Alitalia vor dem Aus: Was sind die Gründe?
Die italienische Fluggesellschaft Alitalia bereitet ihre Insolvenz vor. Nach dem Scheitern eines Rettungsplans wird die Airline unter kommissarische Verwaltung gestellt. Wenn nun nicht noch ein Retter auftaucht, droht ihr das Aus. Die Presse untersucht, wo die Gründe für den Niedergang der einst so stolzen Airline liegen.
Der Sieg der Billigflieger
Für La Repubblica ist die Alitalia-Pleite eine klare Folge der Konkurrenz der Billigflieger:
„Das Modell der Low-Cost-Airlines trägt - zumindest auf dem alten Kontinent - den Sieg davon. Wer versucht, gegen sie anzufliegen, ohne sich vorher grundlegend zu reformieren, ist zur Niederlage verdammt. … Die italienische Fluggesellschaft - zu klein, um mit Lufthansa, Air France und Co. auf Langstrecken zu konkurrieren - hat es versucht. Das Ergebnis haben wir nun vor Augen: ein Desaster. ... Die ruhmreichen alten Fluggesellschaften des EU-Himmels haben, da sie die Low-Cost-Airlines nicht besiegen können, entschieden, ihnen nachzueifern. Iberia und British haben Vueling gegründet, während Lufthansa versucht, mit Eurowings und der Übernahme von Air Berlin den Binnenmarkt vor der scheinbar unaufhaltsamen Offensive der 'Piraten' der Luft zu verteidigen. ... Das Low-Cost-Modell breitet sich aus. Zur Freude der Verbraucher, die wenigstens einmal mit ihrer Wahl den Ton angeben.“
Logisches Ende einer Kette von Fehlern
Der Tages-Anzeiger erkennt in der vom Aus bedrohten Fluggesellschaft das Land Italien wieder:
„Notorisch verschlossen gegen Reformen, wie es auch die kürzliche Ablehnung einer grossen Überholung des politischen Systems zeigte. Skeptisch gegen Neuerungen, die der Globalisierung entspringen und sich national nicht mehr verhindern lassen. Um konkurrieren zu können, müsste man sich den Herausforderungen dieser Zeit stellen. Alitalia aber führte sich immer so auf, als lebte sie in einer anderen Zeit. Der wohl letzte Akt, das denkwürdige Nein zum Rettungsplan, gereicht dem 'Messaggero' zur Gewissheit, dass aller Sinn für Realität abhanden gekommen sei. 'Der Wahnsinn ist emblematisch für die gesamte Geschichte, das logische Ende einer langen Kette von Fehlern.' [schreibt die römische Zeitung] Ausser natürlich, es gibt dann doch wieder einen Plan B. Oder C oder D oder E.“
Italiens fliegende Eisenbahn
Die Tageszeitung Die Presse empfindet das Modell Alitalia als anachronistisch:
„Nationale Verkehrsunternehmen, von Regierungen beschützt und von mächtigen Gewerkschaften gegen Konkurrenz abgeschottet, haben sich in Europa überlebt. Wer das nicht zur Kenntnis nimmt, schlägt früher oder später sehr hart auf dem Boden der Realität auf. In der Luftfahrt sehen wir das schon seit Jahren, in Sachen Eisenbahn (wo unterschiedliche Systeme, nationale Marktabschottungen und das Fehlen einer einheitlichen Kommunikationssprache zu unglaublichen Marktsegmentierungen führen, während die Lkw ungehindert vom Nordkap nach Sizilien durchfahren) steht dieser Erkenntnisprozess noch aus. In diesem Umfeld aus der todgeweihten Alitalia eine Art fliegende Eisenbahn machen zu wollen sieht jedenfalls nicht besonders visionär aus.“
Fluglinie hat zu lange Steuergelder verbrannt
An der Abwicklung der italienischen Fluggesellschaft Alitalia führt nach Ansicht der Neuen Zürcher Zeitung nichts vorbei:
„Gegen das Fortbestehen in den jetzigen Strukturen spricht vor allem, dass Alitalia den Vertrauenskredit, den sie früher in der Bevölkerung genossen hat, inzwischen aufgebraucht hat. Ministerpräsident Paolo Gentiloni wird diesen Sinneswandel frustrierter italienischer Steuerzahler nicht einfach beiseite wischen wollen. Man weiss es nicht so genau, doch soll Alitalia über die vergangenen zwei Jahrzehnte zehn Milliarden Euro an Steuergeldern verbrannt haben. Auch Brüssel hat nie wirklich ein Veto gegen Rekapitalisierungen eingelegt, die immer nach Subvention rochen. Zum undurchsichtigen Spiel gehört im Weiteren, dass die Alitalia-Führung seit Jahren keine transparente Jahresrechnung zeigt. Die gute Botschaft: Das Land wäre ohne Alitalia nicht von der Welt abgeschnitten. Ryanair wächst auch in Italien schnell und hat schon vor zwei Jahren die Verkehrsleistung von Alitalia übertroffen.“
Irrationaler Widerstand der Belegschaft
Irrationalität, falsches Kalkül und kindische Rebellion waren die Gründe der Belegschaft, gegen den Sanierungsplan für Alitalia zu stimmen, schimpft Avvenire:
„Diejenigen, die glauben, mit ihrem Nein ihren Lohn und die Arbeitsbedingungen zu retten, handeln irrational. Die sich im Glauben wähnen, der Staat könnte die Airline noch vergesellschaften, unterliegen einem falschen Kalkül. ... Und diejenigen, die eine utopische Verweigerung der Rationalität der Vermittlung und des Kompromisses vorziehen, rebellieren. Es ist eine aufrührerische Bewegung, die sich in den letzten Monaten stark verbreitet hat und sich schon in dem mannigfaltigen und in sich widersprüchlichen Nein zur Verfassungsreform niederschlug. Eine Revolte, die nicht nur jeglicher Vernunft entbehrt, sondern auch dazu neigt, grundsätzlich die Rolle und die Gründe der politischen Repräsentanten anzuzweifeln, wenn diese sich für eine Veränderung stark machen.“