Draghi verschiebt die Zinswende
Die EZB bleibt vorerst bei ihrer lockeren Geldpolitik: Sie hält den Leitzins auf seinem Rekordtief von null Prozent und lässt eine Ausweitung des Anleihekaufprogramms offen. EZB-Chef Draghi begründete die Entscheidung mit den Kursschwankungen des Euro. Ist die Zeit für die Zinswende gekommen?
Eurozone muss zur Normalität zurückkehren
Die gesamte Eurozone ist bereit für den Ausstieg aus der lockeren Geldpolitik, drängt Die Welt:
„Die europäische Wirtschaft boomt, sogar Italien hat die Rezession hinter sich gelassen. Jegliche Deflationsgefahren, also der gefürchtete Preisrutsch auf breiter Front, haben sich verflüchtigt. Wenn Steuern die Staatskassen füllen und bei Unternehmen die Geschäfte gut laufen, lässt sich eine Zinswende am ehesten verkraften. Die Rückkehr zur Normalität in der Geldpolitik sollte dabei keineswegs nur der Wunsch deutscher Sparer sein. Vielmehr muss die EZB gerade jetzt, wo der Euro-Raum endlich gute Zeiten erlebt, Vorsorge treffen. Sind die Zinsen ewig bei Null, fehlt es an Munition, um einer möglichen nächsten Krise wirkungsvoll zu begegnen.“
Deutschland und Österreich nicht Nabel der Welt
Dass Draghi weiterhin auf billiges Geld setzt, ist richtig, findet Der Standard:
„In Deutschland und Österreich wächst der Druck, damit Draghi endlich den Ausstieg aus dem Programm startet. Nimmt man die Perspektive der Deutschen oder Österreicher ein, ist diese Forderung schlüssig: Die Konjunktur in beiden Ländern läuft rund, die Arbeitslosigkeit ist niedrig oder sinkt, die Inflation ist nahe am Wert von zwei Prozent, so wie es die EZB gern hätte. Doch die Notenbanker machen Währungspolitik nicht für zwei, sondern für 19 Länder. In Südeuropa, in Spanien, Italien, Griechenland ist die Erholung fragiler. Die Arbeitslosigkeit ist nach wie vor hoch, in Italien im August sogar gestiegen. Niemand weiß genau, was geschieht, wenn die EZB die Anleihenkäufe stoppt. Steigt die EZB zu früh auf die Bremse, könnte das die Erholung im Süden abwürgen.“
Draghi sollte Zeitpunkt für Wende kommunizieren
Die Notenbank sollte klar kommunizieren, was sie zu einer Änderung ihrer Geldpolitik bewegen würde, meint Financial Times:
„EZB-Chef Mario Draghi musste in den vergangenen Monaten eine Gratwanderung machen. Auf der einen Seite galt es, Investoren und Regierungen in deren Annahme zu bestätigen, dass sich die EZB auf einen Ausstieg aus dem Programm der Anleihekäufe vorbereitet. Auf der anderen Seite musste er sicherstellen, die Kontrolle über den richtigen Zeitpunkt zu behalten. ... Letztlich gewinnen Notenbanken dann an Glaubwürdigkeit, wenn sie so deutlich wie möglich zeigen, was ihr Ziel ist, wie sie dieses erreichen wollen und was sie dazu bewegt, ihre Geldpolitik zu ändern. Zumindest in den ersten beiden Punkten hat die EZB unter Draghi überzeugt. Doch er muss sicherstellen, dass die Bank auch beim dritten Punkt transparent agiert.“
Zentralbanken wieder fit machen
Warum die Zentralbanken grundsätzlich ihre Geldpolitik überdenken müssen, erklärt La Stampa:
„Die derzeitigen Umwandlungsprozesse der Finanzsysteme und ihre globale gegenseitige Abhängigkeit bedrohen die Fähigkeit der Zentralbanken, Kredit und Liquidität unter Kontrolle zu halten. Zudem wird die Einflussnahme der Zentralbanken auf die Inflation, - vor allem, wenn es gilt die Teuerungsrate anzuheben -, von der Tatsache behindert, dass Preise und Löhne heute neuen Dynamiken folgen, die dem technologischen Fortschritt und Wettbewerbsformen geschuldet sind, die es früher nicht gab. Die Strategien der Banken müssen folglich erneuert werden.“