Verschont EU Spanien und Portugal zu Recht?
Trotz eines zu hohen Haushaltsdefizits will die EU-Kommission keine Geldstrafen gegen Spanien und Portugal verhängen. Auch die Finanzminister stimmten dem jetzt zu. Gründe seien die schwierige Wirtschaftslage in den Ländern und die allgemeine Europaskepsis. Während sich einige Kommentatoren freuen, dass sich der Wind in der Union zu drehen scheint, sind andere geradezu entsetzt.
EU schlägt endlich richtigen Weg ein
In Brüssel setzt sich die Vernunft durch, freut sich La Croix und hofft, dass weitere Schritte folgen werden:
„Seitdem sich die Briten im Juni entschlossen haben, die EU zu verlassen, hüten sich die europäischen Institutionen davor, die Euroskepsis zu verstärken und den Misskredit, in den sie immer dann geraten, wenn sie rein technokratisch agieren. Diese Vorsicht wurde bereits gegenüber Frankreich und seinem Haushaltsdefizit an den Tag gelegt. Sogar gegenüber Griechenland ist eine gewisse Flexibilität spürbar. Auf einmal erwecken die Kommission und die Regierungen der Eurozone den Eindruck, dass sie nun auf Sicht navigieren. Es ist also Zeit, Konjunkturprogramme zu verabschieden, die Strukturreformen in den Ländern, in denen sie nötig sind, mit wirksamen Investitionen in Zukunftsbranchen verbinden. Dies erfordert allerdings eine gemeinsame Vision: von Berlin über Brüssel und Paris bis nach Madrid.“
Portugals Premier vor großen Herausforderungen
Portugals Regierung hat von der Entscheidung der Kommission profitiert, muss aber nun sehr bedacht agieren, warnt Jornal de Negócios:
„Es ist ein politischer Sieg für Portugals Premier António Costa. ... Doch wo es Sieger gibt, gibt es auch Verlierer. In diesem Fall handelt es sich dabei abstrakt um die EU-Kommission und einige 'Falken' des Ecofin. ... Da aber keiner gerne verliert eröffnet dieser 'Sieg' auch eine neue Ära in den Beziehungen zwischen Portugals sozialistischer Regierung und den europäischen Partnern, die fortan von einer Null-Toleranz geprägt sein wird. Jede, noch so geringfügige Regelabweichung wird mit Strenge bestraft werden - was Costa vor eine Reihe von beträchtlichen Herausforderungen stellt: Erstens die Verpflichtung, das Haushaltsdefizit 2,5 Prozent in diesem Jahr nicht zu übersteigen. Zweitens, die dafür nötige Haushaltsdisziplin einzuhalten und die parlamentarische Unterstützung [der Minderheitsregierung] durch die Linksparteien weiterhin zu garantieren.“
EU vermeidet weiteren Fehltritt
Die EU-Kommission hat aus verschiedenen Gründen richtig gehandelt, meint die Tageszeitung Avgi:
„Sie hat es vermieden, Öl in mehrere Feuer zu gießen, die gerade in der Eurozone brennen. Erstens hat sie es vermieden, den beiden Volkswirtschaften zu schaden, die große Probleme haben, sich auf den Beinen zu halten. ... Zweitens hat sich die Kommission zum wiederholten Mal den Vorwurf erspart, dass sie einige anders behandelt. Denn wie könnte sie die Durchsetzung von strengen Regeln in Spanien und Portugal rechtfertigen, wenn sie konsequent Wege findet, flexibel mit Frankreich und Italien umzugehen? Drittens, und das nicht zuletzt, scheint die Kommission Europas Bürger und die derzeitigen Umstände zu berücksichtigen. Wie soll denn die EU-Kommission als Hüterin der Verträge sich als streng darstellen, wenn die EU immer weniger attraktiv für ihre Bürger ist?“
Kommission entwertet den Stabilitätspakt
Ihre Entscheidung hat die EU-Kommission vor allem mit Blick auf einen anderen potentiellen Defizitsünder getroffen, kritisiert das Handelsblatt:
„Wer soll die Brüsseler Budgetwächter noch ernst nehmen, wenn sie Verstöße gegen den Stabilitätspakt nie sanktionieren? ... Die Regierungen in Lissabon und Madrid haben auch kostspielige Wahlgeschenke gemacht und sind in jüngster Zeit vor unpopulären, aber gleichwohl wichtigen Strukturreformen zurückgeschreckt. Die Kommission hätte dies zumindest mit einer geringen, symbolischen Strafe ahnden müssen. Dass sie es nicht tat, hat womöglich etwas mit einem anderen chronischen Haushaltssünder zu tun. Frankreich soll nun sein Staatsdefizit 2017 endlich unter die Drei-Prozent-Marke drücken - ausgerechnet im Präsidentschaftswahljahr. ... Die Kommission könnte Frankreich aber nächstes Jahr nicht davonkommen lassen, wenn sie Spanien und Portugal dieses Jahr abgestraft hätte. So kamen Letztere davon.“
EU geht erneut vor Südländern in die Knie
Die EU-Kommission hat sich unglaubwürdig gemacht, klagt De Telegraaf:
„Spanien und Portugal halten sich nicht an die Regeln. Aber dennoch beschloss Brüssel, dass diese Länder (noch) mehr Zeit bekommen, um Ordnung zu schaffen. Also keine Buße. Die Argumentation von EU-Währungskommissar Pierre Moscovici: Es wurden Fehler gemacht, aber nun zählt die Zukunft. Doch geht es bei der Glaubwürdigkeit nicht auch im die Zukunft? Die Eurozone entwickelt sich immer mehr zu einer Währungsunion, in der schwache Mitglieder nicht rechtzeitig korrigiert werden. Diese werden aber doch gerettet, sobald es nicht gut läuft. In dieser Woche kommen die Ergebnisse des europäischen Bankentests. Werden die Mitgliedsstaaten die Löcher mit Steuergeldern stopfen, entgegen der neuen Absprachen? Das wird ein neuer Test für die Standfestigkeit von Brüssel.“
Kein Triumph für Spaniens Regierung
Dass Brüssel Spanien vorläufig nicht wegen des zu hohen Haushaltsdefizits sanktionieren wird, hält El País für vernünftig, deutet die Entscheidung aber nicht als politischen Erfolg der Regierung:
„Eine auch noch so geringe Strafe hätte das Problem mit der Finanzstabilität nicht gelöst. Auch wenn die Wirtschaft davon gekommen ist (zumindest vorläufig, denn eine Entscheidung über die Strukturfonds steht noch aus), kann niemand von einem politischen Triumph sprechen, nach vier Jahren unnützer und gescheiterter Versuche, den Haushalt zu sanieren. ... In diesem Sinne sind die Vorgaben aus Brüssel nur schwer zu erfüllen. Das Defizit ist dieses Jahr in die Höhe geschossen und es wieder unter fünf Prozent zu drücken, wäre eine beispiellose Leistung. ... Vor allem wenn man bedenkt, dass die Übergangsregierung weiterhin nur Flickwerk macht, wo es doch, wie Brüssel immer wieder betont, um ein strukturelles Problem geht.“
Politisch richtig entschieden
Klug und richtig, findet Der Standard die Entscheidung der EU-Kommission:
„Es spiegelt sich darin der Urkonflikt zwischen Deutschland und Frankreich, der die Eurozone seit 1998 begleitet, dazwischen die übrigen Staaten. In Berlin sind die Hüter der reinen Eurolehre zu Hause, in Paris die Etatisten, die das Primat von Politik und Wachstum über Stabilität stellen. So betrachtet ist die Entscheidung der Kommission, Spanien und Portugal Strafzahlungen zu erlassen, weise. Vom bloßen Abstrafen hat niemand etwas, vom Eingreifen schon. Die Eurostaaten müssen eng verzahnt werden, Maßnahmen abstimmen, eine flexible Wirtschafts- und Währungsunion schaffen. Die Union ist immer am besten gefahren, wenn man Profit und Fortschritt im Kompromiss, nicht im Gegeneinander gesucht hat. Niemand sollte das besser wissen als Euro-Hauptnutznießer Deutschland.“
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