Barroso geht zu Goldman Sachs
Der ehemalige EU-Kommissionspräsident Barroso fühlt sich von seinem Nachfolger diskriminiert: Juncker hatte angekündigt, Barrosos Wechsel zur Investmentbank Goldman Sachs ethisch prüfen zu lassen und EU-Vertreter angewiesen, diesen künftig wie jeden anderen Lobbyisten auch zu behandeln. Das stelle "seine Integrität infrage" beklagte sich Barroso nun. Die Presse kann er in dieser Kontroverse nicht hinter sich bringen.
Kein Staatsmann, sondern Lobbyist
Dass Barroso sich über die Behandlung durch seinen Nachfolger Juncker beklagt hat, schlägt dem Fass den Boden aus, schimpft Jornal de Notícias:
„Es gibt mehrere Gründe, dem herabwürdigenden öffentlichen Spektakel mit Staunen zu folgen, das sich nach der Einstellung von Barroso bei Goldman Sachs abspielt. Eins macht das Ganze aber noch surrealer: die Dreistigkeit, mit der sich der frühere EU-Kommissionspräsident und portugiesische Premier nun über eine angebliche Diskriminierung seitens der Kommission beklagt. ... Was hat er denn erwartet? Etwa eine breite Unterstützung der europäischen Öffentlichkeit? Ein Klopfer auf den Rücken? ... Es war nicht Juncker, der ihm den 'roten Teppich' entzogen hat, sondern es war Barroso selbst, der dank seines eigenen persönlichen Ehrgeizes über diesen gestolpert ist. Diesen roten Teppich nennt man Ansehen, Ehre, Integrität. … Der jetzige Mitarbeiter von Goldman Sachs kann nicht erwarten, dass er weiterhin als Staatsmann empfangen wird, nachdem er bevorzugt hat, ein Lobbyist zu werden.“
Katastrophaler Schaden für die EU
Als würdeloses Schauspiel, das dem Ansehen der gesamten EU schadet, bewertet De Standaard Barrosos Verhalten:
„Es ist entlarvend, dass Barroso nicht einsieht, dass sein Plan der Europäischen Union - oder was davon in diesen Tagen noch übrig ist - katastrophalen Schaden zufügt. Der Brief einiger anonymer europäischer Beamter, der heute unter anderem in dieser Zeitung erscheint, ist bezeichnend. Darin kommt der Schmerz des Fußvolks zum Ausdruck, das fühlt, wie zerbrechlich Europa nach den aufeinanderfolgenden Krisen geworden ist, zu schwach, um einer Affäre wie dieser die Stirn zu bieten. ... Barrosos Nachfolger Jean-Claude Juncker nutzt die Waffen, die er hat. Er kündigte an, dass sein Vorgänger alle Vorrechte verliert und eine ethische Kommission die Frage untersuchen wird. Aber das ist keine Lösung. Nur wenn Barroso noch zur Besinnung kommt, ist vielleicht noch etwas zu retten.“
Portugiesen zu Recht sauer auf ihren Ex-Premier
Der Wechsel des früheren EU-Kommissionspräsidenten Barroso zu Goldman Sachs stößt in erster Linie seinen portugiesischen Landsleuten übel auf, beobachtet die Pravda:
„Früher haben Politiker auf dem Altenteil ihre Memoiren verfasst. Dafür haben sie heute Ghostwriter. Sie selbst bringen sich mit ihren Erfahrungen lieber anderswo ein. Geld stinkt auch Sozialdemokraten wie Blair oder Schröder nicht. Wenn aber ein einst überzeugter Maoist wie Barroso beim Symbol der Wallstreet anheuert, überrascht das schon. Und es löst in Portugal eine Welle der Empörung aus. Verständlich, musste das Land doch schwere Jahre durchleiden. Die Menschen sind es müde, den Gürtel immer enger zu schnallen. Wenn der frühere Premier dann in eine Gesellschaft einsteigt, die 2008 die Krise auslöste, in deren Folge Privatbanken mit öffentlichen Geldern saniert wurden, fragt man sich schon, welchen Interessen Politiker dienen.“
Wer bessere Politiker will, muss sie wählen
Durch neue Regeln wird man geldgierige Politiker nicht umerziehen können, sondern die EU-Bürger müssen sich ihre anständigen Führungskräfte schon selber auswählen, mahnt L'Echo:
„Mehr als eine Gesellschaft voller Verhaltensregeln, diktiertem Anstand und aufgezwungener Moral braucht Europa echte Staatsmänner und -frauen. Und zwar solche, die das Allgemeinwohl über ihre Engherzigkeit stellen, die allein auf die eigenen Vorteile ausgerichtet ist. Doch diese neuen Politiker entstehen nicht in einem abgeriegelten Raum voller Richtlinien, die die Anzahl der auszuhaltenden Monate festlegt, bevor man wieder den Lastern des Egoismus frönen darf. Diese neuen Politiker gehen vor allem aus den Wahlurnen hervor. … Europa braucht Tatkraft und Ehrgeiz. Es braucht Politikerinnen und Politiker, die es voranbringen und dabei über ihre eigenen Grenzen gehen und sich selbst vergessen. Solche Männer und Frauen gehen nicht nur in die Geschichte ein, sondern gestalten sie.“
Der richtige Mann am richtigen Ort
Die Wirtschaftszeitung Naftemporiki findet Barrosos Wechsel zu Goldman Sachs sinnvoll:
„Er war EU-Kommissionspräsident in einer der schwierigsten Perioden der Geschichte der Eurozone, die extrem durch die Schuldenkrise getestet wurde. Viele glauben, dass Barroso durch sein Handeln der Eurozone geholfen hat, die Krise zu überwinden. … In Portugal hat seine Anstellung in einer Investmentbank, die einen Teil der Schuld für die Kreditkrise von 2008 trägt, heftige Reaktionen ausgelöst und Fragen zu einem möglichen Interessenkonflikt erzeugt. Für die Finanzwelt jedoch ist Barroso dank seiner Erfahrung und seinem Know-how der richtige Mann am richtigen Ort. Wir sollten nicht vergessen, dass er nicht der erste Brüsseler Technokrat im Dienste der riesigen US-Investmentbank ist: Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hatte bei Goldman Sachs schon gearbeitet, bevor er in Frankfurt landete.“
So etwas gehört verboten
Die EU sollte dringend Regelungen einführen, damit solche dem Ansehen der Gemeinschaft schadenden Seitenwechsel sich künftig nicht wiederholen, rät Libération:
„Dieser Karriereabschluss beschmutzt die ganze EU. ... Wie kann man sich nunmehr des Verdachts erwehren, dass die Kommissionspräsidenten und die Kommissare das ein oder andere Interesse mit dem Ziel vorantreiben, sich eine finanziell komfortable Zukunft zu sichern? Die Kommission und die Mitgliedsstaaten sollten schnellstens Regeln aufstellen, um solchen Interessenkonflikten einen Riegel vorzuschieben. Mit seinem Wechsel in den Dienst der Investmentbank Goldman Sachs, für die Geld die einzige Moral, die Zukunft der Union hingegen die geringste Sorge ist, brüskiert Barroso die Europäer gewaltig. De facto hat er jedoch gegen keine Regel verstoßen. Und genau das ist das Problem.“
Barroso war noch nie ein Idealist
Dass der ehemalige EU-Kommissionspräsident nun Aufsichtsratsvorsitzender von Goldman Sachs wird, überrascht Diário de Notícias nicht:
„Goldman Sachs pflegt enge Beziehungen zur Politik und betreibt Lobbyarbeit mit der Entschlossenheit eines Raubtieres. ... Die Liste der ehemaligen Top-Führungskräfte dieser Investmentbank, die Beziehungen zu Politik haben oder hatten, ist endlos. Nun ist Barroso an der Reihe: Der ehemalige Kommissionspräsident hat die politische Arena mit einem enormen Kapital an wertvollem Wissen und einer umfangreichen Kontaktliste verlassen. ... Nein, Barroso geht nicht zur UN - er war noch nie ein Idealist, sondern stets ein Pragmatiker. Zu einer Zeit, in der man den Brexit verhandelt, gibt es nämlich einen Batzen Geld zu gewinnen. Hinzu kommt noch die neue Bankenregulierung, das Handelsabkommen mit den USA und natürlich die Aufspaltung der EU und die Unsicherheit über den Euro selbst. 'Was des einen Leid, ist des anderen Lottogewinn!'“