Präsident haben dafür gekämpft, dass Großbritannien in der EU bleibt. ... Doch nein: Die Menschen wollten selbst entscheiden und das haben sie getan. Überall im Land haben sie den Experten getrotzt und sind ihrem Gewissen gefolgt. Vor allem die Anhänger der Labour-Party: Der Nordosten rebellierte gegen ein Jahrhundert der politischen Führung durch Labour. ... Es ist durchaus möglich, dass die Wähler besser als wir Kommentatoren begriffen hatten, worum es bei diesem Referendum tatsächlich ging. Es war ein Votum über das Vertrauen in Großbritannien. Wollen wir unsere Geschicke selbst lenken oder sollen wir das ausländischen Bürokraten überlassen?“
Bye bye, deutsches Europa
Die Briten haben eine tapfere Entscheidung getroffen, lobt To Vima:
„Großbritannien verlässt das deutsche Europa und die britischen Bürger gewinnen die Kontrolle über ihr Land zurück. … Heute früh hat das Ende dieser Hegemonie begonnen. Der Weg wird nicht einfach sein. Aber während die Freiheit noch nie einfach war, ist und bleibt sie die Grundlage der westlichen Welt, deren Leistungen und Kultur. Ohne diese Freiheit, existiert das Urbild der demokratischen und liberalen Welt nicht. Der Gott hat die Königin gerettet, oder genauer gesagt: die Briten haben zum wiederholten Mal in ihrer Geschichte gezeigt, dass sie sich nicht erpressen lassen - etwas, was diejenigen respektieren sollten, die im Europa des 21. Jahrhunderts alles für sich haben wollen.“
Tritt in den Hintern der Brüsseler Bonzen
Wer schuld am Ausgang des Referendums ist, ist für die Boulevardzeitung Super Express glasklar:
„Solche Leute wie Jean-Claude Juncker, Martin Schulz und Guy Verhofstadt haben einen ordentlichen Tritt in ihre vier Buchstaben verdient. Denn ihre Politik, ihr Gerede und ihre Geringschätzung gegenüber Bürgern, die ihre Auffassung über die EU nicht teilen, haben dazu geführt, dass die Gemeinschaft kurz vor dem Zusammenbruch steht. Die Befürworter des Austritts, und alle, die auf dem Kontinent im Stillen oder ganz offen mit ihnen sympathisieren, haben jetzt einfach diese arrogante und rüpelhafte Art und Weise satt, mit der sie von den Europäern behandelt werden. Diese ist ja schon eine Art Markenzeichen der Bonzen aus Brüssel. Wenn die Briten etwas ablehnen, dann ist es die Union, die von diesen Herren repräsentiert wird.“