Muss Lagarde härter bestraft werden?
IWF-Chefin Christine Lagarde ist vor Gericht schuldig gesprochen worden, als frühere französische Finanzministerin fahrlässig gehandelt zu haben. Sie habe zugelassen, dass der Unternehmer Bernard Tapie, der den Wahlkampf 2007 des damaligen Präsidenten Sarkozy unterstützt hatte, eine Millionen-Zahlung vom Staat erhielt. Die Pariser Richter verzichteten jedoch auf eine Strafe. Die Presse ist empört über dieses Urteil.
Nicht alle kommen so ungeschoren davon
Für den Blogger Pitsirikos ist das Urteil gegen IWF-Chefin Lagarde vollkommen ungerecht:
„Lagarde ist vor Gericht schuldig gesprochen worden, für eine Fahrlässigkeit, die den französischen Staat 400 Millionen Euro gekostet hat, aber es wurde keine Strafe verhängt. Wie schön es sein muss, ohne Strafe verurteilt zu werden! Fahrlässigkeit, was für ein schönes Wort! Fahrlässigkeit bedeutet eine Unachtsamkeit oder Unbedachtheit. … Natürlich gilt diese Fahrlässigkeit nicht für alle. Sie gilt nur für die Elite. Die Justiz ist selektiv, also gibt es keine Gerechtigkeit. Lagarde wird als Chefin des IWF weiterhin Länder und Völker quälen, und ihnen natürlich keine 'Fahrlässigkeit' vergeben.“
Wasser auf die Mühlen der Populisten
Wie kann das Pariser Gericht nur eine solche Fehlentscheidung fällen?, erzürnt sich La Tribune de Genève:
„Es ist mehr als ein Unfall, es ist ein Desaster. ... Sechs Monate vor einer Präsidentschaftswahl, deren Ausgang angesichts des kalten Winds des Populismus so ungewiss wie selten ist, ist das Urteil ein Segen für alle extrem ausgerichteten Gruppierungen. … Der Gerichtshof der Republik hat gerechtfertigt, was nicht zu rechtfertigen ist. Diese Instanz, die auf halbem Weg zwischen Politik und Justiz angesiedelt ist und dazu geschaffen wurde, um über Minister zu urteilen, die in ihrem Amt Delikte begangen haben, hat in aller Ruhe klargestellt, dass der internationale Ruf der aktuellen IWF-Chefin und die Bedingungen während ihrer Zeit als Ministerin - die Finanzkrise - sie vor einer Strafe bewahren. Aus juristischer Hinsicht ist das unverständlich. Es bedeutet, dass eine Schuld ungestraft bleibt, je höher der Rang des Angeklagten ist. Politisch gesehen ist das katastrophal.“
Misstrauen wird weiter genährt
IWF-Chefin Lagarde sollte ihr Amt aufgeben, fordert der Tages-Anzeiger:
„Es ist wahr, dass der Prozess in Paris nichts mit ihrer Tätigkeit als IWF-Chefin zu tun hat. Aber das ist auch gar nicht nötig. Die französische Politikerin steht für so vieles, was beim Währungsfonds in den letzten Jahren in Europa und unter der Leitung von Europäern schiefgelaufen ist. Die Folge ist ein gewaltiges Misstrauen bei allen außereuropäischen Mitgliedstaaten gegenüber dem Fonds. Beharrt Lagarde nun trotz einer Verurteilung auf ihrem Posten, wird dieses Misstrauen noch weiter genährt. Den überwiegenden Teil seiner Gelder hat der IWF in den letzten Jahren im vergleichsweise reichen Europa eingesetzt. Und wie eine unabhängige Prüfstelle des IWF diesen Sommer festhielt, sei das Management dieser Gelder eine totale Katastrophe. Der Fonds habe sich von den Politikern Europas etwa bei der Griechenlandrettung komplett um den Finger wickeln lassen und in der Folge die überall sonst auf der Welt üblichen Risikostandards bei Ausleihungen in den Wind geschlagen.“
IWF kann sich keine Führungsdebatte leisten
Angesichts der Herausforderungen, denen der IWF derzeit gegenübersteht, sollte Christine Lagarde im Amt bleiben, meint Financial Times:
„Das Letzte, was der IWF jetzt braucht, ist ein Vakuum auf seiner Führungsebene. Derzeit läuft eine Debatte über den Auswahlprozess des IWF-Chefs. Dabei gibt es zurecht Unmut auf Seiten der Schwellenländer wegen der Gepflogenheit, das Amt einem Europäer zu übertragen. Doch jetzt ist nicht die Zeit, solche Probleme zu lösen. Das Rettungsprogramm für Griechenland befindet sich in einer heiklen Phase. Außerdem wirft die Wahl Donald Trumps viel breitere Fragen zur Zukunft der internationalen Finanzinstitutionen auf. Lagarde hat eine Demütigung erleiden müssen, aber sie verdient es, im Amt zu bleiben.“
Gerichtshof hätte klarer urteilen müssen
Der sich aus Richtern und Abgeordneten zusammensetzende Gerichtshof der Republik bewirkt mit seinem Urteil mehr Schaden als Nutzen, kritisiert L’Obs:
„Angesichts des erstarkten Populismus ist diese unentschlossene und daher für die Bürger unklare Entscheidung wahrscheinlich die schlechteste, die man sich vorstellen kann. Der Gerichtshof der Republik hat bereits dafür gesorgt, dass der Protest gegen das Geklüngel der Eliten, die sich selbst schützen und sich ihre Straffreiheit bewahren, neu auflebt. Er hätte besser ein klares Urteil fällen sollen: Entweder hätte er Christine Lagarde verurteilen sollen (es ging um nichts weniger als 400 Millionen Euro Steuergelder, was dem Defizit des Gesundheitssystems entspricht) oder befinden, dass ihre politische Leichtfertigkeit nie ein strafrechtliches Vergehen dargestellt hat. ... Die Abgeordneten-Richter haben also weder Christine Lagarde (die ihren Posten beim IWF verlieren könnte), noch der Transparenz der Justiz, noch der bereits angeschlagenen Glaubwürdigkeit des Gerichts einen guten Dienst erwiesen.“