EU hart zu Defizitsündern Portugal und Spanien
Erstmals in der Geschichte der Währungsunion sollen Mitgliedstaaten wegen ihres Haushaltsdefizits belangt werden. Nachdem die Entscheidung über Sanktionen gegen Spanien und Portugal mehrmals verschoben wurde, haben sich die EU-Finanzminister am Dienstag darauf geeinigt. Wie hoch die Strafe ausfällt, entscheidet nun die Kommission. Ist diese Maßregelung sinnvoll?
Kommission will Regierung Costa erpressen
Die Sanktionen gegen Portugal sind nichts weiter als eine Erpressung der neuen Regierung, schimpft Anselmo Crespo auf dem Portal des privaten Nachrichtensenders SIC Notícias:
„Europa steht kurz davor, den Respekt der Bürger zu verlieren. ... Das Verhängen von Sanktionen wegen zwei Zehnteln hinterm Komma ist einfach nur dumm. Es handelt sich dabei um eine rein politische Entscheidung. Im Wesentlichen will die EU-Kommission die Minderheitsregierung von Premier António Costa dazu zwingen, einen Plan B mit weiteren Konsolidierungsmaßnahmen vorzustellen. Costa hat das schon längst kapiert und gibt sich kämpferisch. Er weiß, dass das Überleben seiner Minderheitsregierung davon abhängt. ... Das Defizit zu senken und gleichzeitig die Wahlprogramme von vier Parteien einzuhalten ist gleichbedeutend mit der Fähigkeit, Himmel und Hölle zu verbinden, ohne sich dabei zu verbrennen.“
Brüssel soll Rajoy für seine Fehler bestrafen
Die Sanktionen gegen Spanien sind gerechtfertigt, denn die Regierung Rajoy hat sich bewusst über die EU-Regeln hinweggesetzt, urteilt El País:
„Politisch gesehen hat die Regierung die Sanktion verdient, keine Frage. Die Haushaltsanpassung war das beste Beispiel für politische Unfähigkeit, denn die Säulen des Wohlfahrtsstaates wurden wahllos gekippt (Erziehung, Gesundheitswesen, Sozialfürsorge) und dabei konnte noch nicht einmal kurzfristig das Schuldenwachstum gestoppt werden. Die Regierung hat im eigenen Interesse die festgelegten Zusagen ignoriert, diese aber andererseits, wenn es wahlpolitisch gerade passte, als Ausweg aus der Krise gepriesen. ... Rajoy dachte, er könnte einfach die Steuern senken und damit die Defizitauflagen missachten und damit in Brüssel auch so ungeschoren davonkommen, wie er das bei den Wählern geschafft hat. Doch da hat sich Rajoys Regierung getäuscht. Dieser grundlegende Irrtum muss aufgedeckt werden.“
Die ständige Bevormundung nervt
Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat die Entscheidung für Sanktionen mit den Worten kommentiert, es sei nicht das Ziel, Portugal und Spanien zu bestrafen, "sondern mit Anreizen zu erreichen, dass die Mitgliedstaaten tun, was sie im eigenen Interesse tun müssen". Bissig kommentiert dies Jornal de Negócios:
„Die Neuigkeit ist, dass beiden keine Sanktionen drohen, sondern Anreize. Sind Sie verwirrt? Der deutsche Finanzminister erklärt es: Im Gegensatz zu dem, was das Wörterbuch sagt, sind Sanktionen keine Strafen. Sie sind eher ein 'Stimulus' für zukünftiges gutes Verhalten. Ein Licht, das zurück auf den rechten Weg führt. Schäubles Aussage ist bezeichnend für ein gewisses paternalistisches Bevormundungsdenken der EU. ... Der europäische Integrationsprozess wird schon viel zu lange vom Grundsatz beeinflusst, dass Nationen nicht in der Lage seien, sich selbst zu regieren. Ja, selbst wenn man so denken sollte - es laut und öffentlich zu sagen hilft dem Zusammenhalt der Union kein bisschen.“
Das ist keine Union
Die Sanktionen gegen Portugal und Spanien zeigen, wie ungerecht es in der EU zugeht, bedauert die Wiener Zeitung:
„Spanien und Portugal verfehlen die Defizitziele im Budget und müssen nun mit einer Strafe rechnen. Diese wird eher symbolisch sein, aber immerhin. Warum es diese beiden Länder trifft, ist nicht ganz klar. Auch Frankreich hat ein zu hohes Budgetdefizit, das wird hingenommen. Sollte Italien von der EU-Kommission das Okay für staatliche Bankenhilfe erhalten, wird es die sogenannten Maastricht-Kriterien, nicht mehr als drei Prozent Defizit zu machen, kaum halten können. ... Wenn also die Großen ungeschoren davonkommen, dann spiegelt das die realen Machtverhältnisse in Europa, aber es ist halt keine Union. Es wäre eine schöne Geste gewesen, auch den beiden Ländern der iberischen Halbinsel mehr Zeit einzuräumen.“
EU-Kommission muss sich ehrlich machen
Immer wieder legt die EU in der Frage, ob Sanktionen gegen Defizitsünder angewendet werden sollen, unterschiedliche Kriterien an, stellt auch das Handelsblatt fest und fordert mehr Ehrlichkeit von der Kommission:
„Allzu oft sind es die Mitgliedstaaten selbst, die eine Durchsetzung der Regeln verhindern. Zu 100 Prozent perfekt wird ein solches regelgebundenes System ohnehin nie funktionieren. Politik besteht immer auch in der Fähigkeit, im richtigen Moment fünfe gerade sein zu lassen. Scheinheilig ist es aber, wenn die EU-Kommission die faktischen Ausnahmeklauseln für wichtige und mächtige Mitgliedstaaten leugnet - so geschehen im Defizitverfahren gegen Frankreich. ... Vielleicht sollte es die Kommission einmal mit der umgekehrten Strategie versuchen: Wo immer sich die Brüsseler Beamten den Interessen eines Mitgliedstaats beugen müssen, weisen sie in Zukunft offen darauf hin. Verbunden mit dem Tipp: 'Wem dieses Recht des Mächtigeren nicht gefällt, der muss gemeinsam mit uns für mehr Europa kämpfen.'“
So wird die Gemeinschaft gegen die Wand gefahren
Die Politik der EU ignoriert nicht nur die Realität, sondern sie ist auch fatal für die Gemeinschaft, schimpft Le Quotidien:
„Die Sanktionen können von einer Strafzahlung (in Höhe von bis zu zwei Prozent des BIP) bis zu einer Einfrierung der EU-Subventionen reichen. [Portugals Premier] António Costa hat im Fall von Sanktionen vor der Ausbreitung einer europafeindlichen Stimmung gewarnt. Nichtsdestotrotz macht es sich die EU-Kommission derzeit zur Pflicht, darauf zu bestehen, dass die Regeln angewendet werden müssen. So kontraproduktiv sie in wirtschaftlicher Hinsicht und so gefährlich sie politisch auch sein mögen, weil sie die Zunahme von Extremismus fördern - für die europäische Exekutive unter der Leitung von Jean-Claude Juncker verläuft alles so, als habe es den Brexit nie gegeben. Kurz vor der Mauer gibt sie richtig Gas.“
Spanien ist Europas Hintern
Im Streit über das Defizitverfahren hat sich Spanien in eine besonders schlechte Position manövriert, klagt Público:
„Wirtschaftsminister Luis de Guindos wird die EU-Kommissare darum bitten, uns die Sanktionen zu erlassen, die uns wegen der Überschreitung des Haushaltsdefizits drohen. ... Das unangenehme Gefühl, das Hinterteil Europas zu sein, wird durch die Worte von Guindos noch verschlimmert: 'Solange die Wirtschaft nicht wächst und keine neuen Arbeitsplätze entstehen, gibt es keine Garantien für die Pensionen.' Er hat das gesagt, nachdem Rajoy zum x-ten Mal den Pensionsfonds geplündert hat. Guindos steht in Brüssel mal wieder auf dem Sprungbrett und setzt dort über einem leeren Schwimmbecken zum Bauchplatscher an.“
Schuldenregeln sind nicht mehr zeitgemäß
Mit einem Strafverfahren geben Spanien und Portugal ist nicht zu rechnen, vermutet die Süddeutsche Zeitung:
„Das liegt schlicht daran, dass die politische Realität in den Mitgliedsländern immer seltener passt zu den Grenzen, die der Stabilitäts- und Wachstumspakt vorschreibt. Nach sieben Jahren Krise haben sich in vielen Ländern rings um Deutschland herum Schuldenberge angesammelt, sind Unternehmen zusammengebrochen oder abgewandert, suchen die Menschen vergebens nach Arbeit. Die Schuldenregeln wirken da wie aus der Zeit gefallen. Noch gravierender ist, dass die politische Basis der Parteien erodiert, die diese Länder bisher tragen. In Spanien waren gerade Neuwahlen erforderlich, in Portugal steht die Regierung kurz vor einem neuen Kreditprogramm. Und in einer solchen Situation Strafen verhängen? Post aus Brüssel würde den Neustart in beiden Ländern eher erschweren als erleichtern.“
Paris und Berlin wurden stets verschont
Die EU misst ganz klar mit zweierlei Maß, wenn es um die Defizitregeln geht, kritisiert Diário Económico:
„114 Mal! So oft haben EU-Mitglieder laut dem Münchner Ifo-Institut zwischen 1995 und 2015 die im Vertrag von Maastricht festgelegte Defizitgrenze von drei Prozent überschritten. Und wissen Sie welches Land diese Regel am häufigsten verletzt hat? Portugal? Nein. Griechenland? Nein. Etwa Spanien? Auch nicht! Irland? Nein. 'Oui', es ist Frankreich! Und das elf Mal. ... Aber auch Deutschland hat diese 'goldene Regel' verletzt: nicht einmal, nicht zweimal oder dreimal. Nein, ganze fünf Mal! ... Ok, aber Deutsche und Franzosen wurden natürlich sanktioniert, als sie ihre Defizitgrenzen nicht erfüllt haben, oder? Nein, noch nie! Und 2004, als beide sogar die drei Prozent Defizitgrenze überschritten haben, hat man einfach die Regel ausgesetzt. Man stelle sich das vor! Und das für ganze zwei Jahre! Wofür gibt es dann diese Regel? Klar: Um sie zu verletzen!“
Portugals Regierung hat Sanktionen verdient
Dass die EU-Kommission gerade jetzt Sanktionen gegen Portugal verhängen möchte, ist vor allem die Schuld der neuen sozialistischen Regierung, meint die wirtschaftsliberale Zeitung Jornal de Negócios:
„Die Kommission will Portugal bestrafen. ... Die Fragen die sich stellen sind folgende: Wurde Portugal jemals für die Verletzung der Defizitregeln bestraft? Nein! Sogar auch dann nicht, als diese grob verletzt wurden. Und warum nicht? Weil die Sanktionen nicht automatisch verhängt werden. Diese Entscheidung hängt immer vom Engagement der jeweiligen Regierung ab - von den Maßnahmen die umgesetzt werden, um die Defizitgrenze zu erreichen. Was Brüssel derzeit irritiert ist, dass die Ausreden, die in der Vergangenheit diese Abweichungen entschuldigt haben, nicht mehr gelten. Dies hat eindeutig mit der Finanzpolitik der jetzigen Regierung zu tun.“
Haushaltsdisziplin spaltet Europa
Ob und wie Defizitsanktionen gegen Spanien und Portugal verhängt werden, steht noch in den Sternen, meint Público:
„Über die Anwendung von Sanktionen ist man sich nicht einig. ... Die EU-Kommissare, EU-Finanzminister und die politischen Führer spalten sich auf zwischen den Orthodoxen, die auf die Unvermeidlichkeit von Sanktionen pochen - allen voran [Bundesfinanzminister] Wolfgang Schäuble, [Eurogruppen-Vorsitzender] Jeroen Dijsselbloem oder [EU-Währungskommissar] Valdis Dombrovskis - und denen, die einen flexibleren Ansatz der EU-Haushaltsregeln befürworten, um genau diese Sanktionen zu vermeiden (EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker, EU-Parlamentspräsident Martin Schulz, Italiens Premier Matteo Renzi oder Frankreichs Premier Manuel Valls). Alle sollten begreifen, dass der Beschluss der Kommission über mögliche Sanktionen gegen beide Länder ein Kompromiss sein muss, der diese unterschiedlichen Empfindlichkeiten reflektiert.“