Wie gespalten ist Frankreich?
Eine Rechtsextreme und ein liberaler Kandidat stehen sich in der Endrunde der Präsidentschaftswahl gegenüber. Kommentatoren erkennen im Duell zwischen Marine Le Pen und Emmanuel Macron ein Zeichen dafür, dass die traditionellen Gräben zwischen Rechts und Links nicht mehr existieren und an ihre Stelle andere getreten sind.
Macron ist nur das kleinere Übel
Die Franzosen haben Macron nur gewählt, weil ihnen nichts anderes übrig blieb, resümiert die regierungsnahe Tageszeitung Yeni Akit:
„Laut den Menschen auf der Straße gibt es keinen Gewinner, der Verlierer ist Frankreich. Die französische Bevölkerung hat also den Tod gesehen und der Krankheit zugestimmt. Der Erfolg Macrons, der einst Wirtschaftsminister der regierenden Parti socialiste war und die Partei verließ, um eine Bewegung in der Mitte zu gründen, ist eigentlich der Erfolg der Medien. Von dieser Stunde an wird die Wahl eine Abrechnung zwischen Links und Rechts sein. Während die Linken von dem Nicht-Linken Macron repräsentiert werden, wird eine Rechtsextremistin, Le Pen, die Rechten vertreten.“
Es geht nicht mehr um Links und Rechts
Frankreich ist nicht mehr in Links und Rechts gespalten, sondern die Gräben verlaufen heute entlang anderer Linien, erklärt hingegen Lietuvos rytas:
„Man kann sich trösten, dass es noch schlimmer hätte kommen können. Stellt euch vor: Le Pen und Mélenchon in der zweiten Runde. Das wäre eine Wahl zwischen Schlaganfall und Infarkt gewesen. ... Aber die Aufteilung in Links und Rechts ist veraltet. Es liegt nicht daran, dass die etablierten Parteien ein Fiasko nach dem anderen erleben, und nicht daran, wie sie das klassische politische Spektrum spiegeln. Der Hauptgrund ist, dass die Spaltung der Gesellschaft einfach nicht mehr zwischen Links und Rechts verläuft. Die Linien werden heute zwischen Metropole und Peripherie gezogen, zwischen Stadt und Land, Optimismus und Enttäuschung, Heute und Gestern. Nur der Teufel weiß, wieso diese Wunde genau jetzt zu eitern begann.“
Wohlstandsgefälle ist drängendstes Thema
Dass es bei der Wahl in Frankreich vor allem um die Umverteilung von Wohlstand geht, glaubt eldiario.es:
„Die Wahl als Duell zwischen extremer Ausländerfeindlichkeit und reformistischer Mitte darzustellen, ist eine bequeme Vereinfachung für die Medien und die öffentliche Debatte, aber die Realität ist weitaus komplexer und widersprüchlicher. Viele Le-Pen-Wähler sind weder fremdenfeindlich noch rassistisch, sondern davon überzeugt, dass sie die Zeche für eine Krise zahlen, die sie nicht verursacht haben. ... Viele Macron-Wähler suchen weder die Mitte noch Reformen. Es handelt sich um Leute, die noch immer darauf hoffen, dass man sich im Guten auf ein anständiges Gleichgewicht zwischen Globalisierung, Anhäufung und Umverteilung von Wohlstand einigen kann. ... Denn darum geht es, wenn wir von der aktuellen Politik sprechen: Wie wir Reichtum schaffen, und ob und auf welche Art er verteilt werden sollte.“
Linke sind schuld an Rechtsextremismus
Der Blogger Pitsirikos wirft der Linken vor, eine große Verantwortung zu haben für das, was gerade in Frankreich passiert:
„Dort wird gerade dieselbe Geschichte geschrieben wie in anderen EU-Ländern. Sie lautet: 'Wählt die neoliberalen Faschisten, damit nicht die authentischen Faschisten an die Macht kommen'. ... Zunächst werden große Teile der Bevölkerung in die Arbeitslosigkeit, an den Rand und in die Verzweiflung gedrängt. Danach, wenn die Wähler merken, dass verschiedene 'Sozialisten' wie Hollande auch neoliberal sind, wenden sie sich an die Rechtsextremen. Eigentlich wenden sie sich nicht selbst an die Rechtsextremen, sondern werden zu denen geleitet. Die neoliberale Politik führt sie dorthin. Und warum wenden sie sich nicht an die Linke? Weil die Linke eigentlich gar nicht existiert. In Griechenland wandten sich die Bürger an die Linke. Und erhielten ein wildes Sparmemorandum. Was bleibt danach? Die Rechtsextremen.“