Soll Deutschland Reparationen an Polen zahlen?
Wiederholt hat die polnische Regierung in den vergangenen Wochen Reparationen von Deutschland gefordert - bis zu 840 Milliarden Euro. Nun kommt auch ein Parlamentsgutachten zum Schluss, dass Deutschland Polen für die Verbrechen im Zweiten Weltkrieg entschädigen muss. Der Verzicht auf Zahlungen 1953 sei verfassungswidrig gewesen. Kommentatoren in Deutschland, Polen und Tschechien diskutieren die Forderungen.
Polen werden diskriminiert
Nach Ansicht von Gazeta Polska Codziennie bestätigt das Gutachten, dass Polen Reparationen zustehen:
„Die Schlüsse des Berichts des wissenschaftlichen Dienstes des Sejm in der Reparationsfrage sind keine Überraschung. ... Der Bericht macht aber auf Dinge aufmerksam, die der öffentlichen Meinung weniger bekannt sind. Zum Beispiel dass ehemaligen Zwangsarbeitern des Dritten Reiches ungewöhnlich geringe Entschädigungen gezahlt wurden. Oder dass wir im Krieg mit die größten Verluste erlitten haben. Das zeigt, dass es keine Reparationen gegeben hat und dass der polnische Staat und die Polen diskriminiert wurden und werden.“
Vergangenheit darf nicht Gegenwart diktieren
Die deutsche Regierung muss sich nun auch juristisch zur Wehr setzen, meint die Frankfurter Allgemeine Zeitung:
„Täte sie es nicht, öffnete sie Tür und Tor für ähnliche Forderungen aus anderen Ländern - Polen war ja nicht das einzige Opfer der nationalsozialistischen Aggression. Angesichts dessen, was das Deutsche Reich während des Zweiten Weltkriegs fast überall in Europa angerichtet hat, könnte die Aufrechnung alten Leids selbst ein wirtschaftlich so starkes Land wie die Bundesrepublik vollkommen überfordern. Hinzu kommt: Eine gemeinsame europäische Politik, eine gemeinsame europäische Antwort auf die Herausforderungen der Gegenwart und Zukunft würden unmöglich, wenn die Tagesordnung von den Taten der Vergangenheit diktiert würde. Damit wäre niemandem gedient, auch Polen nicht, das von der europäischen Einigung im vergangenen Vierteljahrhundert stark profitiert hat.“
Warschaus Ansinnen ohne Chance
Polen weiß selbst, dass sich die Forderungen nach deutschen Reparationen nicht durchsetzen lassen, kommentiert Respekt:
„Die offizielle deutsche Antwort ist eindeutig: Polen hat dreimal darauf verzichtet, 1953, 1970 und noch einmal nach dem Zusammenbruch des Kommunismus 1990. ... Deutschland wird schon deshalb keine Reparationen zahlen, weil das ein gefährlicher Präzedenzfall wäre. Wenn jedoch in Polen die Überzeugung herrscht, dass da eine Rechnung nicht beglichen ist, dann könnte man eventuell über die Entschädigung konkreter Menschen reden. Die Art aber, mit der die PiS ihre Forderung erhebt, schließt jede Art von Gesprächen und Lösung aus. Die kompromisslosen Worte an die Adresse Deutschlands sind in Wahrheit an polnische Ohren gerichtet, an die Wähler der PiS.“
Öl ins Feuer
Reparationsforderungen werden Polen schaden, warnt Kolumnist Adam Szostkiewicz in Polityka:
„[Der polnische Außenminister] Waszczykowski schließt eine Reparationsforderung Polens an Deutschland in Höhe von einer Billion Dollar nicht aus. Die Schätzung ist aus der Luft gegriffen, aber das tut nichts zur Sache. Denn hier geht es darum, Öl ins Feuer zu gießen. Die Beziehungen zwischen der PiS und Berlin sind ohnehin so schlecht, dass man sie erst einmal nicht reparieren kann. ... In der gegenwärtigen Situation steht es den polnischen Interessen entgegen, die Reparationskarte auszuspielen, und zwar in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht. Denn es bestätigt die in der EU vorherrschende Meinung, dass Polen vom Kurs abgekommen ist und sich vom Zentrum der Union hin zur Peripherie bewegt.“
Warum wird nichts von Russland gefordert?
Der Journalist Jacek Żakowski wundert sich in seinem Gastbeitrag in Gazeta Wyborcza, dass sich die Forderungen immer nur an Deutschland richten:
„Warum erwähnen die vielen PiS-Politiker, die so emotional über deutsche Entschädigungen sprechen, nicht auch russische Entschädigungen? 1939 haben schließlich zwei Staaten gemeinsam auf Grundlage des Hitler-Stalin-Paktes Polen überfallen. Die materiellen und menschlichen Verluste durch die sowjetrussische Aggression waren gigantisch. ... Ich habe nicht vor, zu schätzen, welche Verluste die Sowjets verursacht haben. Denn wir bekommen von Russland keinen Pfennig, ähnlich wie von Deutschland. Es hat also keinen Sinn, sich darüber den Kopf zu zerbrechen. Wenn allerdings die PiS meint, dass wir von Deutschland eine Billion Dollar fordern können, dann können wir auch eine weitere Billion von Putin fordern.“
Keine Freundschaft ohne Friedensordnung
Die Frankfurter Rundschau fragt bedauernd, was aus dem freundschaftlichen deutsch-polnischen Verhältnis geworden ist:
„Es beruhte ganz entscheidend auf diversen völkerrechtlichen Nachkriegsverträgen und der Anerkennung der Tatsache, dass heute ein Drittel des polnischen Territoriums aus ehemals deutschen Gebieten besteht - einschließlich der Stadt Danzig, Ober- und Niederschlesien sowie dem Faktum, dass Hunderttausende vertriebene deutsche Familien nicht mit den Verlusten hadern. Ohne Anerkennung der Friedensordnung gibt es keine gedeihliche Zukunft für niemanden. Beide Seiten erleiden Schaden - die eine, wenn sie sich allzu besserwisserisch geriert und großmäulig droht, Polen werde eben dann wegen Ungehorsams kein Geld der Europäischen Union mehr bekommen. Die andere, wenn sie sich durch vielfältige, obendrein chancenlose, irrationale Provokationen international isoliert.“
Deutschland muss zahlen, nicht belehren
Deutschland muss endlich für die Zerstörungen in Polen während des Zweiten Weltkriegs aufkommen, schreibt der PiS-Abgeordnete Janusz Szewczak auf Wpolityce.pl:
„Möglich, dass die Aggression gegen die neue polnische Regierung und die PiS sowie der Wille, die Partei so bald wie möglich zu stürzen, folgende Ursache hat: den Deutschen ist klar, dass Polens Regierung und die PiS früher oder später die dem Land zustehenden Entschädigungen und Reparationen einfordern werden. ... Man muss eine effektive Politik der Kriegsentschädigungen gegenüber Deutschland umsetzen, das versucht, mit seinem Hochmut und seiner Arroganz den europäischen Völkern politische Kultur, Rechtsstaatlichkeit und Disziplin beizubringen. Es ist Zeit für historische Gerechtigkeit, Zeit, dass die Deutschen ihre Rechnungen begleichen.“
Alte Abkommen bleiben gültig
Die Reparationsforderungen dienen nicht der Gerechtigkeit, sondern sind nur ein Versuch der Regierung, innenpolitisch zu punkten, meint Der Tagesspiegel:
„Zumal die von früheren Regierungen abgegebenen Erklärungen rundweg abgestritten werden, sei doch die kommunistische Volksrepublik Polen lediglich ein 'Marionettenstaat' der Sowjetunion gewesen. Mag dies auch zutreffen – an der Gültigkeit von Regierungserklärungen und gar Verträgen ändert dies kein Jota. Unbestreitbar ist die von der Sowjetunion beim Potsdamer Abkommen 1945 eingegangene Verpflichtung. 1953 hat die polnische Regierung förmlich auf Reparationen verzichtet. ... Was es zudem gibt – und das vergessen die Anspruchsteller gern –, ist der Aufbau eines vereinten Europa, in dem die klüger gewordenen Staaten des alten Kontinents eine Friedensordnung von Dauer errichtet haben.“
Hier geht Warschau zu weit
Tschechien sollte sich hüten, Polen bei seinen Reparationsforderungen zu unterstützen, warnt Lidové noviny:
„Die Zusammenarbeit der Visegrád-Staaten ist sinnvoll, wenn es beispielsweise um die Flüchtlingsquoten geht. Aber sie hat auch Grenzen. ... Polen wirft Putin vor, gedanklich im Jahr 1945 zu leben und zeigt sich jetzt selbst fasziniert von der Optik des Zweiten Weltkriegs. Im Zwei-plus-Vier-Vertrag erkannte Deutschland erneut die Oder-Neiße-Grenze an und Polen verzichtete auf Reparationen. Damit reihte sich das Land unter die verantwortungsbewussten europäischen Mächte ein. Wenn es diese Frage nun neu aufwirft, dann begibt es sich auf eine Stufe mit Griechenland, das so eine Erpressung in der Eurokrise versuchte.“
Für den Anfang reichen ein Häuschen und ein BMW
Michał Olszewski nimmt die polnischen Forderungen in einem offenen Brief an die deutsche Bundeskanzlerin in Gazeta Wyborcza aufs Korn:
„Sehr geehrte Frau Merkel, in Kürze wird auf Ihrem Verräter-Schreibtisch ein offizieller Antrag auf Entschädigung für die Verluste Polens im Zweiten Weltkrieg landen. Ein Antrag, der seine Berechtigung hat: Obwohl seit dem Ende des Kriegs schon 72 Jahre vergangen sind, gibt es Rechnungen des Unrechts, die niemals beglichen wurden. Und auch niemals beglichen werden. ... Der Krieg ist nützlich und wird für immer der polnisch-deutschen Buchhaltung dienen. ... Ermutigt durch den Staatsvorsitzenden [gemeint ist der PiS-Vorsitzende Kaczyński] habe ich mir überlegt, wie Sie mich entschädigen könnten. ... Für den Anfang reicht ein bescheidenes Häuschen am Wannsee, dazu ein Auto (am besten ein BMW mit Automatik). ... Zahlt und hört endlich auf, euch einzumischen.“
Berechtigte Forderungen sachlich vortragen
Reparationsforderungen haben durchaus ihre Berechtigung, allerdings sollte man sie so vortragen, dass sie die deutsch-polnische Partnerschaft nicht gefährden, rät Rzeczpospolita:
„Berlin hat Polen geholfen, sich im Westen zu verankern und Polen hat schließlich die Verbrechen verziehen und die Entschädigungen vergessen. Gibt es einen Grund zu meinen, dass diese Übereinkunft nicht mehr gilt? Es gibt beunruhigende Signale, dass Deutschland die Funktionsweise der EU ändern will - etwa dadurch, dass Strukturfonds an die Aufnahme von Flüchtlingen geknüpft werden. ... Es darf jedoch nicht zu einer Kehrtwende in der polnischen Außenpolitik kommen, zu einem Aufkündigen der Partnerschaft mit Deutschland. ... Das bedeutet nicht, dass man nicht in Ruhe, ohne diese ganze antideutsche Rhetorik, an einer Aufstellung der tatsächlichen Verluste arbeiten sollte, die Polen durch Deutschland erfahren hat.“