Verändert Giftgasangriff Syrienpolitik der USA?
Nach dem mutmaßlichen Giftgasangriff in der syrischen Provinz Idlib hat US-Präsident Trump eine Kehrtwende in der Syrien-Politik angedeutet. Noch vor wenigen Tagen hatte Washington verlauten lassen, dass ein Sturz Assads nicht mehr oberste Priorität habe. Nun sagte Trump, dass sich seine Einstellung zu Syrien und Assad geändert habe. Kommentatoren bewerten diese Aussage skeptisch und blicken dabei auch zurück auf die Syrien-Politik unter Obama.
Die Mitschuld der US-Präsidenten
Empört über die anhaltende Untätigkeit, mit der das Weiße Haus auf die Ereignisse in Syrien reagiert, zeigt sich der Tages-Anzeiger:
„Trump … teilte … mit, die USA stünden fest an der Seite ihrer Verbündeten, um den Angriff - Achtung! - 'zu verurteilen'. Die Lektion für Assad: Er kann bomben, foltern, vergasen, wie er will - vor Trump muss er keine Angst haben. Die Lektion für die Welt: Früher regierte in Washington ein Präsident, der rote Linien in die Luft malte, diese aber nicht verteidigte. Heute regiert in Washington ein Präsident, der erst gar keine roten Linien zieht, zumindest keine, die das Völkerrecht oder die letzten Reste Menschlichkeit vor Verbrechern wie Assad und seinen Komplizen in Moskau und Teheran schützen. Den Preis dafür bezahlten am Dienstag Dutzende syrische Zivilisten.“
Obama hinterließ gefährliches Vakuum
Donald Trump liegt richtig, wenn er den Giftgaseinsatz als Folge der Schwäche seines Vorgängers bezeichnet, erklärt Lidové noviny:
„Für die Gegner Trumps ist klar, dass der Chemieangriff auf Zivilisten aus Assads Gefühl der Straffreiheit resultiert, das auf Trumps Erklärung folgte, dass seine Absetzung für Washington keine Priorität mehr habe. Trump wiederum macht die Schwäche Obamas verantwortlich. Der hatte 2012 gesagt, der Einsatz von Chemiewaffen überschreite eine 'rote Linie', was die USA nicht tolerieren würden. Aber als am 21. August 2013 ein Chemiewaffenangriff in Damaskus 1.700 Zivilisten tötete, tat Obama nichts. ... Trump hat Recht: Syrien nutzt das Erbe Obamas aus. Dessen Regierung holte die Truppen aus dem Nahen Osten zurück. Das entstandene Vakuum füllte logischerweise Moskau aus. Dafür erhielt Obama vor acht Jahren präventiv den Friedensnobelpreis.“
Trump wird sich von Putin abwenden
Dass es nach dem Giftgasangriff mit einer Annäherung Washingtons an Moskau vorbei sein dürfte, glaubt Gość Niedzielny:
„Die Nachrichten von der Chemieattacke in Syrien, die man den Soldaten des Assad-Regimes oder vielleicht sogar den Russen anlastet, wirken sich bestimmt nicht positiv auf die amerikanisch-russischen Beziehungen aus. Die Hoffnungen der Russen, dass diese Beziehungen sich ändern, dürften wohl vergeblich gewesen sein. In der heutigen Zeit ist es zwar einfach, den Vertretern der alten Weltordnung kurz mal gedanklich den Mittelfinger zu zeigen und Putin Sympathien zu bekunden. Doch wenn es ans Regieren geht, kommen die nationalen Interessen ins Spiel ... Trump wird nun von den US-Medien für die Kontakte seiner Gefolgsleute zu russischen Staatsvertretern angegriffen. Man sieht, dass gewisse demokratische Grundsätze auf der anderen Seite des Ozeans immer noch wirken.“
Wenigstens den Flüchtlingen helfen
Das Morden Assads ignorieren geht nicht, einschreiten aber auch nicht, beschreibt Spiegel Online die Situation des Westens:
„Es ist ein schreckliches, ein unerträgliches Dilemma. Wer sich aber nicht entscheiden möchte oder kann zwischen dem Übel Assad und dem Übel Krieg gegen Assad, der muss den schrecklichen Krieg in Syrien weiter ertragen. Der muss die Bilder von toten Kindern weiter ertragen. Und der muss vor allem jeden Syrer und jede Syrerin, die es schaffen, dieser Hölle zu entkommen, mit offenen Armen empfangen und ihnen Hilfe und Schutz bieten. Vielleicht können wir den Krieg in Syrien nicht stoppen. Aber wir können den Flüchtlingen aus Syrien helfen. Das ist das Mindeste, was wir tun können. Vielleicht das Einzige.“
Assad noch grausamer als IS-Terroristen
Für Dagens Nyheter zeigt der Giftgasangriff wieder einmal, dass Assad die IS-Terroristen noch an Schrecklichkeit übertrifft:
„Allen Grausamkeiten des IS zum Trotz, ist Assad der größere Henker. Sein Regime hat bei Weitem mehr Menschen getötet und keine Mittel gescheut. Zivilisten werden unterschiedslos getötet, Wohngebiete bombardiert und nicht einmal Hilfstransporte kommen sicher durch. Sein Waffengefährte Wladimir Putin schickt militärische Hilfe und blockiert alle Resolutionen im UN-Sicherheitsrat. Militärische Interventionen haben das Töten nur befeuert und alle Versuche der Friedensverhandlungen sind in sich zusammengefallen. ... Baschar al-Assad sagt, man habe die Wahl zwischen seinem Regime und islamistischen Terroristen. Selbst wenn das wahr wäre, ist es nicht klar, was für die Syrer schlimmer wäre.“
US-Kurswechsel ist Freibrief für Regime
Als boshaft gewählt sieht die Frankfurter Rundschau den Zeitpunkt für den Giftgasangriff, beraten doch seit Dienstag Vertreter von 70 Staaten und Organisationen über weitere humanitäre Hilfen in Syrien. Sie beschreibt einen Siegeszug Assads:
„Er ist sich sicher, ihm kann keiner mehr was, seit nun auch die Vereinigten Staaten offiziell seinen Sturz aus ihrer Nahoststrategie gestrichen haben. Und prompt interpretierte die syrische Herrscherclique den frisch proklamierten Kurswechsel unter US-Präsident Donald Trump als Freibrief, auf syrischem Boden nun auch die verbliebene Bevölkerung nach Belieben zu vernichten. Internationalen Druck brauchen Assad und sein Regime nicht zu befürchten. Kein Wunder, dass für Assad in dieser Konstellation Frieden keine Option ist. Im Machtkampf seines Landes hat er es längst zu einer bestialischen Meisterschaft gebracht. Und die Leidtragenden sind jeden Tag aufs Neue wieder die einfachen Leute - Frauen, Männer und Kinder.“
Warum wohl kaum Assad dahinter steckt
La Stampa hingegen erinnert daran, dass Syrien 2014 die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet hat und glaubt nicht, dass das Assad-Regime hinter dem Anschlag steckt:
„Der Vorfall ist so unerwartet wie absurd. Unerwartet, weil nach dem Inkrafttreten der Vereinbarung [von 2014] diese niemals verletzt wurde und es in diesem Teil des Nahen Ostens keine Nervengase mehr hätte geben dürfen. Absurd, weil nicht nachvollziehbar ist, warum das Assad-Regime eine so grausame, Aufsehen erregende und gesetzeswidrige Tat hätte begehen sollen, ausgerechnet jetzt, wo der Krieg, dessen Ausgang über Jahre hinweg unentschieden war, sich langsam aber dennoch unausweichlich zu Gunsten von Damaskus entscheidet. … Und glaubt man wirklich, die syrischen Streitkräfte könnten einen Bombenangriff dieser Art entscheiden, ohne zuvor den russischen Alliierten davon zu unterrichten, der Motor und Garant eben der Vereinbarung ist, die in Syrien Chemiewaffen verbot? Das ist entschieden undenkbar.“
In diesem Krieg haben wir alle schmutzige Hände
De Standaard mahnt zum Beginn der Geberkonferenz, dass der Westen für die nicht endenden Gräuel in Syrien mitverantwortlich ist und daher in der Pflicht steht:
„Wir müssen der Gefahr von Anschlägen auf unserem Boden die Stirn bieten und zugleich die Folgen des Kriegs in der Region mit allen uns zur Verfügung stehenden Mitteln mildern. ... Es ist bitter, dass wir gezwungen sind, dabei zumindest zeitweilig mit zweifelhaften Partnern zusammenzuarbeiten und sogar mit Kriegsverbrechern vom Schlage Bashar al-Assads. ... In diesem komplexen, vielschichtigen Krieg behält niemand saubere Hände. Alles, was man tut oder lässt, kann moralisch diskutabel sein, trotz aller guten Absichten. ... Aber die Pflicht, die humanitäre Tragödie zu lindern, bleibt bestehen. Und wäre es auch nur, um den Zynismus der Giftgasverbrecher nicht mit dem eigenen Zynismus zu legitimieren.“