Diesel-Gipfel: Bleibt die Revolution aus?
Der Berliner Diesel-Gipfel von Politik und Autobauern ist mit einem Ergebnis zu Ende gegangen, das besonders Verbraucherschützer als mager kritisieren. Die Autobauer, die über Jahre Abgaswerte manipulierten, sollen nur die Software und nicht die Hardware ihrer Fahrzeuge nachrüsten. Es wird nun mal keine Auto-Revolution in Deutschland geben, bemerken Kommentatoren und betonen, dass nicht nur die Hersteller, sondern auch die einzelnen Fahrer Schuld an der Umweltverschmutzung tragen.
Am Auto wird nicht gerüttelt
Die Deutschen lassen sich ihr Auto nicht so einfach nehmen, glossiert Lidové noviny den Diesel-Gipfel in Berlin:
„Seit Karl Benz leben die Deutschen mit dem Auto. Der fahrbare Untersatz verkörpert Deutschland mit allem Bösen (Hitlers Volkswagen) und allem Guten (freie Fahrt auf den Autobahnen). Autos sind Teil der Identität. An ihnen hängen eine Million Arbeitsplätze. Wenn es hart auf hart kommt, wird das Auto überleben, keine Angst! Der Diesel-Gipfel brachte lediglich ein Software-Update für fünf Millionen Autos. Das ist nicht der Rede wert. ... Die Deutschen haben manchmal abenteuerliche Einfälle. Sie vollziehen eine Energiewende oder öffnen ihre Grenzen für alle. Aber am Auto rütteln nicht mal die Grünen.“
Wir alle tragen Verantwortung
Für die schadstoffbelastete Luft ist außer den Autokonzernen noch jemand anderes verantwortlich, meint Die Presse:
„[D]er Autofahrer selbst – also wir alle. Seit 1990 hat sich die Pkw-Fahrleistung in Österreich um mehr als ein Drittel auf knapp 80 Milliarden Personenkilometer erhöht. Sie ist damit deutlich stärker gestiegen, als die Bevölkerung im gleichen Zeitraum zugenommen hat. Hinzu kommt, dass die Autos dabei auch immer größer und schwerer wurden. Zum Teil war die erhöhte Sicherheit dafür der Grund, zum Teil auch Modetrends wie SUVs. Und wer sich jeden Tag mit zwei Tonnen durch die Großstadt staut, braucht sich nicht zu wundern, dass Abgase zum Problem werden. Eigenverantwortung bedeutet schließlich auch, dass man sich der Folgen des Handelns bewusst ist, selbst wenn diese einen gar nicht direkt treffen.“
Tesla könnte Europäern das Genick brechen
Die Slowakei ist, was die Produktion pro Kopf betrifft, der weltweit größte Autobauer. Sme macht sich Sorgen, dass die Volkswirtschaft des Landes durch die Dieselkrise in Schieflage gerät:
„Beim Übergang zum Elektroauto hat Europa einen Rückstand, der ihm das Genick brechen könnte. Tesla beginnt zu einer ernsthaften Konkurrenz zu werden. Angesichts der großen Abhängigkeit der slowakischen Wirtschaft von der Automobilindustrie ist die Tatenlosigkeit der Regierung sträflich. Wenn Entwicklung und Bau von Elektroautos nicht unterstützt werden, droht unserem Land eine veritable Wirtschaftskrise. Der Premier jedoch schweigt und mit ihm andere Verantwortliche. Es wird Zeit, dass sich das ändert.“
Ein Gipfel für die Autobosse
Die Beschlüsse sind ein klarer Erfolg der Automobilindustrie, resümiert tagesschau.de ernüchtert:
„Die Autobauer, die belogen und betrogen haben, sind mit einem blauen Auge davongekommen, und die Große Koalition hat wieder einmal keine klare Kante gezeigt. Wundern darf sich darüber aber niemand. Denn auch die Autobosse wissen: Es ist Wahljahr. Da werden Spenden aus der Automobilindustrie von den Parteien gerne genommen. ... Auch wenn Autohersteller und Politik im Moment vielleicht nicht mehr ganz so innig kuscheln wie früher, von der Bettkante schubst man sich deshalb noch lange nicht. Und so steht zu befürchten, dass sich nicht viel ändert, dass nach der Wahl Regierung und Autoindustrie wieder stillschweigend zur Tagesordnung übergehen.“
Unter der schützenden Hand Berlins
Der Kurier beklagt eine enge Verquickung von Politik und Autobranche in Deutschland:
„Dass [beim Gipfel] kein Quantensprung, sondern ein Gnadenakt herauskam, sollte niemanden verwundern: Die 'Schlüsselbranche' sichert ja nicht nur gut zwei Millionen Jobs, sondern lebt auch deshalb so gut, weil die Politik ihre Hand über sie hält. Viele Manager saßen lang in CDU-, CSU- und SPD-Ministerien, bevor sie in die lukrative Autobranche wechselten. Und Schröder und Merkel höchstselbst lobbyierten in Brüssel für ihre Autobosse. Die Angst, dass Deutschland ohne seine Autoindustrie wirtschaftlich keine Führungsmacht mehr wäre, ist allzu groß.“
Wer zu spät kommt...
Europas Autoindustrie ist geradezu rückständig, findet Le Soir:
„Sie scheint lieber Zahlen zu manipulieren und zu retten, was zu retten ist, als umweltfreundliche Fahrzeuge für die Zukunft zu entwickeln. [Diese Rückständigkeit] zeigt sich auch am weltweiten Hype, den Elon Musk vor Kurzen mit der Lieferung der ersten 30 Tesla-Autos des neuen Typs an seine Mitarbeiter auslöste. Er gehört zu der Sorte von visionären Unternehmern, die nicht erst auf Vorschriften oder Hilfestellungen der Politik wartet, um sich durchzusetzen, Grenzen zu verschieben, ja neue Horizonte aufzuzeigen. Die E-Revolution ist in vollem Gang. ... Angesichts der Dynamik, die sie anzunehmen scheint, muss man fürchten, dass Europas Autoindustrie mit all ihren Arbeitsplätzen den Anschluss verliert.“
Dieselverbote mit Augenmaß gestalten
Schweden denkt über die Einführung dieselfreier Zonen in Innenstädten nach. Expressen hält die Idee für sinnvoll:
„Es ist wichtig, den Kohlenmonoxid-Ausstoß zu senken. Auch andere Partikel und Schwefeldioxid in den Innenstädten sind ein Problem. Deshalb wäre ein Verbot älterer Dieselfahrzeuge angemessen. ... Das bedeutet nicht, dass ein Diesel, der nicht einmal zehn Jahre alt ist und einst mit Umweltprämie angeschafft wurde, verschrottet werden muss. Er kann beispielsweise in ländlichen Gebieten fahren. Wenn sich die Aussortierung der Dieselautos in den Städten über ein paar Jahre hinzieht, wird der Preisfall für Gebrauchtwagen nicht so radikal ausfallen wie wenn das Verbot schnell und unbarmherzig kommt, so wie in Stuttgart.“