Wie realistisch ist ein Kurdenstaat im Nordirak?
Im Kampf gegen kurdische Peschmerga haben irakische Truppen die letzten Gebiete in der Provinz Kirkuk eingenommen. Zuvor waren sie in die Gebietshauptstadt einmarschiert, die von den nach Unabhängigkeit strebenden Kurden beansprucht wird. Kommentatoren machen den Kurden wenig Hoffnung auf einen eigenen Staat.
USA werden Kurden fallen lassen
Die Kurden im Nordirak sollten nicht auf die Unterstützung der USA für ihr Streben nach Unabhängigkeit setzen, empfiehlt die regierungsnahe Tageszeitung Daily Sabah:
„Unsere kurdischen Brüder und Schwestern müssen sich wirklich fragen, warum die Amerikaner (die 1861 schon ihrem eigenen Volk nicht erlaubten, sich von der Union zu trennen) nun darauf drängen sollten, vier Länder zu zerstückeln und einen neuen Staat zu gründen. Was gibt es dort für sie [die USA] zu holen? Wollen sie wirklich, dass die kurdischen Träume Wirklichkeit werden? ... Jahre später könnte ein Kongressausschuss herausfinden, dass die Amerikaner niemals die Absicht hatten, den Kindheitsträumen Barzanis [Präsident der Autonomen Region Kurdistands im Nordirak] zu folgen.“
Unabhängigkeit bleibt ein Traum
Die Kurden werden keinen unabhängigen Staat bekommen, ist Ilkka überzeugt:
„Die Geburt eines unabhängigen Kurdistans liegt nach wie vor in weiter Ferne. Auch wenn die militärische Stärke der Kurden während der jahrelangen Kämpfe beträchtlich zugenommen hat, so haben sie davon keinen Nutzen. Die irakische Regierung, ganz zu schweigen von der Türkei und dem Iran, werden den kurdischen Forderungen nicht zustimmen, das haben sie ziemlich deutlich gemacht. Der Krieg in Syrien geht weiter und die Zukunft des ganzen Staats ist unsicher. … Da nicht einmal das Ausland Verständnis für einen eigenen Staat der Kurden zeigt, bleibt als Alternative nur, sich mit Autonomie zufrieden zu geben.“
Tapferes Volk nicht im Stich lassen!
Die internationale Staatengemeinschaft muss die Kurden unterstützen, fordert der französische Philosoph Bernard-Henri Lévy in Le Monde:
„Wer in Washington, Paris oder London kann ernsthaft zweifeln? Wer würde sich einer Resolution des UN-Sicherheitsrats widersetzen, wenn dieser zu einer Dringlichkeitssitzung einberufen würde, um sich mit dem neuen Krieg zu befassen, den Bagdad begonnen hat, obwohl der Kadaver des IS noch zuckt? Wir dürfen Kurdistan, den einzigen echten Stabilitätsfaktor in der Region, nicht im Stich lassen. Wir dürfen nicht zulassen, dass seine Bevölkerung und nebenbei noch 1,5 Millionen christliche, jesidische und arabische Flüchtlinge, die in dem Land Asyl gefunden haben, zu Geiseln werden. Lasst uns diesem beispielhaften Volk, das nach einem Jahrhundert voller Leid endlich glaubte, das Licht am Ende des Tunnels zu sehen, schnell brüderlich die Hand reichen.“
Blühende Zukunft nur innerhalb des Iraks
Die irakischen Kurden wären gut beraten, in ihren Gebietsansprüchen in der Region zurückzustecken, glaubt The Times:
„Kirkuk ist eine multi-ethnische Stadt. Die Versuche der Kurden, sie zu kurdischem Territorium zu erklären, berücksichtigen weder die jüngste Stadtentwicklung noch die aktuelle Zusammensetzung der Bevölkerung. Der Wohlstand der Region gründet sich auf rund 80 Millionen Liter Erdöl, die täglich gefördert werden. Sie sind auch der Hauptgrund dafür, dass der Status von Kirkuk so umstritten ist. Diesen Reichtum mit anderen zu teilen, würde die Kurden aber nicht ärmer machen. Im Gegenteil: Die irakischen Kurden haben die beste Aussicht auf eine blühende und stabile Zukunft, wenn sie Teil eines blühenden, stabilen und westlich orientierten Iraks sind. Die Alternative ist internationale Isolation.“
Barzani hat Desaster ausgelöst
Mit dem Referendum zur Unabhängigkeit der Autonomen Region Kurdistan im Nordirak hat deren Präsident Masud Barzani sein Volk selbst in diese ausweglose Situation gebracht, kommentiert Daily Sabah:
„Barzani hatte ein taubes Ohr für die Warnungen seiner Freunde und heute ist er mit einer unmöglichen Situation konfrontiert. Er fuhr mit diesem extrem gefährlichen und illegalen Referendum fort. Er hat nicht nur die Regierung in Bagdad verärgert, sondern auch die Türkei und den Iran, die beiden Großmächte in der Region, gegen sich aufgebracht. ... Die Demütigung Kirkuks bedeutet das Todesurteil für die Autonome Regierung Kurdistan (KRG). Masud Barzani muss jetzt mit seinem Fehler leben.“
Inhomogen und gespalten
Die über mehrere Staaten verteilten Kurden haben es mit ihrem Streben nach Unabhängigkeit noch viel schwerer als beispielsweise die Katalanen, analysiert Alfa:
„Die Kurden sind im Vergleich zu den Katalanen viel weniger vereint. ... Unter den Kurden, die über Jahrhunderte hinweg in verschiedenen Staaten lebten, gibt es starke kulturelle, politische und religiöse Unterschiede. Zu der Spaltung der Kurden trägt auch bei, dass die Führer des Kurdistans im Irak ihren Weg zur Staatlichkeit nicht mit der Zugehörigkeit zu einer gemeinsamen Nation begründen. Aufgrund der kulturellen und religiösen Unterschiede wäre das allerdings auch nicht leicht.“