Kein Ende des Grauens in Syrien in Sicht
Ständige Bombardements, zerstörte Krankenhäuser, kein Wasser und kein Essen: Die Situation in Aleppo wird immer verheerender. Staffan de Mistura, UN-Sondergesandter für Syrien, warnt, dass der von Rebellen kontrollierte Ostteil der Stadt bis Ende des Jahres vollständig zerstört werden könnte. Putins Plan ist erbarmungslos, schreiben Kommentatoren und fragen, warum sich niemand Moskau entgegenstellt.
Putins Plan wird aufgehen
Die schreckliche Situation in Aleppo gehört zu Putins erbarmungslosem Plan, erklärt Jutarnji list:
„Mit dem Fall Aleppos würde Assad fünf große Städte im westlichen Syrien kontrollieren. ... Das würde ihm einen bedeutenden Vorteil bei allen künftigen Gesprächen und Friedensverhandlungen sichern. Somit hat sich gezeigt, dass sich Putins Politik der Missachtung internationaler Normen außerordentlich auszahlt. ... Die Angriffe auf Aleppo, die systematische Zerstörung von Krankenhäusern und Schulen, die Terrorisierung von Frauen und Kindern - all das scheint so unnötig. Aber nach Meinung einiger ist das der Ausdruck einer durchdachten Strategie. Die Aufständischen sollen zum Bündnis mit den extremistischen Dschihadisten gezwungenen werden, um die Unterschiede zwischen den Regimegegnern zu verwässern. Damit soll die Legitimität der gemäßigten Opposition untergraben werden.“
Wo bleibt der Protest gegen Russland?
Warum die Wut, die in den sozialen Medien geäußert wird, nicht zu politischen Protesten gegen das russische Vorgehen in Syrien führt, fragt sich Ilta-Sanomat:
„Russland will die Aufständischen offensichtlich endgültig besiegen und dies geschieht nicht durch den Einsatz von hochtechnologischen Waffen, präzise Angriffe oder einen zermürbenden Stadtkrieg. Russland verfügt über Präzisionswaffen und Drohnen, aber sie sind sehr teuer und werden deshalb nicht eingesetzt. Aleppo wird mit traditionellen Mitteln dem Erdboden gleichgemacht, und ohne sich um Kriegsverbrechen zu kümmern. Die Angriffe sind wiederholt kritisiert worden, aber das scheint Moskau nicht zu stoppen. … Auch in Finnland sollte an das Leid der Zivilisten in Aleppo gedacht werden. Man kann nur hoffen, dass sich zumindest ein kleiner Teil der Wut, die durch die sozialen Medien wabert, gegen die russischen Bombardements richtet, die schon Merkmale von Kriegsverbrechen aufweisen.“
Dem Westen ist das Leben Unschuldiger egal
In einem Telefonat wiesen Obama und Merkel Russland und der syrischen Regierung eine besondere Verantwortung für die anhaltende Gewalt zu. Doch kann der Westen seine Hände schwerlich in Unschuld waschen, mahnt die katholische Tageszeitung Avvenire:
„Auch die westlichen Mächte, die Vereinigten Staaten an erster Stelle, bewegen sich außerhalb einer Logik des Dialogs und der Sorge um das Leben Unschuldiger. Sie haben die bewaffnete Opposition gegen Assad angestachelt. Sie haben den Krieg geschürt, statt ihn zu beenden. Nun sind sie nicht bereit, Moskau freie Bahn zu lassen. Dabei sind sie nicht mehr in der Lage, zu unterscheiden zwischen gesunden Komponenten der Freien Syrischen Armee und denjenigen, die die Armee unterwandert haben, um für den islamischen Fundamentalismus zu kämpfen. Die Politik kann immer (oder fast immer) einen Krieg stoppen, wenn sie den Willen dazu hat. Verfängt sie sich jedoch in einer Logik, die nur der Verteidigung der eigenen Interessen dient und dem Leid der Bevölkerung gegenüber gleichgültig ist, kann dieser Willen niemals hervortreten.“
Obamas größtes geopolitisches Versagen
Dass der US-Präsident Assad und Putin in Syrien gewähren lässt, ist ein folgenschwerer Fehler, klagt The Economist:
„Syriens Präsident Assad zerstört sein Land, um sich an der Macht zu halten. Russlands Präsident Putin exportiert seine politischen Methoden der verbrannten Erde, die er einst einsetzte, um die tschetschenische Hauptstadt Grosny in Angst und Schrecken zu versetzen und zu unterwerfen. Eine solche Brutalität wird den Dschihadismus nicht aufhalten, sondern anheizen. Die Untätigkeit der USA macht alles noch schlimmer. Das Leid in Syrien ist der moralische Tiefpunkt der Präsidentschaft von Präsident Barack Obama. Und das Chaos, das von Syrien ausgeht, wo sich nun viele al-Qaida und nicht dem Westen auf der Suche nach einer Rettung zuwenden, ist Obamas größtes geopolitisches Versagen.“
Washington will Nato raushalten
Die Strategie der USA im Syrienkrieg ist wenig erfolgversprechend, meint auch die regierungsnahe türkische Tageszeitung Star:
„Seit Beginn der Krise haben die USA ihren Alliierten ständig gesagt, was diese tun und lassen sollen. Zuerst wollten sie, dass die Türkei nicht Partei ergreift, danach sollte sie Partei ergreifen, aber nur im Rahmen des Kampfs gegen die IS-Miliz. Gleichzeitig waren die USA absolut gegen das Eingreifen der Nato. Es ist klar, dass es den USA weder um die Türkei noch um die Kräfte vor Ort geht. Sie wollen nicht, dass Alliierte wie Deutschland und Großbritannien eigenständig in den Syrienkrieg eingreifen. Die sollten sich im Hintergrund halten, damit die USA der einzige Verhandlungspartner Russlands bleibt. Doch dadurch kam Russland in die Lage, mit allen Seiten verhandeln zu können. Man muss wohl sagen, dass die USA mit dieser Strategie nicht sehr erfolgreich sein werden.“
Der Krieg lässt die Menschen kalt
Die Gleichgültigkeit gegenüber dem Syrienkrieg macht Kansan Uutiset fassungslos:
„Angesichts der Ruinen Nazi-Deutschlands wurde versichert, dass sich so etwas niemals wiederholen dürfe. Aber die Grauen des Kriegs wurden schnell vergessen und ebenso werden die Grauen der folgenden Kriege vergessen. Im Bürgerkrieg in Syrien gibt es nur Schurken. Die von Russland gestützte Regierung scheint die Demonstrationen und Aufstände des Arabischen Frühlings mit größtmöglicher Härte zu bestrafen. Die von Schlipsträgern aus dem Ausland geführten und den USA unterstützten sogenannten moderaten Aufständischen setzen ungeachtet der Leiden der Zivilbevölkerung einen Krieg fort, den sie niemals gewinnen können. Die Menschheit ist gleichgültig geworden. In den 1960er Jahren wurde gegen den Vietnamkrieg weltweit mit Großdemonstrationen protestiert. Das Töten der Syrer scheint niemanden zu interessieren.“
Moskau schert sich nicht um menschliches Leid
Dass die russische Taktik auf Kosten der Zivilbevölkerung geht, kümmert Moskau unerträglich wenig, kritisiert Slate:
„Ein 'Sieg' in Aleppo, das zum Teil von Aufständischen kontrolliert wird, würde die Position Moskaus in den Verhandlungen mit den USA stärken. Der menschliche Tribut ist hoch, doch die russischen Entscheidungsträger haben bereits in anderen Situationen gezeigt, dass dies nicht ihre größte Sorge ist. Als Beispiel sei daran erinnert, wie die tschetschenischen Rebellen niedergeschlagen wurden. … Wladimir Putin weiß, dass der US-Präsident einen diplomatischen Erfolg braucht, aber nicht jeden Preis dafür bezahlen kann. Indem Putin seine Luftwaffe und die seines syrischen Schützlings Zivilisten bombardieren lässt, erhöht er die Kosten bis an die Grenze des Inakzeptablen. Derweil sind die Einwohner Aleppos die Leidtragenden.“
Bilder aus Aleppo müssen uns aufrütteln
Bestürzt über die Gleichgültigkeit gegenüber dem Leid in Syrien zeigt sich Dagens Nyheter:
„Es ist gerade mal ein Jahr her: Durch Europa wanderten Tausende von Menschen, die meist Deutschland oder Schweden als Ziel hatten. Nun, ein Jahr später, sehen wir keine Bilder mehr von Kindern, die an Schienen entlanglaufen. Stattdessen sehen wir andere Bilder, direkt aus Syrien. Bilder, die ein Inferno zeigen. ... Europa mag seine Flüchtlingskrise mit Hilfe von Mauern, Stacheldraht und zweifelhaften Übereinkünften vorübergehend gelöst haben. Aber in Syrien legt das Leid keine Pause ein. ... Wenn das nächste Mal von Syrien die Rede ist, dann denken Sie an diese Bilder [aus Aleppo]. Das sind keine Archivfotos aus dem vergangenen Jahrhundert.“
Moskau legt politische Lösung ad acta
Russland setzt zur Beendigung des Syrienkrieges nicht mehr auf diplomatische Mittel, bedauert Iltalehti:
„Die langwierigen Verhandlungen zwischen den USA und Russland über einen Waffenstillstand in Syrien haben nicht zur Verbesserung der Lage geführt. Die Zivilisten in Aleppo haben die benötigte Hilfe nicht erhalten. Im Gegenteil. Der Hilfstransport der UN wurde zerstört. ... Russland scheint sich dafür entschieden zu haben, die Lage in Syrien militärisch zu lösen. Diese Entscheidung könnte fatal sein, denn es wird in Syrien kaum einen dauerhaften Frieden geben, wenn politische Lösungen ignoriert werden. Stattdessen wächst die Zahl der zivilen Opfer und Russland isoliert sich noch stärker vom Westen. Zu befürchten ist, dass Russland in Syrien seinen eigenen Vietnamkrieg bekommt. Afghanistan war zu Zeiten der Sowjetunion ein abschreckendes Beispiel. Aber so schnell werden Erfahrungen aus dem Gedächtnis von Nationen gelöscht.“
Nur Europa kann Syrien retten
Europa muss in Syrien militärisch eingreifen, fordert der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy in einem Gastbeitrag für Corriere della Sera:
„Wir müssen es tun, weil wir es können. Wir können es tun, weil kein Zweifel daran besteht, wer die Schuldigen dieser mutmaßlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit sind. Sie selbst machen auch keinen Hehl daraus. Wir sprechen natürlich von dem Regime in Damaskus, dem wir vor geraumer Zeit die gleiche Behandlung hätten zuteil werden lassen müssen, wie seinerzeit dem Regime von Gaddafi. Wir stehen vor einem Dilemma. Entweder agieren wir, definieren unsererseits eine rote Linie. ... Oder wir tun nichts und akzeptieren ein neues Sarajevo, wie der französische UN-Botschafter François Delattre Syrien nannte. ... In der Zwischenzeit stirbt Aleppo und verflucht uns.“
Westen hat sich selbst ins Abseits manövriert
Die scharfe Kritik der USA an Russland und Syriens Regierung wegen der Bombardierungen von Aleppo sind leere Worte, analysiert De Volkskrant.
„Die russische Intervention hat die Optionen des Westens in Syrien, auch militärisch, drastisch eingeschränkt. Das ist der Preis für die Nicht-Intervention. ... Syrien bietet sich gut an für große Worte über moralisches Versagen, aber sehr viel schlechter für praktische Lösungen. Daher gibt es selbst unter den heutigen extremen Umständen keine Alternativen mehr zu einem von den USA und Russland ausgehandelten Abkommen. ... Obama mag gute Gründe gehabt haben, um sich aus Syrien fern zu halten. Doch in die Lücken, die dadurch entstanden, sprangen gierig andere Länder, wie der Iran und Russland. ... Der Konflikt scheint auf eine de-facto-Teilung Syriens hinauszulaufen. Das ist bitter, aber es gibt kaum mehr Alternativen zur Suche nach einem Abkommen mit den Führern, die Brandbomben auf Stadtviertel werfen lassen.“
Putin und Assad haben nichts zu befürchten
Wieder wird der Bruch der Waffenruhe keine Konsequenzen haben, klagt Die Welt:
„Die Gründe für das Scheitern des Waffenstillstands sind simpel. Syrer und Russen glauben, dass sie Aleppo und weitere Landesteile militärisch erobern können. Darum erleben wir seit knapp einem Jahr stets dasselbe Spiel. Es gibt intensive Bemühungen der Amerikaner, eine diplomatische Lösung zu finden. Moskau tut zunächst so, als sei es guten Willens. Dann werden Vorwände gesucht und gefunden, um die Kampfhandlungen wieder aufzunehmen. Damaskus und Moskau tun das, weil sie dazu in der Lage sind, weil sie sich keinen Deut um die Empörung der Weltgemeinschaft scheren - und weil sie wissen, dass es keine Konsequenzen gibt. ... Syrien ist nicht nur das größte moralische Versagen des Westens seit dem Massaker in Ruanda, sondern auch ein realpolitisches Desaster.“
Großmächte wollen keinen Frieden
Dass die USA und Russland den Syrienkrieg gar nicht beenden wollen, glaubt die in London erscheinende arabische Tageszeitung Al-Arabi Al-Jadid:
„Der bisherige Verlauf der syrischen Revolution lässt nur einen Schluss zu. Der Opposition wird nicht erlaubt das Regime militärisch zu besiegen. Die Waffen, die sie bekommt oder nicht bekommt, entsprechen diesem Plan. ... Ebenso wird das Regime daran gehindert der Opposition eine vernichtende Niederlage beizubringen. ... Die Politik des Aushungerns, die das syrische Regime gegenüber Tausenden von Zivilisten betreibt, ruft international nur verbale Proteste hervor. Das alles bestätigt, dass es eine Übereinkunft zwischen Russland und den USA gibt - und zwar mit folgendem Ziel: Syrien soll ein 'weicher' Staat werden, immer am Rande des Zusammenbruchs. ... Damit wird Israel gestärkt. Die Syrer werden in die Verzweiflung getrieben, so dass sie jede Lösung akzeptieren. Und das Land dient als Abschreckung für jeden in der Region, der in Betracht ziehen sollte, sich gegen eine Diktatur zu erheben.“
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