Kann Spaniens neue Regierung funktionieren?
Nach zwei Wahlen und monatelangem Stillstand bekommt Spanien eine neue Regierung. Die sozialistische PSOE wird eine Minderheitsregierung der konservativen PP mit Mariano Rajoy an der Spitze tolerieren. Nach der Wahl im Juni hatte sie dies noch klar abgelehnt. Journalisten prophezeien, dass sich die Sozialisten sehr schwer damit tun werden, die Konservativen zu unterstützen.
Dialog der Parteien bleibt kompliziert
Auch unter der neuen Minderheitsregierung von Premier Rajoy wird es Spanien an politischen Grabenkämpfen nicht mangeln, fürchtet Público:
„In einem zersplitterten Parlament, wo die Regierung keine absolute Mehrheit mehr hat, wird es von zentraler Bedeutung sein, dass die Parteien zusammenarbeiten. Jeder wird Zugeständnisse machen müssen. ... Die aktuellen politischen Verhältnisse scheinen jedoch keine Kultur der Kooperation zu begünstigen: Die sozialistische Partei (PSOE) befindet sich gerade in einer unberechenbaren Phase - und wird intensiv von Podemos bedrängt. Diese wird keine Gelegenheit verpassen, alle Zugeständnisse, die die Sozialisten machen, für sich auszuspielen. ... Und Rajoy hält einen Trumpf in der Hand: Er kann das Parlament auflösen, was den Sozialisten keine Zeit geben würde, den inneren Zusammenhalt vor einer Neuwahl wiederherzustellen. ... Rajoy wird sich in seiner neuen Rolle des 'vermittelnden Premiers' sehr wohlfühlen.“
PSOE begräbt die Hoffnung auf eine bessere Welt
Wenn die spanischen Sozialisten am Samstag eine erneute Regierung der Konservativen tolerieren, entfernen sie sich endgültig von den Träumen einer besseren Welt der Parteibasis, warnt der Soziologe Pau Marí-Klose in eldiario.es:
„Mit dem Entschluss des Nationalkomitees hat die PSOE endgültig bestätigt, dass Spanien eintritt in eine neue Phase der Spaltung zwischen den Parteien des Regierens und den Parteien des Repräsentierens. Die PSOE schlägt sich eindeutig auf die erstgenannte Seite und trägt - vielleicht ohne es zu ahnen - die entsprechenden Konsequenzen. Wir akzeptieren damit, dass [laut Francisco de Goya] 'die von der Vernunft verlassene Fantasie Monster hervorbringt'. Doch sollten wir nicht vergessen, dass [die Fantasie] 'vereint mit der Vernunft die Mutter der Künste und der Ursprung aller Wunder' ist.“
PSOE wird ihre Wähler verlieren
Dass sich die sozialistische PSOE mit ihrer Stimmenthaltung irreparablen Schaden zugefügt haben, glaubt Phileleftheros:
„Das Risiko für die Partei ist riesig. Die innerparteilichen Turbulenzen sind heftig und viele fürchten eine Spaltung. Alles deutet darauf hin, dass die Parteibasis die Entscheidung, eine rechtsgerichtete Regierung zu unterstützen, nicht mittragen will. Viele Mitglieder sind unglücklich damit und werden in den kommenden Tagen ihren Widerstand zum Ausdruck bringen. Die Sozialisten werden für diese Haltung teuer bezahlen. Sie werden sehen, wie die Wähler sie verlassen und sich an rechte und linke Parteien wenden. Oder, wie ein Sozialist es auf den Punkt gebracht hat: Wir geben Rajoy die Regierung und Podemos die Opposition.“
Alte Parteien retten sich mit großen Koalitionen
Die neue Regierung ist nur eine verkappte große Koalition, kritisiert der Kolumnist Antonio Polito in Corriere della Sera:
„Die große Koalition kommt wieder in Mode. Lange Zeit verunglimpft als trister Grauton in der bunten Welt der Politik, als Triumph gar der faulen Kompromisse, scheint das Bündnis zwischen gemäßigten Rechten und Linken eins der wenigen Bollwerke zu werden, mit der die traditionellen Parteien versuchen, den Ansturm neuer Kräfte abzuwehren. … Ist diese Rückkehr zur Koalition ein Zeichen der Schwäche der Politik? Zweifelsohne. Sie bedeutet, dass die traditionellen Kräfte immer weniger Stimmen auf sich vereinen können, dass sie sie summieren müssen, um sich über Wasser zu halten. … Die Strategie der Selbstverteidigung könnte zudem nach hinten losgehen und gerade den 'populistischen' Kräften zuspielen, die sie versucht abzuwehren. Der Unterschied zwischen Konservativen und Progressiven würde weiter verwässert.“
Entscheidung verdient Respekt
Die Sozialisten sind über ihren Schatten gesprungen, meint El País und rechnet das der Partei hoch an:
„Jedem X-beliebigen Sozialisten wäre die Entscheidung schwer gefallen, denn Rajoy hat sie nicht verdient. Deshalb verdient die Entscheidung größten Respekt. Jegliche Versuche, sie als Einknicken vor der PP oder als Verrat der eigenen Ideale zu diskreditieren, muss verurteilt werden. ... All die Spannungen und die Dramatik der vergangenen Tage hätte man sich sparen können, wenn die Sozialisten schon im vergangenen Dezember oder spätestens im Juni ihre schlechten Wahlergebnisse akzeptiert und die Entscheidung getroffen hätten. Aber sie haben wieder einmal bewiesen, dass sie mehr Staatsraison haben als die PP, trotz deren patriotischer Rhetorik. ... Jetzt müssen die Sozialisten nur noch ihre Oppositionspolitik entwerfen um sich als Regierungsalternative zu profilieren.“
Das Richtige zu spät getan
Spaniens Sozialisten haben keine gute, aber die einzig vernünftige Entscheidung getroffen, lobt die Frankfurter Rundschau:
„Die Sozialisten können keine Alternative zu Rajoy anbieten. Deshalb ist es richtig, dass sie den Konservativen regieren lassen. Die Sozialisten haben alles falsch gemacht und sich und ihrem Land gewaltigen Schaden zugefügt. ... Statt der PP nun Bedingungen zu stellen, statt im Gegenzug für eine Stimmenthaltung den Austausch Rajoys gegen einen korruptionsunbelasteten Kandidaten zu fordern, tat PSOE-Chef Pedro Sánchez [nach den Neuwahlen Ende Juni] so, als könnte er noch eine andere Regierung auf die Beine stellen. Er scheiterte. Erst nachdem eine Revolte Sánchez aus dem Amt fegte, hat sich die PSOE besonnen. Dass Rajoy und kein anderer PP-Politiker regieren wird, ist auch Schuld der PSOE. Das Richtige zu spät zu tun, ist nicht besser, als das Falsche zu tun.“
Vom Pakt mit dem Feind profitiert Podemos
Wenn die Sozialisten nun gemeinsame Sache mit den Konservativen machen, bleibt den Spaniern nur noch das Linksbündnis Podemos als linke Alternative, glaubt Libération:
„Die positive Antwort auf ein unlösbares Problem wird das erste Bündnis zwischen linken und rechten Kräften ergeben, in einem Land das immer noch vom "Barrikaden-Denken" des Bürgerkriegs (1936-1939) geprägt ist. Die Mehrheit der 194.000 Parteimitglieder der Sozialisten ist weiterhin vehement gegen das konservative Lager, das sie noch immer mit dem Franco-Regime assoziieren. ... Die PSOE hat sich nun den Ruf eingehandelt, 'mit dem Feind paktiert' zu haben. ... Diese historische Kehrtwende, die sich im Kontext des kompletten Versagens der Partei ereignet, die im Juni mit 85 Abgeordneten ihr schlechtestes Ergebnis eingefahren hat, spielt in jedem Fall den Neuankömmlingen von Podemos in die Hände.“
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