Wie geht es weiter im Verhältnis USA-Europa?
Angela Merkels Mahnung, dass „wir Europäer unser Schicksal in unsere Hand nehmen“ müssen, hat in Europa wie auch in den USA eine hitzige Debatte über die Zukunft der transatlantischen Partnerschaft ausgelöst. Kommentatoren diskutieren außerdem, welche Alternativen sich Europa bieten.
Moskau ist der Partner der Wahl
Welchen Partner sich Europa statt der USA wählen sollte, weiß Nezawissimaja Gazeta:
„Als Geschäftsmann ist Donald Trump es gewohnt, Geld zu zählen. Und er sieht die Realität, die darin besteht, dass die Europäer es vorziehen, sorglos im Schatten des großen Bruders zu leben, ohne sich zu sehr bei der Finanzierung der eigenen Sicherheit anzustrengen. Dem entspringen auch die Forderungen Trumps, den europäischen Anteil am Nato-Budget zu erhöhen, dessen Löwenanteil traditionell auf die USA entfällt. Diese Forderung stößt auf Ablehnung bei den europäischen Regierungen, die sich lieber um Sozialprogramme sorgen. Europa kann entweder Trumps Forderungen akzeptieren oder muss sich um Wege Gedanken machen, die eigene Sicherheit zu erhöhen, ohne sich auf eine amerikanische Militärpräsenz zu verlassen. Natürlich hat Europa hier eine Wahl. Diese liegt in einer Verbesserung der Beziehungen zu Russland beim Aufbau einer neuen europäischen Sicherheitskonstruktion auf dem Kontinent.“
Nicht den Spaltern nachgeben!
Der US-Präsident zerstört die transatlantische Achse, fürchtet Večernji list:
„Trumps Europatournee kann man ganz einfach mit den Worten beschreiben: Ich kam, sah und spaltete. Trump behandelt Deutschland praktisch wie einen (wirtschaftlichen) Feind. Damit schickt er ein gefährliches Signal an die Russen. Das Zerbrechen der amerikanisch-deutschen Beziehungen war und ist das wichtigste Ziel einst sowjetischer und heute russischer Politik in Europa seit 1945. Der US-Präsident, der Wahlen gewonnen hat, die von Russen beeinflusst worden waren, schwächt nun diese Hauptachse, die die Russen seit jeher zu zerstören versuchen. ... Aber auch Merkels Reaktion ist gefährlich, denn sie birgt die Gefahr, dass sie die europäischen Bündnispartner noch mehr von den USA entfernt.“
Wir brauchen den Freund USA
Egal wie sehr Europa an seiner eigenen Stärke arbeitet, die transatlantische Partnerschaft darf es nicht vernachlässigen, findet Dnevnik:
„Um die Wünsche der Kanzlerin zu verwirklichen, dass die EU unabhängiger wird und endlich der Pubertät entwächst, braucht es nichts weniger als die Vereinigten Staaten Europas. Doch für den Erfolg eines solchen Projekts, mit demokratischer Legitimierung seiner politischen Führer, mit finanzieller Solidarität zwischen den Ländern und einem einheitlichen Auftritt gegenüber Drittstaaten braucht es viel mehr als Fotosessions mit dem sympathischen französischen Präsidenten Macron. ... Und selbst, wenn der EU der große Wurf gelingen sollte, ist die transatlantische Partnerschaft eine Partnerschaft, die nicht auf die Müllhalde der Geschichte gedrängt werden darf. Europa ist von zu vielen launischen 'Partnern' umgeben und war sich selbst in der nicht allzu weit entfernten Geschichte der größte Feind.“
Neuer Schub für europäische Nato?
Wenn Europa künftig wieder mehr Verantwortung für die eigene Sicherheit übernehmen will, wäre eine europäische Nato durchaus realistisch, meint Kaleva:
„Merkels Bewertungen der Politik von Trump und der Entwicklung der transatlantischen Beziehung sind genau überlegt und treffend. Im Anschluss daran bestätigten Experten in den USA, dass die Bundeskanzlerin gute Gründe für ihre Rede hatte. … Es hat den Anschein, als ob Merkel die Deutschen darauf vorbereiten will, dass sie gemeinsam mit Frankreich eine bedeutendere Rolle in der europäischen Sicherheits- und Verteidigungspolitik übernehmen müssen. ... Merkels Äußerung passt gut zu den Überlegungen von [Finnlands] Präsident Sauli Niinistö. Vor einigen Jahren äußerte er den Gedanken einer europäischen Nato. Dank der von Trump verfolgten Linie kann diese Idee wieder aktuell werden.“
Jetzt wissen wir, woran wir sind!
Dank Donald Trump weiß Europa jetzt ganz genau, dass es auf die USA nicht mehr zählen kann und an seiner eigenen Stärke arbeiten muss, findet der Kurier:
„Einen rüpelhaften Milliardär, der seine Schwäche hinter groben Sprüchen verbirgt, musste Angela Merkel schon einmal ertragen. Wer redet heute noch von Silvio Berlusconi? Mit Donald Trump ist es anders. Er hat seine Verachtung gegenüber den Partnern in Europa so deutlich gemacht, dass wir nicht einfach auf seine baldige Absetzung wegen Zusammenarbeit mit den Russen und Korruption im Amt hoffen können. Selbst in diesem Fall wird sich das atlantische Bündnis verändern. Wenn Trump für nichts anderes gut war, dann dafür, Klarheit in Europa zu schaffen: Die Nachkriegszeit ist zu Ende, auf die USA kann sich Europa im Zweifel nicht mehr verlassen, der Kontinent wird seine Wirtschaftskraft auch politisch und militärisch einsetzen oder jede Bedeutung verlieren.“
EU muss endlich den Wandel wagen
Emanzipation bedeutet Veränderung, und für Veränderungen ist es höchste Zeit, drängt Le Soir:
„Europa hat gar keine andere Wahl: Es muss geostrategisch stärker und eigenständiger werden. Dies kann jedoch nur gelingen, wenn es seine internen Probleme löst. Macron muss erfolgreich reformieren, damit Frankreich seine ehrgeizigen Ziele erreichen kann. Angela Merkel muss den deutschen Haushaltsüberschuss endlich zur Dynamisierung von Wachstum und Investitionen in Europa einsetzen. Italien muss sein Finanzsystem sanieren. Die Euro-Zone muss sich ein für alle Mal verantwortungsvoll zeigen und Griechenland aus der Krise führen. Und die EU als Gesamtheit, die im derzeitigen Brexit-Wahnsinn sämtliche Vorteile einer Mitgliedschaft im Bündnis wiederentdeckt, muss sich eine bessere Entscheidungsstruktur und Entscheidungsfähigkeit verleihen. Ohne die bleibt sie auf globaler Ebene ein politischer Zwerg. Das ist zwar noch nicht alles, aber schon eine ganze Menge.“
Merkel weist den Weg
Mit nur wenigen Worten könnte die Bundeskanzlerin eine neue politische Richtung eingeleitet haben, schreibt Jyllands-Posten:
„Die deutsche Kanzlerin ist bekannt für ihre Vorsicht und sagt - gerade in einem Wahljahr - selten etwas, das nicht gründlich durchdacht ist. Außerdem gilt sie als große Bewunderin der USA. Für sie ist der Atlantik etwas, das verbindet, nicht trennt. Ihre von den USA bisher noch nicht kommentierte Rede könnte bedeuten, dass Deutschland erkannt hat, dass Europa sich um die meisten seiner Probleme selbst kümmern muss und dass Berlin den Weg weisen will. Das Besondere mit den Deutschen ist, dass sie Ärger bekommen, wenn sie die Führungsrolle übernehmen, und ebenfalls Ärger bekommen, wenn sie es nicht tun. Das Gleiche gilt übrigens für die Amerikaner. Deutschland verdient Anerkennung, wenn es sich weiter ins Geschirr legt. Die Bundesrepublik ist eine der solidesten Demokratien, die man sich denken kann. Wer sonst also sollte es tun?“
Auch militärisch muss Europa stärker werden
Auch wenn es manche nicht gerne sehen, dass gerade Deutschland die Initiative zu militärischer Aufrüstung ergreift, ist dies nach Meinung von Sydsvenskan sinnvoll, denn:
„so lange das in den einzelnen Ländern geschieht - und im Rahmen der Nato und der engsten Verbündeten - ist das ein klarer Schritt zu mehr Sicherheit. Es darf kein Machtvakuum entstehen, wenn die USA sich militärisch einen Schritt aus Europa zurückziehen. ... Die EU-Staaten müssen natürlich weiterhin gute Beziehungen zu den USA anstreben. Die westliche Welt muss zusammenhalten. Aber Merkels Sätze zeigen, dass sich die Weltordnung verändert. Das muss nicht so dramatisch sein, wie es klingt. Wenn die EU-Zusammenarbeit gestärkt wird und Europa größere Verantwortung übernimmt, könnte das in mancher Hinsicht auch gut sein.“
Die Zeit zur Emanzipation kommt erst noch
Sich auf Gipfeltreffen stark zu zeigen ist gut, aber zu echter Emanzipation gehört noch mehr, führt Právo aus:
„Schon am 8. Juli wird Trump erneut in Europa sein. Da kommt er zum G20-Gipfel der wichtigsten Industrie- und Schwellenländer. Die Vorstellung, dass er sich bei dieser Gelegenheit ähnlich wie jetzt aufführt, bereitet der Kanzlerin Alpträume. Deshalb baut sie schon einmal vor. Es wäre interessant zu sehen, ob sich Europa tatsächlich von den USA emanzipieren und sich um sich selbst kümmern könnte. Irgendwann kommt die Zeit dafür. Um sich erfolgreich zu emanzipieren, muss Europa aber in seiner Außenpolitik gänzlich anders vorgehen als beispielsweise Großbritannien und Frankreich in Libyen. Und in seiner Innenpolitik muss es sich lossagen vom 'moralischen Imperialismus' des Westens, der insbesondere Deutschland in der Flüchtlingskrise geleitet hat.“
Skepsis ist geboten
Wenn Merkel sagt, Europa müsse sein Schicksal selbst in die Hand nehmen, dann sollte erst einmal das Ziel klar sein, meint Dennik N:
„Vor kurzem erst hat der EU-Kommissionspräsident noch fünf verschiedene Szenarien für die Entwicklung der EU präsentiert. Und so sehr man sich über den Ausgang einiger Wahlen in Europa gefreut hat - der Prozentsatz der EU-Skeptiker ist relativ hoch geblieben. ... Es wäre toll, wenn die EU oder die europäischen Nato-Staaten ihr Schicksal in die eigene Hand nähmen - mit einem funktionierenden Euro und gesicherten Grenzen. Ohne die Tendenz, andere unter Druck zu setzen und ihnen die eigenen Vorstellungen aufzudrängen. Doch ist Europa darin wirklich besser als Trumps Amerika? Da ist Skepsis geboten.“
Trump als Katalysator für EU-Vertiefung
Dass sich Kanzlerin Merkel in ihrer Rede von den USA distanziert hat, liegt nicht nur am Wahlkampf in Deutschland, führt die Neue Zürcher Zeitung aus:
„Es gehört zum Standardrepertoire europäischer Politik, Krisen zur Vertiefung des europäischen Einigungsprozesses zu nutzen. Dieser ist mit der Finanzkrise und der Flüchtlingskrise ins Stocken geraten. Mit der Wahl des unbeliebten, isolationistischen, nie mit EU-feindlichen Sprüchen geizenden Provokateurs Trump zum amerikanischen Präsidenten sieht Europas Politikerelite nun eine neue Chance gekommen. Sie stellt Trump als Herausforderung dar, auf welche die Europäische Union entschlossen reagieren muss. Natürlich hat dies nach dem gewohnten Muster auszufallen - indem die Mitglieder ihre nationalen Differenzen überbrücken und näher zusammenrücken.“